Anlässlich der ökumenischen "Woche für das Leben 2021" zum Thema "Leben im Sterben" wollen die Kirchen einen bedarfsgerechten Ausbau der palliativen und hospizlichen Begleitung fördern. Wir fragten eine Palliativmedizinerin und einen Psychiater des Klinikums Bamberg, ob eine solche Begleitung auch für psychisch Kranke gilt.
Seit über 20 Jahren leidet Lisa P. an Anorexie. Fast 30-mal hat sie der Hausarzt ihrer Familie in die Psychiatrie eingewiesen. Für die magersüchtige junge Frau bedeutete das: richterliche Anhörung, geschlossene Abteilung, Fixierung, Zwangsernährung gegen ihren Willen.
Kurzfristig wurde Lisa jedes Mal auf einen Body-Mass-Index aufgepäppelt, der nicht mehr akut ihr Leben bedrohte. Doch sie findet nicht mehr zu einer gesunden Wahrnehmung ihres Körpers zurück. Sie hungert sich weiter zu Tode. Ist nun in einem lebensbedrohlichen Zustand, an dem die 36-jährige Lisa sterben wird. Palliative Begleitung für diese psychisch Kranke am Lebensende? Fehlanzeige.
Hans M. (64) ist paranoid schizophren. Seit 40 Jahren kämpft er gegen diese psychische Erkrankung mit wiederkehrenden akuten Psychosen. Drei Suizidversuche liegen hinter ihm. Seit geraumer Zeit ist Hans zwar frei von Symptomen. Doch der Mann kann nicht mehr kämpfen. Hat keine Hoffnung mehr auf eine erträgliche Zukunft. Und will nur noch eines: durch Sterbefasten, also den völligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit, das Ende herbeiführen. Palliative Begleitung in einer solchen Phase?
„Keine Palliativstation in Deutschland wird Hans M. aufnehmen“, sagt ein erfahrener Palliativmediziner, der namentlich nicht genannt werden möchte. Offener ist da Dr. Brigitte Lotter, Chefärztin der Klinik für Palliativmedizin am Klinikum Bamberg. Im Einzelfall müsse sehr genau geschaut werden, worum es gehe, meint Lotter. Doch letztendlich „fühle ich mich für solche Fälle nicht zuständig“.
Es sei zu unterscheiden zwischen einer Tumorerkrankung und einer psychischen Erkrankung, die körperlich verzehre. Eine Essstörung zum Beispiel sei keine definierte Erkrankung für die Palliativmedizin, erklärt Lotter und räumt freimütig ein, dass sie bei einer möglichen Anfrage durch Angehörige eines solchen Patienten hoffe, „die Entscheidung nicht treffen zu müssen“.
Klinik für Palliativmedizin Bamberg
Grundsätzlich gehe es immer darum herauszufinden, wer welche Hilfe brauche. „Was ist das beste Angebot für den kranken Menschen?“ Das sei nicht rein vordergründig festzulegen. „Entspricht Zwangsernährung der Würde des Menschen, des Lebens?“ fragt sich die Ärztin nachdenklich. Und berührt mit ihrer nächsten Feststellung einen wunden Punkt: „Wir sagen bei psychisch Kranken schnell, dass sie kein Recht haben zu entscheiden, und sie werden nicht für voll genommen.“
Prof. Dr. Göran Hajak, Chefarzt der Psychiatrie im Klinikum Michaelsberg, sagt klar, dass palliative Begleitung im Sinne von „schützend, behandelnd“ in seinem Hause die Ausnahme sei: „Palliativmedizin in der Psychiatrie ist keine Sterbebegleitung, wir nehmen das Sterben in Kauf, wo es in Kauf genommen werden muss.“ Zudem sei das Klinikum ein Akutkrankenhaus, in dem es um „heilen, helfen, verbessern, stabilisieren“ gehe: „Ein Weg bis zum Ende ist hier nicht möglich“, betont Hajak.
Für den Mediziner werden "die hoffnungslosesten Fälle wieder hoffnungsvoll, ich gebe einen Patienten nie auf!" Wenn auch die Realität Grenzen aufzeige und das Phänomen der "Drehtürpsychiatrie" kein seltenes sei. Und etwa wiederholte Suizidversuche "unser Fach zur Erschöpfung bringen", auch wenn Ärzte einen "Behandlungszwang haben".
Eine ethische Diskussion unter Einbeziehung der Angehörigen über den Umgang mit Patienten, die an ihrem vorzeitigen Todeswunsch festhalten, sei zwingend erforderlich, meint Hajak. Und verweist zudem auf schwer demente, multimorbide Patienten mit der Frage: "Wie weit kann Therapie gehen?"
Vorsitzender des Hospizvereins Bamberg
Der Bamberger Hospizverein, langjähriger Begleiter von schwerkranken und sterbenden Menschen sowie derer Angehörigen, muss im Zusammenhang mit psychisch Kranken passen. "Bisher ist uns noch kein Fall begegnet", resümiert Vereinsvorsitzender Konrad Göller. Wissend, dass körperlich kranke Menschen auch Depressionen oder Angststörungen entwickeln können: "Psychische, soziale und spirituell-existentielle Aspekte spielen gerade am Lebensende eine große Rolle." Gleichwohl trete eine psychische Erkrankung in der Sterbephase in den Hintergrund, so Konrad Göller.
Um für das diesjährige Thema "Leben im Sterben" sensibel zu machen, widmen die beiden großen Kirchen ihre traditionelle ökumenische "Woche für das Leben" vom 17. bis zum 24. April gerade der palliativmedizinischen und -seelsorglichen Betreuung. "Wer unheilbar krank ist, verdient die bestmögliche Fürsorge und Pflege", formulieren die Kirchen ihr vorrangiges Anliegen, mit den anderen Akteuren der Hospiz- und Palliativversorgung gemeinsam die Verantwortung für Schwerkranke und Sterbende zu tragen. "Aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen folgt für uns Christen seine unantastbare Würde, die uns verpflichtet, für den Schutz jedes menschlichen Lebens einzutreten", betonen die Kirchen.
Für die Erzdiözese Bamberg und den Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Bayreuth wird die „Woche für das Leben“ am Freitag, 16. April 2021, in der Kirche Sankt Urban in Bamberg, unter Einhaltung aller geltenden Hygienevorschriften eröffnet. Erzbischof Ludwig Schick und Regionalbischöfin Dorothea Greiner werden dem ökumenischen Gottesdienst vorstehen.