Trauer ist eine natürliche Reaktion auf Verlust eines geliebten Menschen. Sie tut weh. Die Wege, die eigene Trauer zu bewältigen, sind individuell. Angebote wie das Trauerwandern wollen helfen, dass die Trauer nicht zur Erstarrung führt. Roswitha Fliege lädt Betroffene seit vielen Jahren regelmäßig Betroffene ein, um mit ihnen neue Wege zu gehen und sich mit anderen Menschen darüber auszutauschen. Wir haben mit ihr über das Trauerwandern gesprochen.
Roswitha Fliege: Als meine Kinder erwachsen waren, regte sich in mir das Bedürfnis, noch einmal etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun. Das sollte eine Wertigkeit haben und im sozialen Bereich liegen. Als die Malteser eine Hospizausbildung anboten, wollte ich unbedingt mitmachen. Das war für mich ein innerlicher Anlass und so arbeite ich nun schon 25 Jahre in der Hospizbegleitung. Ebenso organisierte ich "Trauertreffs" mit bis zu zehn Leuten. Das wurde auch sehr gut angenommen. Sie haben sich aber im Laufe der Zeit verflüchtigt und wurden vom "Trauerwandern" abgelöst.
Fliege: Wandern ist für Menschen in Trauer eine Möglichkeit, mit sich und ihrer Trauer in eine natürliche Bewegung zu kommen. Der Weg durch die Trauer ähnelt nämlich oft auch einer Wanderung. Man kommt mit anderen Trauernden ins Gespräch und erkundet in Gemeinschaft neue Wege. Außerdem begegnet uns in der Natur auch an vielen Stellen das Werden und Vergehen.
Fliege: Ganz selbstverständlich ist, dass alle Gespräche vertraulich behandelt werden. Ich beginne die gemeinsame Wanderung gerne mit einem Impuls oder vielleicht sogar einem Trauermärchen, um leichter miteinander ins Gespräch zu kommen. Manchmal bleibt zuerst aber auch Stille. Niemand muss etwas sagen und niemand soll sich unter Druck gesetzt fühlen. Aber dann erzählen die Teilnehmer auch ihre persönliche Geschichte und unterhalten sich untereinander. Trotzdem ist es bei einer Wanderung leichter, zu schweigen und gleichzeitig leichter, mit immer wechselnden Partnern Worte zu wechseln. Ab und zu halten wir auch inne und hören vielleicht einen Text und manchmal halten wir vielleicht auch einen kleinen Stein in der Hand, der symbolisch für den Verstorbenen mit unterwegs war. Außerdem biete ich auch Stationen zum In-Sich-Gehen an. Wir sind etwa eineinhalb Stunden unterwegs und schließen das Wandern mit einer Kaffeerunde ab.
Fliege: Die Trauerwanderung ist Teil des persönlichen Trauerweges und sie soll auch der gemeinsame Weg sein, der früher oder später zu einem Ziel führt. Manche erzählen immer wieder dasselbe oder weinen. Damit muss man leben und man muss bedenken, dass eine Trauer krankhaft werden kann. Die Wanderer sollten jedoch erkennen, dass das Leben weiter geht, aber in einer anderen Weise. Sie sollten am Ende akzeptieren, dass der Verlust zum Leben gehört und man es nicht mehr ändern kann. Sie sollten ein Gefühl dafür bekommen, dass es passt.
Fliege: Für Leute, die glauben oder spirituell unterwegs sind, ist eine Begleitung einfacher zu gestalten, weil solche Leute ein Ziel haben, das irgendwohin geht und der Glaube dabei vielleicht Halt gibt. Trotzdem habe ich auch hier viele Menschen erlebt, die mit ihrem Schicksal nicht zufrieden sind oder gar mit Gott hadern. Aber auch Atheisten können ihre Festigkeit haben und glauben, dass sie sich in Atomen oder Natur wiederfinden und alles wieder zurückgeht.
Fliege: Ich begebe mich monatlich in eine Supervision mit einer ausgebildeten Theologin oder Psychologin. Dabei bekomme ich hilfreiche Tipps und vor allem wird die Professionalität des Tuns geschult. Schließlich geht einem manches ganz nah. Und trotzdem muss man über der Sache stehen und auch einmal nein sagen können.
Fliege: Erst vor kurzem kam zu mir eine junge Frau und bedankte sich mit den Worten: "Ich hatte das Gefühl, dass ich ernst genommen werde, dass Sie alles stehen gelassen haben, was und wie ich es erzählte, dass Sie mich nicht umkrempeln wollten und dass alle Gespräche unter uns bleiben." Eine andere sagte: "Ich bin ganz froh und warte schon auf den nächsten Termin."