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Eschenau
Legalisierung von Cannabis: Für den Künstler Herman de Vries gehört der Konsum von Drogen zur Natur des Menschen
Der 92-Jährige ist auch Biologe und Autor von Büchern zum Thema Rauschmittel. Er selbst hat jahrzehntelange Erfahrung mit körper- und geiststeuernden Substanzen.
'Was die Natur uns zur Verfügung stellt, steht dem Menschen als Grundrecht zu', erklärt der in Eschenau lebende Künstler und Biologe Herman de Vries.
Foto: Wolfgang Aull | "Was die Natur uns zur Verfügung stellt, steht dem Menschen als Grundrecht zu", erklärt der in Eschenau lebende Künstler und Biologe Herman de Vries.
Wolfgang Aull
 |  aktualisiert: 15.07.2024 19:25 Uhr

Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland steht vor der Tür. Geht es nach dem Willen der Ampelregierung, soll sie bereits im April dieses Jahres in Kraft treten. Es gibt viele Warnungen vor gesundheitlichen Schäden und sonstigen schwerwiegenden Folgen, etwa im Straßenverkehr. Für viele aber ist dieser Schritt längst überfällig. Zu ihnen zählt der in Eschenau lebende und international bekannte Künstler, Philosoph und Schriftsteller Herman de Vries

Was kaum bekannt ist: Der 92-Jährige ist auch Biologe. Und verfügt über jahrzehntelange eigene Erfahrungen mit Rauschmitteln. Er hat sogar Bücher zum Thema geschrieben: In seinem Werk "natural relations" (1989) beschreibt er 2000 Pflanzen oder Pflanzenteile, denen eine heilende oder "geistbewegende" Wirkung zugeschrieben wird. In seinem Werk "flora incorporata" (1988) führt de Vries 400 Pflanzen auf, die er zu sich genommen hat und schreibt: "Was ich in mir aufnehme, ist das, was ich bin." De Vries besitzt eigenen Angaben zufolge eine der größten Büchersammlungen Deutschlands zum Thema Rauschmittel.

Ein Interview über den Missbrauch von Alkohol und Nikotin, über eigene Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Rauschmitteln und über die Bedeutung von Cannabis auf seinen künstlerischen Schaffensprozess.  

Herr de Vries, warum nehmen Menschen überhaupt Rauschmittel?

Herman de Vries: Ich denke, um ihrer täglichen Situation zu entkommen und auch für eine andere Erfahrung ihres Seins. Eine Befreiung, und eine positive Wirkung auf ihr Gemüt. Dies hat eine lange Geschichte, Rauschmittel gehören zu unseren natürlichen Beziehungen. Die Kenntnis über der Einnahme von Pflanzen und deren Wirkung umfasste über Jahrtausende hinweg Religion, Philosophie und Lebenspraxis bei praktisch allen Völkern der Erde.

Gilt das noch heute?

De Vries: Leider kaum noch. Einen bedeutenden Teil der kollektiven Pflanzenkenntnis, die in Mitteleuropa im Volk vorhanden war, wurde uns durch die Hexenverbrennungen genommen. Schon das Sammeln von Kräutern durch andere als Ärzte war im 16. Jahrhundert Grund genug, um als Hexe verdächtigt zu werden. Diese erste Anti-Drogen-Welle hat Tausenden auf grausame Weise das Leben gekostet. Jetzt ist die Hexenjagd humanisiert, die Drogenverbraucher werden nicht mehr verbrannt, sie kommen ins Gefängnis.

Kunstwerk Hexendenkmäler: 'Schon das Sammeln von Kräutern durch andere als Ärzte war im 16. Jahrhundert genug, um als Hexe verdächtigt zu werden', sagt Herman de Vries.
Foto: Joana Schwender | Kunstwerk Hexendenkmäler: "Schon das Sammeln von Kräutern durch andere als Ärzte war im 16. Jahrhundert genug, um als Hexe verdächtigt zu werden", sagt Herman de Vries.

Nicht alle Drogenverbraucher, wir unterscheiden ja zwischen legalen und illegalen Drogen

De Vries: Richtig. Es gab 1970 ein Plakat, darauf stand: "Rauschgift – Du machst Dich kaputt und der Dealer macht Kasse". Ich habe gedacht: "Nikotin - Du machst Dich kaputt, und der Staat macht Kasse". Mein Vater und mein Sohn sind beide, 59 Jahre alt, an dem Missbrauch von Tabak gestorben. Die waren Tabakjunkies, Nikotinjunkies. Es gibt bei Nikotinmissbrauch in Deutschland über 140.000 Tote pro Jahr. Man darf keine Droge unterschätzen, in ihren negativen Wirkungen. Alkohol steht in Deutschland überall zur Verfügung, sogar in Autobahnraststätten kann man kleine Flaschen Schnaps kaufen, es gibt ein paar Millionen Alkoholabhängige, so ist Alkohol ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Droge, aber allgemein gebräuchlich. Der Staat ist Zwischendealer und macht Kasse, wie bei Tabak. Das größte Rauschfest in der Welt ist das Oktoberfest, der Bürgermeister öffnet das erste Fass.

"Das größte Rauschfest in der Welt ist das Oktoberfest, der Bürgermeister öffnet das erste Fass."
Herman de Vries

Und Cannabis? Macht diese Droge Ihrer Erkenntnis nach ebenso abhängig wie Nikotin und Alkohol?

