
In Zeiten der Corona-Pandemie haben sich viele Jugendliche, die gerade die Schule abgeschlossen haben, in eine Art "Orientierungslockdown" begeben – so nennt es jedenfalls Peter Stretz. Denn als Berufsberater bei der Agentur für Arbeit Haßfurt hat er in den letzten Monaten beobachtet, dass vielen, die die Schule verlassen, die Berufsorientierung in diesem Jahr schwerer fällt als sonst. Stretz sieht als Grund dafür vor allem, dass durch die Corona-Pandemie zahlreiche Praktika ausfallen mussten. So stand auch das diesjährige Pressegespräch zur Ausbildungssituation ganz im Zeichen der Pandemie.
"Wenn ich was über Berufe erzähle, ist das alles gut und schön", sagt Stretz. "Aber es ist eben was ganz anderes, wenn man es selbst erleben kann." Doch eben diese Möglichkeit, einen Einblick in Berufe zu bekommen, bevor man sich für eine Ausbildungsstelle entscheidet, war im Jahr 2020 stark eingeschränkt – gerade im zweiten Schulhalbjahr, das üblicherweise die große Zeit der beruflichen Findung ist. Und so sei in diesem Jahr der Anteil an Schulabgängern, die noch keine Ahnung haben, was sie machen wollen, höher als sonst. Viele hätten das Thema Jobsuche einfach "runtergefahren".
Jobberatung am Telefon: "Gott sei Dank, dass Sie anrufen"
Um die Jugendlichen dennoch bei der Berufsorientierung unterstützen zu können, führen Stretz und andere Berufsberater mittlerweile viele Telefonberatungen durch. "Man merkt zwar deutlich, dass die Präsenzberatung schon effektiver ist, aber es ist halt aus der Not geboren." Oft würden sich vor allem die Eltern der Entlassschüler freuen, dass die Arbeitsagentur an die Jugendlichen denke, von sich aus bei ihnen anrufe und die Beratung anbiete. "Gott sei Dank, dass Sie anrufen", sei ein Satz, den er in letzter Zeit häufiger gehört habe.

Gleichzeitig hat Stretz aber auch gute Nachrichten für junge Menschen auf Jobsuche: Nach wie vor gibt es mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. Damit hat sich seine Sorge vom Beginn der Corona-Krise nicht bestätigt: Der Berufsberater hatte befürchtet, dass die Firmen eine große Zahl an Ausbildungsangeboten zurücknehmen würden, weil sie in der Krise hohe Einbußen hatten. Aber: "Im Kreis ist kein einziger Ausbildungsplatz gestrichen worden", freut sich Stretz. "Die Firmen waren alle loyal zu ihren Zusagen."
Aber wäre es möglich, dass der "große Knall" noch bevorsteht? Schließlich wäre es doch denkbar, dass die Unternehmen zwar die angekündigten Stellen noch besetzt haben, aufgrund von krisenbedingten Einbußen aber in den kommenden Jahren weniger Stellen ausschreiben werden. Doch auch hier zeigt sich Peter Stretz optimistisch. Schließlich stehen dem Ausbildungsmarkt noch einige geburtenschwache Jahrgänge bevor. "Die Firmen wissen das", sagt er. Und so glaubt er, dass so mancher Unternehmer lieber "auf Vorrat" einstellen und ausbilden wird, bevor er in einigen Jahren niemanden mehr findet.
Bewerber haben große Auswahl an Stellen
Noch vor zehn Jahren gab es mehr Bewerber als offene Stellen, doch eine Zunahme an Stellenangeboten und ein Geburtenrückgang haben dazu geführt, dass sich die Situation gedreht hat. Der "Wendepunkt", seit dem es mehr Stellen als Bewerber gibt, war im Kreis Haßberge im Jahr 2017 erreicht. Heute kommen 557 Stellen auf 467 Bewerber.

