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Bamberg: Ethiker sieht großes Defizit an Hilfen für psychisch Kranke
'Aus Sicht der Suizidforschung bestehen weitreichende Zweifel, ob ein Suizidwunsch selbstbestimmt ist', sagt Prof. Dr. Thomas Weißer, Inhaber des Lehrstuhls für Theologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seiner Meinung nach gibt es zu wenige Angebote für eine menschenwürdige Sterbebegleitung und für psychisch kranke und suizidgefährdete Menschen.
Foto: Sebastian Kahnert, dpa | "Aus Sicht der Suizidforschung bestehen weitreichende Zweifel, ob ein Suizidwunsch selbstbestimmt ist", sagt Prof. Dr.
Das Gespräch führte Marion Krüger-Hundrup
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:18 Uhr

Zum Thema "selbstbestimmtes Sterben" gab Prof. Dr. Thomas Weißer (Laubach), Inhaber des Lehrstuhls für Theologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, unserer Redaktion anlässlich der "Woche für das Leben 2021" folgendes Interview.

Frage: In Deutschland kippte das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 nicht nur das Gesetz, das Sterbehilfevereine verbot, sondern leitete zugleich aus dem Grundgesetz ein weit gehendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Ist der Suizid tatsächlich ein Freiheitsrecht, das der Staat nicht einschränken darf?

Thomas Weißer: Freiheitsrechte setzen Freiheit voraus. Das heißt: Ich kann in Freiheit über mich nur verfügen, wenn ich frei bin und mich selbst bestimmen kann. Hier sind zwei Aspekte wichtig. Zum einen: Suizid ist nicht verboten und wird auch nicht sanktioniert. Der Staat schränkt also nicht die Freiheit ein, über sich selbst zu entscheiden. Zum anderen: Aus Sicht der Suizidforschung bestehen weitreichende Zweifel, ob ein Suizidwunsch selbstbestimmt ist. Neun von zehn Menschen, die einen Suizid vollziehen, leiden unter psychischen Erkrankungen. Häufig liegt zudem beim Suizid bzw. Suizidversuch kein eindeutiger Todeswunsch vor. Hier gibt es ein wesentliches Problem: Wie lässt sich überhaupt von außen beurteilen, ob ein Suizidwunsch tatsächlich eine selbstbestimmte Entscheidung ist? Welche Kriterien lassen zweifelsfrei erkennen, dass eine freie Wahl zum Suizid vorliegt?

Anders gefragt: Darf man einem Menschen bei seinem Wunsch, sich selbst das Leben zu nehmen, helfen oder nicht?

Weißer: Auf die Frage gibt es kein einfaches Ja oder Nein. Suizidalität ist immer vieldeutig. In vielen Fällen ist unklar, was zu einer Entscheidung zum Suizid führt. Der Wunsch, endlich tot zu sein, ist oft gepaart mit dem Wunsch, eine Pause einzulegen, Ruhe zu finden, anders und besser weiterleben zu können. In Einzelfällen mag es vorkommen, dass Menschen wohl abgewogen ihrem Leben ein Ende setzen wollen. Und hier kann es Situationen geben, in denen Menschen anderen ihre Hilfe und Unterstützung anbieten – um der Selbstbestimmung willen. Selbstbestimmung ist allerdings mehr als nur eine Auskunft über das, was jemand will und was nicht. Selbstbestimmung beruht auf der Klärung eigener und fremder Positionen. Sie setzt einen Prozess voraus, in dem sich jemand ein Urteil über sich selbst bildet. Gerade aber die Entscheidung zu einem Suizid ist fast immer eine, die eben nicht in Freiheit und durch ein sorgfältiges Abwägen von Positionen getroffen wird. Hier ist die Hilfe bei der Selbsttötung meiner Ansicht nach falsch.

Die Kirchen fordern einen bedarfsgerechten Ausbau der palliativen und hospizlichen Begleitung. Diese menschenwürdige Begleitung gibt es für psychisch kranke und suizidgefährdete Menschen so gut wie gar nicht. Wissen Sie einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Weißer: Ich sehe da kein Dilemma, sondern ein großes Defizit. Denn es gibt zwar Angebote für eine menschenwürdige Sterbebegleitung in Hospizen und anderen Einrichtungen. Und es gibt vielfältige Hilfen für psychisch kranke und suizidgefährdete Menschen. Das Problem: Von beidem gibt es sicher zu wenig. Dass Orte eingerichtet werden, die eine scheinbar normale Begleitung hin zu einem Suizid anbieten, halte ich für problematisch. Gerade von der Suizidforschung her braucht es hingegen mehr Orte, in denen Alternativen zu einem scheinbar alternativlosen Suizid angeboten werden. Orte der Begleitung und Unterstützung für Menschen am Ende ihres Lebens. Orte, in denen der Mensch als Person geschützt wird – auch und gerade in verzweifelten und scheinbar ausweglosen Lagen. Weil der Suizid alle Möglichkeiten der Gestaltung des eigenen Lebens ein für alle Mal beendet.

 
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