Familie Zimmermann-Will aus Lendershausen bei Hofheim staunte nicht schlecht, als sie am 4. September in ihr Außengehege blickte: Dort krabbelten zwischen ihren sechs Griechischen Landschildkröten auch drei frisch geschlüpfte Jungtiere. Denn die Eier, aus denen die Schildkröten geschlüpft waren, hatten sie zuvor nicht bemerkt. Genau das macht das Schlüpfen der Tiere so außergewöhnlich. Denn die drei Schildkröten-Babys sind auf natürliche Art und Weise auf die Welt gekommen. Ganz ohne menschliches Zutun.
Die künstliche Nachzucht von Griechischen Landschildkröten stellt mithilfe von Inkubatoren, also Brutkästen, kein Problem dar. Eine Naturbrut, wie es im Fachjargon heißt, hingegen ist in Deutschland ein Phänomen, welches eher selten vorkommt, wie in fachbezogenen Foren im Internet zu lesen ist. Wie war das Schlüpfen der Panzertiere überhaupt möglich?
Der Klimawandel macht's möglich
Das Verbreitungsgebiet der Griechischen Landschildkröte ist der europäische Mittelmeerraum. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass es zum Ausbrüten der Eier warme und trockene Temperaturen braucht. Denn die "Testudo hermanni", wie ihre wissenschaftliche Bezeichnung lautet, brütet ihre Eier nicht selbst aus, sondern verbuddelt diese in einem Erdloch und lässt die Sonne den Rest erledigen. Vom Ablegen der Eier bis zum Schlüpfen dauert es durchschnittlich 90 Tage, wie in Fachforen zu lesen ist.
Das Sommerwetter in den deutschen Breitengraden war immer zu unbeständig für eine natürliche Brut. In den letzten Jahren hat sich dies offenbar geändert. In Fachforen im Internet wie "Testudowelt" wird von Naturbruten in Deutschland im Hitzesommer 2018 berichtet. Auch im Sommer 2003, welcher ebenfalls von Hitzerekorden geprägt war, wurden Naturbruten dokumentiert.
Die Familie berichtet, dass sie über den Schlupf einerseits erfreut wären, andererseits wären sie auch etwas schockiert gewesen. Denn die Familie Zimmermann-Will hält seit über 20 Jahren Schildkröten, dass es dabei zu einem natürlichen Schlüpfen kam, hat sie noch nicht erlebt. Einmal, erzählt Rita Zimmermann-Will, hätten sie vier Eier künstlich in einem Terrarium ausgebrütet, davon seien aus zweien letztlich Schildkröten geschlüpft. Dass es in diesem Sommer zu einem natürlichen Schildkröten-Schlüpfen in ihrem Garten kam, ließ die Familie nachdenklich werden, wie weit der Klimawandel hierzulande schon fortgeschritten ist.
Laut Deutschem Wetterdienst landet der diesjährige bayerische Sommer auf Platz zwei in der Geschichte der Wetteraufzeichnung mit durchschnittlich 19,5 Grad Celsius und rund 840 Sonnenstunden, hinter dem Rekordsommer 2003. Zum Vergleich: Die bayerischen Langzeitmittelwerte für die Sommermonate sind 15,8 Grad Celsius und 623 Sonnenstunden. Zudem blieb es heuer in Unterfranken sehr trocken. So fielen ortsweise keine 30 Liter Regen pro Quadratmeter in den letzten drei Monaten. Perfekte Bedingungen also für eine Naturbrut von Griechischen Landschildkröten.
Die Winterstarre steht bevor
Wie geht es mit den Baby-Schildkröten nun weiter? Obwohl die Familie aus Lendershausen bereits sechs ausgewachsenen Panzertieren ein Zuhause bietet, denkt sie nicht daran, die Jungtiere wegzugeben. "Das ist etwas Besonderes", sagt Rita Zimmermann-Will. Platz hat die Familie genug, die Reptilien leben bei ihnen von Ostern bis Anfang November in einem weitläufigen und abwechslungsreich gestalteten Gehege. Ein kleines Gewächshaus bietet einen warmen und sicheren Rückzugsort für die Nacht.
Ab November beginnt für die erwachsenen Tiere die Winterstarre, diese gehört zum natürlichen Jahreszyklus der Schildkröten und dauert etwa vier bis fünf Monate. Während dieser Zeit reduziert sich der Stoffwechsel auf ein absolutes Minimum, auch Herz- und Atemfrequenz sinken sehr stark ab. Nötig wird das für die Panzertiere, wie auf Fachseiten im Internet zu lesen ist, weil sie ihre eigene Körpertemperatur nicht selbst regulieren können. Bei niedrigen Temperaturen können die Organe der Reptilien nicht einwandfrei arbeiten, um zu überleben, halten sie eine Winterstarre.
Für die Schildkröten-Babys fällt die Winterstarre kürzer aus. "Wenn überhaupt, dann werden wir die Kleinen nur vier Wochen in den Winterschlaf setzen", sagt Rita Zimmermann-Will. Vorerst sollen die jungen Tiere sich in ihrer Kinderstube, einem warmen Terrarium, stärken. Dafür reibt die Familie auch Kalk über das Futter. Das sei wichtig, damit sie einen starken Panzer ausbilden. Zu Essen bekommen die Schildkröten verschiedene Pflanzen wie Löwenzahn, Wildkräuter oder Klatsch-Mohn.
Welches Geschlecht die Schildkröten haben werden, wird sich erst in vier bis sechs Jahren zeigen. Dann werden die Panzertiere geschlechtsreif sein und ihre Geschlechtsmerkmale ausbilden. Sicher ist wohl nur, dass die Griechischen Landschildkröten noch viele Sommer in Lendershausen mit griechischen Temperaturen erleben werden.