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Alle Flüchtlingsfamilien hatten zunächst nur Anspruch auf einen einzigen Raum. Familien mit Kindern unter 14 Jahren sollten in heizbaren Räumen untergebracht werden. Evakuierte und geflüchtete Einzelpersonen sowie Ehepaare ohne Kinder mussten die Räume wechseln. Alleinstehende Männer und Frauen wurden gezwungen, mindestens zu je zwei Personen ein Zimmer zu beziehen. Immer wieder versuchte man der einheimischen Bevölkerung klarzumachen, dass die Maßnahmen zwar hart, aber doch notwendig seien und es im Interesse aller liege, wenn die Menschen restlos untergebracht würden, „damit wir es nicht mit Seuchen und herumstreunenden Banden zu tun bekommen.“
In Zeil wohnten im Oktober 1945 2767 Personen, die sich die 1733 Zimmer mit insgesamt 21 624 Quadratmetern an Wohnfläche (ohne Küche, Bad und Treppenhäuser) teilen mussten. Daraus ergab sich ein durchschnittlicher Wohnraum von rund 7,8 Quadratmetern pro Person. Dabei gab es zum Teil erhebliche Abweichungen. So teilte sich eine siebenköpfige Familie ganze 15 Quadratmeter Wohnfläche. Ein zugezogener Arzt bewohnte zu diesem Zeitpunkt mit drei Personen ein 14 Quadratmeter großes Zimmer. Heute beträgt die Wohnfläche pro Einwohner in Bayern im Durchschnitt 47 Quadratmeter.
Der erste Flüchtlingstransport aus dem Osten traf im Landkreis Haßfurt am 5. Februar 1946 ein. Zeil erhielt am 10. Februar 69 Personen zugewiesen. Für die Verpflegung der Flüchtlinge und derjenigen, welche in den Privatquartieren keine Kost erhalten konnten, wurde eine Gemeinschaftsküche in der Gastwirtschaft „Zur Rose“ (heute „Bürgerstube“) eingerichtet. Ein Kochkessel einer Schweinfurter Kugellagerfabrik und ein Großherd der Weberei kamen zum Einsatz. Gekocht haben unter Mithilfe von Flüchtlingen die Mutter und die Großmutter der Gastwirtsfamilie Georg Hofmann. Als Speiseraum dienten die Lokalitäten der Gastwirtschaft. Hier nahmen je 50 bis 60 Personen in drei Schichten ihr Essen ein.
Die Flüchtlingskommission ließ durch Ausschellen und Anschläge bekannt geben, dass jeder verfügbare Wohnraum beschlagnahmt und jeder Zuzug gesperrt ist. Der Göller-Saal und der Saal im „Roten Roß“ (wo bereits Betten aufgestellt waren) wurden als Durchgangslager eingerichtet. Zur Einrichtung des Göller-Saales wurden Bettstellen von der Weberei besorgt. Hier waren Schlafstellen für die Zwangsarbeiter aus dem Osten untergebracht, die mittlerweile heimgekehrt waren. Die beiden Säle konnten etwa 150 Personen aufnehmen.
Weil es an Möbeln fehlte, zimmerten sich manche Vertriebene anfangs Stühle, Tische oder Schränke aus Kistenbrettern zusammen. Einige besorgten sich hierfür beim Sägewerk Hümpfner Schwartenbretter.
Um die Streitereien wegen der unterschiedlichen Ernährungs- und Eßgewohnheiten zu reduzieren, kamen im Flüchtlingslager Ebelsbach jeweils eine Woche lang die gewohnten Kochrezepte der verschiedenen Herkunftsgebiete zu ihrem Recht. An alle Federviehhalter im Landkreis erging der Aufruf, Federn abzuliefern, und zwar in einer Menge, dass ausreichend Deckbetten damit gefüllt werden können.
Auf die Stadt kamen nicht nur erhebliche Verwaltungsarbeiten zu. Es gab auch beträchtliche Ausgaben, die nicht vorhersehbar waren. Der Zeiler Stadtrat löste 1946 dann eine im Haushalt eingestellte Rücklage auf, die eigentlich für die Ehrung heimkehrender Soldaten vorgesehen war. Die 3000 RM verwendete man für die ansteigenden Kosten der Fürsorge für die Flüchtlinge. Mit Beendigung des Krieges hatte sich die Zahl der Evakuierten zwar auf 237 reduziert. Dafür hatte Zeil mittlerweile aber 607 Flüchtlinge, vornehmlich aus der CSSR, aufgenommen.
In Zeil initiierte die Stadt von Anfang an Maßnahmen, welche die Eingliederung der Neubürger erleichtern sollten. Diese Bemühungen wurden durch die große Bereitschaft der Heimatvertriebenen gefördert. Als Beispiel mag ihre Bereitwilligkeit gelten, der damals personell ausgezehrten Feuerwehr beizutreten und sich als Feuerwehrleute ausbilden zu lassen. Dies verdient hohe Anerkennung, da zu diesem Zeitpunkt fast niemand unter den Flüchtlingen eine große Habe besaß, geschweige denn über Haus und Hof verfügte.