De Vries: Es gibt Menschen, die Cannabis täglich rauchen, daran hängen bleiben und kommen nicht mit ihm zurecht. Ich habe viele Cannabisgebraucher gekannt, die später aufgehört haben, weil sie es nicht mehr so interessant fanden, oder dass es ihnen nicht mehr gepasst hat. Jede Droge hat ihre eigenen Probleme. Ich selber habe Cannabis gebraucht seit 1954, da war ich 23. Es hat mir damals geholfen, meine Depression zu überwinden. Die letzten Jahre gebrauche ich es selten, weil es mir jetzt meinen Schlaf nimmt, und am nächsten Tag bin ich dann müde und ich möchte arbeiten.  

Herman de Vries besitzt eine der größten Büchersammlungen Deutschlands zu dem Thema Rauschmittel.
Foto: Wolfgang Aull | Herman de Vries besitzt eine der größten Büchersammlungen Deutschlands zu dem Thema Rauschmittel.

Sie waren auch einmal medikamentenabhängig.

De Vries: Oh ja. Ich war asthmatisch, nervös. Mein Arzt hat mir Valium verschrieben, ein Beruhigungsmittel. Dreimal 2,5 Milligramm pro Tag. Ich hatte immer mehr nötig, um die Wirkung zu spüren. Nach zwei Jahren nahm ich die unglaubliche Menge von 120 Milligramm pro Tag. Ich war auf Reisen, mit einer Freundin in Algier, und hatte an einem Abend Bier getrunken und Roten Libanon (Anm. d. Red.: spezielle Cannabissorte) geraucht. Diese Kombination bekam mir nicht. Alkohol, Cannabis und Valium zusammen. Ich habe Mitleid mit mir selbst bekommen. Das war für mich ein unerträglicher Zustand. Am nächsten Tag habe ich das Valium abgesetzt. Ich wurde zittrig, nervös, konnte mit den Füßen die Treppenstufen nicht mehr finden, musste mich an dem Geländer festhalten.

Meine Freundin sagte: "Du bist nicht auszuhalten, bitte friss das Zeug!" Ich sagte nein. Da begegnete ich ein paar Autohändlern, wir waren inzwischen in der Sahara, die Autos verkaufen wollten in Togo und einen Fahrer suchten. Noch im Entzug bin ich dann über die Saharapisten gefahren, mit einem VW Bus. Nach zehn Tagen war die Valiumabhängigkeit weg. Die war eine ärztlich verschriebene Sucht.

Chillums dienen zum Einnehmen von Cannabis: die abgebildeten Exemplare stammen aus der ethnologischen Sammlung von Herman de Vries, erworben auf dem Markt von Kathmandu. Heute sind sie  in Besitz des Museums 'De Domijnen', Sittard, Niederlande.
Foto: Lilian Seegers | Chillums dienen zum Einnehmen von Cannabis: die abgebildeten Exemplare stammen aus der ethnologischen Sammlung von Herman de Vries, erworben auf dem Markt von Kathmandu.

Welchen Einfluß hatte Cannabis auf Ihr künstlerisches Schaffen?

De Vries: Abends, sitzend bei einem Pfeifchen Cannabis, kam ich oft auf Ideen in Zusammenhang mit meiner Arbeit, mit anderen Wahrnehmungen aus der Natur. Ich erzählte das dann oft meiner Frau Susanne. Oft habe ich auch Notizen gemacht. Am nächsten Tag musste man sehen, wie real dies alles war und wie praktikabel. Ich habe bei meiner Arbeit immer die Notwendigkeit gehabt, den Nutzen von Cannabis, um die Ideen zu entwickeln, und eine Nüchternheit anschließend, um zu entscheiden, was dann wirklich Sinn macht.

"Entscheidend ist, dass das Individuum die Kontrolle über seinen Drogenkonsum nicht verliert."
Herman de Vries

Ich möchte zusammenfassen: Das Bedürfnis, Rauschmittel einzunehmen, gehört zur Natur des Menschen. Die Kenntnis über Pflanzen und deren körpersteuernde Substanzen standen lange in Zusammenhang mit Religion und Kultur, ist jedoch in Mitteleuropa nicht zuletzt im Rahmen der Hexenverbrennung verloren gegangen. Es macht keinen Sinn, seitens des Staates, Alkohol- und Nikotintote in Kauf zu nehmen, Cannabis hingegen zu verteufeln. Entscheidend ist, dass das Individuum die Kontrolle über seinen Drogenkonsum nicht verliert. Daher ist die Legalisierung von Cannabiskonsum längst überfällig.

Was die Natur uns zur Verfügung stellt, steht dem Menschen als Grundrecht zu. Und das verbinde ich noch mit dem wunderbaren Anfang des deutschen Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt". Es gehört zu meiner Würde, selber entscheiden zu können, was ich tue, solange ich dasselbe Grundrecht anderer nicht beeinträchtige.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Beitrags hatte die Redaktion allgemeine Aussagen von Herman de Vries zur Gefährlichkeit und zum Suchtpotenzial von Cannabis und seinen Konsum von LSD veröffentlicht. Um diese Drogen nicht zu verharmlosen, hat die Redaktion diese Passagen entfernt.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, wenn Sie oder Menschen in Ihrem Umfeld Probleme mit Alkohol, Medikamenten oder andere Drogen haben oder unter sonstigem Suchtverhalten leiden, können Sie sich in Unterfranken an eine der zahlreichen Suchtberatungsstellen wenden. Zum Beispiel im Landkreis Haßberge an die Suchtberatung der Caritas, Promenade 37, 97047 Haßfurt,  Rufnummer (09521) 926-550, E-Mail sucht@caritas-hassberge.de. Ähnliche Beratungstellen gibt es in allen Landkreisen und kreisfreien Städten.

 
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