Für die Bewerber heiße das auch: Wer früher wegen zu schlechter Schulnoten gleich aussortiert wurde, obwohl er für einen bestimmten Job durchaus geeignet gewesen wäre, hat jetzt die Chance, in ein Auswahlverfahren zu kommen, in dem er mit Persönlichkeit und Motivation punkten kann.
Für Berufseinsteiger ist das eine komfortable Situation, für die Unternehmen dagegen weniger: Wie Peter Stretz berichtet, werde so manche Stelle gar nicht mehr ausgeschrieben, weil bei den Firmen die Meinung vorherrscht: "Wir finden ja doch keinen." Aus Sicht des Berufsberaters ist das aber der falsche Weg: Er appelliert an die Betriebe, in jedem Fall alle Stellen zu melden, die zu vergeben sind.
Nur der Traumjob oder gar nichts?
Erfreulich findet Stretz, dass ganze 75 Prozent der Bewerber im Kreis Haßberge am Ende tatsächlich eine Berufsausbildung beginnen. Der Rest davon bestehe – mit wenigen Ausnahmefällen – aus Leuten mit "sehr eng gefassten Vorstellungen", die keinen Plan B für den Fall akzeptieren wollten, dass sie ihren Traumjob nicht bekommen. Statt sich auf einen anderen Beruf zu bewerben, ziehen es viele von ihnen vor, weiter eine Schule zu besuchen oder doch ein Studium anzustreben.
Mehr Bewerber als Stellen gibt es vor allem in Verwaltung und Unternehmensorganisation. Auf der anderen Seite tun sich unter anderem die Gastronomie, das Baugewerbe, der Handel und die Lebensmittelproduktion schwer, Bewerber zu finden.
Männerberufe und Frauenberufe: Es hat sich nicht viel geändert
Was sich beim Blick auf die Wunschberufe der Entlassschüler aber auch zeigt: Trotz Girls Day, Boys Day und anderer Aktionen, die alte Klischees aufbrechen sollen, gibt es noch immer die typischen Männer- und Frauenberufe. Bei den jungen Männern stehen Industriemechaniker, Kfz-Mechatroniker und Fachinformatiker ganz oben, junge Frauen interessieren sich eher für Stellen als Medizinische Fachangestellte, Verkäuferin oder Bürokauffrau. Lediglich kaufmännische Berufe in Industrie und Einzelhandel scheinen auf beiden Seiten beliebt zu sein. "Ich bin seit über 30 Jahren Berufsberater. Am traditionellen Berufswahlverhalten hat sich nichts geändert", sagt Peter Stretz und lässt durchblicken, dass er sich ein stärkeres Aufbrechen von Rollenklischees durchaus wünschen würde.

Mit Blick auf die Corona-Krise gibt sich der Berufsberater aber zufrieden: "Der Ausbildungsmarkt ist nicht beschädigt." Über den Arbeitsmarkt insgesamt lässt sich das hingegen nicht sagen: Die Arbeitslosigkeit im Landkreis Haßberge liegt derzeit bei 3,3 Prozent und damit deutlich höher als zur gleichen Jahreszeit 2019. Auch die Zahl an Arbeitnehmern in Kurzarbeit ist durch die Pandemie stark gestiegen und mit Beginn des zweiten Lockdowns noch einmal nach oben geschnellt, berichtet Franziska Schnitzer, Geschäftsstellenleiterin der Arbeitsagentur Haßfurt. Dennoch ist Schnitzer überzeugt: "Wir haben die Situation immer gut gemeistert." Seit September sei eine "Entschärfung der Lage" zu beobachten, wobei noch offen ist, inwieweit diese nun durch den neuen Lockdown wieder gebremst wird.
Und wie sieht es mit der Situation von Menschen aus, die durch die Corona-Maßnahmen nicht mehr arbeiten können? Oft wurde in den letzten Monaten die Kritik laut, Gastronomen, Bühnenkünstler und andere, die bisher ihren Lebensunterhalt gut erwirtschaften konnten und nun eine Zwangspause einlegen müssen, würden von Politik und Behörden bei der "Überbrückung" im Stich gelassen.
"Wir unterstützen die Kunden bei einer Zwischenbeschäftigung", sagt Schnitzer. Viel mehr könne sie allerdings zu diesem Thema nicht sagen, da das nicht in den Aufgabenbereich der Arbeitsagentur falle, sondern in den der unabhängig davon organisierte Jobcenter.