Nicht nur die Unterbringungsmöglichkeiten, sondern auch die Beschäftigungsmöglichkeiten waren in unserem Raum sehr beschränkt. Die Bauernhäuser in den Landgemeinden waren gewöhnlich klein und in der Regel für den Bedarf einer bescheidenen Familie gebaut. Wo aber ein Haus eine zweite Familie oder mehr aufnehmen konnte, fehlten zumeist eine zweite Kochstelle sowie die Möglichkeit zum Heizen. Daher mussten oft doppelt oder dreimal so viele Hausbewohner wie zuvor auf einem einzigen Herd kochen.
Zu Beginn des Jahres 1947 hätten die Flüchtlinge allein im Kreis Haßfurt mindestens 1200 Herde und Öfen benötigt. Die Zuteilung durch das Regierungswirtschaftsamt stand in keinem Verhältnis zum Bedarf. Die letzte Zuteilung für den Regierungsbezirk Unterfranken war so gering, dass der Landkreis mit seinen 67 Gemeinden lediglich mit fünf Herden und vier Öfen bedacht werden konnte. Sogar Ofenrohre wurden gesucht und beschlagnahmt.
Die obstreiche Stadt Königsberg fuhr 1947 eine größere Ladung Äpfel nach Essen. Dort tauschte man sie bei einer Gießerei gegen kleine, gusseiserne Öfen für die Flüchtlinge ein. 1948 setzte das Forstamt Eltmann die Stadt Zeil in die Lage, an die äußerst knappe Hausbrandkohle zu kommen. Das Forstamt stellte der Stadt 500 Festmeter Fichtengrubenholz zur Verfügung, um hierfür bei den Bergwerken Steinkohle einzutauschen.
Für die Leute, die keine Feuerstelle besaßen oder sich kein Brennmaterial leisten konnten, stellte Zeil in der Volksschule Wärmestuben zur Verfügung. Nicht immer waren solche Gemeinschaftseinrichtungen ein Erfolg. Das im „Roten Roß“ untergebrachte Übernachtungsheim für Flüchtlinge war teilweise „zu einer Einniststätte für arbeitsscheue Elemente ausgeartet“. Es wurde hauptsächlich aus diesem Grunde aufgelöst.
In der konstituierenden Sitzung des neuen Stadtrates hob Bürgermeister Rudolf Winkler 1948 hervor, dass zum ersten Male in der Geschichte der Stadt in den Stadtrat Mitglieder eingezogen seien, die noch nicht auf „lang anhaltende Bürgerschaft“ zurückblicken könnten. Das neue Wahlgesetz ermöglichte es, dass ein wesentlicher Teil der Einwohnerschaft die neuen Bürger als gleichberechtigt und mitbestimmend in die Führung aufnahm und an der Lenkung des Geschickes der Stadt mitwirken ließ.
Anlässlich einer Flüchtlingswallfahrt zum Zeiler Käppele warnte der Zeiler Kreisrat Felix von Luschka vor etwa 1200 Ausgewiesenen vor einem Radikalismus. Den Besitzenden rief er zu, die Herzen und, wenn nötig, auch die Taschen weit aufzureißen, damit die schwergeprüften Heimatvertriebenen nicht zu Grunde gehen müssen. Und bei einer Großkundgebung in Haßfurt hob ein Sprecher die große Zahl der Heimatvertriebenen hervor, die hätten durch Charakterstärke und Disziplin bis jetzt Ruhe bewahrt. Man solle aber nicht vergessen, dass mit den Flüchtlingen zwischen jedem Dorfein- und Dorfausgang Dynamit gelagert sei, das jederzeit leicht in die Luft gesprengt werden könne.
Bei der Gründung der Südostdeutschen Landsmannschaft sagte ein früherer Bürgermeister aus dem Banat: „Wir kamen zwar mit leeren Händen, aber nicht mit leeren Köpfen.“ Die zahlreichen unternehmerischen Initiativen der „Zugezogenen“ unterstrichen diese Feststellung. Bei einer Zählung der Flüchtlingsbetriebe in der Stadt Zeil kam man 1950 auf 22 Firmen. Dass die Integration von so vielen Neubürgern gelang, ist eine gesellschaftspolitische Leistung ersten Ranges.
Große Hilfsbereitschaft zeigte die Zeiler Bevölkerung, als im Sommer 1982 vietnamesische Flüchtlingsfamilien in Zeil eintrafen. Dem Aufruf der Stadt, Bekleidung sowie Möbel und sonstige Einrichtungsgegenstände für die mittellosen „Bootsflüchtlinge“ zu spenden, folgte eine Welle der Hilfsbereitschaft und Spendenfreudigkeit. Mit diesem beispielhaften Verhalten hat die Zeiler Bevölkerung bei den vom Schicksal schwer getroffenen Vietnamesen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und den Willen zur Selbsthilfe wesentlich gefördert.
Mittlerweile leben Vietnamesen in der dritten Generation in den Mauern der Stadt Zeil.