Ja früher, da waren der Pfarrer, der Lehrer und der Bürgermeister noch echte Respektspersonen. Inzwischen gibt es auch Lehrerinnen, Bürgermeisterinnen, und - wenn auch noch nicht in jeder Konfession - Pfarrerinnen. Aber daran liegt es natürlich nicht, dass die Autoritäten von einst heute wie Normalsterbliche behandelt werden.
Beispiel Kommunalpolitik. Da hat man noch manch alten Bürgermeister vor Augen, der agiert hat wie ein kleiner König. Heute sind die Rathauschefs eher Teamplayer. Sie haben das "Gemacht wird, was ich sage" ersetzt durch die Gratwanderung, ständig zwischen verschiedenen Interessen zu moderieren.
Die Bürgerinnen und Bürger werden selbstbewusster
In gleichem Maße, wie der Sockel, auf dem die Kommunalpolitiker stehen, geschrumpft ist, ist das Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger gewachsen. Sie wollen - wie jetzt in Knetzgau, wo die Gemeinde ein neues Baugebiet plant - mitreden, mitplanen, mitbestimmen. Die Geschicke der Heimat alle sechs Jahre in "fremde" Hände zu legen, reicht den Menschen nicht mehr. Wenn es um ein Thema geht, das sie berührt, wollen sie ohne Umwege dabei sein.
Das nennt sich direkte Demokratie - und ist vom Grundsatz her begrüßenswert. Wenn sich in Knetzgau Häuslebesitzer einbringen wollen und darauf drängen, ihnen die geplanten Mehrfamilienhäuser nicht genau vor die Nase zu setzen, sondern an den Siedlungsrand, ist das ebenso verständlich wie legitim.
Nicht in meinem Vorgarten?
Aber das Ganze hat - völlig losgelöst vom Knetzgauer Beispiel - auch eine Schattenseite: Ob neues Baugebiet oder ein Einkaufszentrum, Windrad oder Wertstoffhof: Es liegt in der Natur der Sache, dass immer wieder Entscheidungen an Ratstischen das unmittelbare Lebensumfeld zumindest von Teilen der Bürgerschaft betreffen. Das löst dann schnell den "Anderswo-gerne-aber-nicht-in-meinem-Vorgarten-Reflex" aus.
Was ist dann demokratischer? Der mehrheitliche Beschluss der Gemeinderäte mit dem Bürgermeister an der Spitze, die allesamt als Volksvertreter demokratisch eben zum Zwecke der politischen Entscheidung gewählt sind - oder der unmittelbare Wille der Bürger oder oft nur einer Interessensgruppe, die auch nicht für sich beanspruchen kann, für alle zu sprechen?
Hier den richtigen Weg zu finden, das wird in Zukunft viel mehr Aufgabe von Lokalpolitikern sein als es früher der Fall war. Bürgerinnen und Bürger fordern zurecht Transparenz und Mitbestimmung ein. Sie müssen aber auch wissen, dass sie die Entwicklung ihrer Kommune lahmlegen, wenn sich gegen jedes Projekt eine Bürgerinitiative bildet. Und sie müssen wissen, dass nicht jeder im Recht ist, bloß weil er laut schreit.
Ein Bürgermeister ist kein König, eine Bürgermeisterin keine Königin, Stadt- und Gemeinderäte keine Prinzen und Prinzessinnen. Aber auch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger sind eben keine Majestäten, deren Wünsche alle in Erfüllung gehen können.