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Ist die Legalisierung von Cannabis der Königsweg oder eine Sackgasse? Das sagen Experten im Haßbergkreis
Der Polizei machen vor allem die Gefahren im Straßenverkehr Sorgen; Therapeuten beklagen hingegen die Kriminalisierung der Betroffenen.
Gefährlich oder unproblematisch: Darüber, was die Legalisierung von Cannabis bedeuten würde, scheiden sich die Geister. (Symbolbild)
Foto: Annette Riedl, dpa | