
Als die – nicht asphaltierte – Urwaldstraße in Guyana sich nach heftigen Regenfällen in eine einzige Schlammpiste verwandelt, nagen erste Zweifel an mir: Ist diese Tour, die 500 Kilometer durch tropischen Regenwald führt, wirklich zu schaffen? Aber dann sage ich mir: Du hast es doch nicht anders gewollt, jetzt fang bloß nicht das Jammern an! Und füge mit bitterer Ironie hinzu: Wo der Spaß aufhört, fängt das Abenteuer an. Gottlob habe ich etwa zehn Tage später habe ich wieder Asphalt unter dem Reifen.
Von Suriname über Guyana und Venezuela nach Kolumbien
Meine letzte Radtour – wie immer ohne Elektromotor – führt mich durch die im Norden von Südamerika liegenden Länder: Suriname, Guyana, Venezuela und Kolumbien. Ich starte in Suriname, einer ehemals niederländischen Kolonie. Sie beeindruckt vor allem durch das friedliche Miteinander von Christen, Moslems und Hindus – und genau wie das direkt benachbarte Guyana durch die Tatsache, dass mehr als 90 Prozent der jeweiligen Landesfläche von Regenwald bedeckt ist.

Als ich nach der Urwaldpiste ein kurzes Stück durch Brasilien fahre, erwartet mich eine dicke Überraschung: Ich treffe auf Kazim, einen jungen kolumbianischen Fernradler. Und der ist nicht alleine unterwegs – in Körben hat er zwei kleine Hunde auf seinem Drahtesel dabei! Einige Tage radeln wir gemeinsam.
Natürlich lernt man einander dabei näher kennen. Kazim hat so gut wie kein Geld. Um über die Runden zu kommen, jobbt er immer wieder auf Bauernhöfen oder bei Imbissbuden für freie Kost, Logis und ein Taschengeld. Manchmal kann er dabei mit seinen Hunden in einem Schuppen oder unter einem Vordach schlafen, aber meistens stellt er sein löchriges und geflicktes Zelt auf.
Kazim – ein Reisebegleiter auf Zeit
Sein Fahrrad befindet sich ebenfalls in einem bemitleidenswerten Zustand. Die Reifen sind völlig abgefahren, die Bremsen abgeschrubbt und Beleuchtung und Schutzbleche fehlen. Aber das Schlimmste kommt erst noch: Weil seine Gangschaltung kaputt ist, kann er nur einen einzigen Gang nutzen und muss bei jeder Steigung schieben. Trotzdem verliert der Kolumbianer erstaunlicherweise nie seine gute Laune.

Und beweist damit die Wahrheit des Spruches: Der Fahrer ist wichtiger als das Fahrrad. Ich kann es kaum fassen, dass Kazim trotz seiner Armut stets zufrieden und fröhlich wirkt. Er ist mit sich im Reinen, habe ich den Eindruck. In Venezuela trennen sich unsere Wege und ich wünsche meinem Reisegefährten viel Glück.

Venezuela ist trotz seiner weltweit größten Erdölreserven ein bitterarmes Land. Immer wieder werden Strom oder Wasser abgeschaltet und das Internet ist langsam wie eine Schnecke. Auf dem Land wird das Benzin an armseligen Läden in einzelnen Plastikflaschen verkauft. Autos können sich viele Familien nicht leisten.
Stattdessen sitzt dann eng aneinander gequetscht die drei- oder vierköpfige Familie auf einem Motorrad. Viele Männer lungern den ganzen Tag in den Straßen herum – offensichtlich haben sie keine Arbeit. Zahlreiche Gebäude und Fabriken sind heruntergekommen und marode. Das erinnert mich an abgewirtschaftete Industrieanlagen in der ehemaligen DDR.

Trotz – vielleicht auch wegen – ihrer Armut sind die Menschen in Venezuela und Kolumbien sehr freundlich und ich gerate in keine gefährliche Situation. Das könnte natürlich daran liegen, dass ich als vermeintlich armer Radler für zwielichtige Gestalten in kein lohnendes „Beuteschema“ passe.

In Kolumbiens Hauptstadt Bogotá besichtige ich ein touristisches Highlight: Die sogenannte „Salzkathedrale“. Dabei handelt es sich um eine katholische Kirche in einem ehemaligen Bergwerksstollen 180 Meter unter der Erde. Dieses eigenwillige unterirdische Gotteshaus wurde in den 1950-er Jahren als Kapelle angelegt und die Bergleute konnten hier vor Arbeitsbeginn beten. Etwa 40 Jahre später erweiterte man den Bau sehr großräumig mit Basilika, Seitenschiffen und Kreuzweg. Heute handelt es sich um eine einzigartige Attraktion in Kolumbien.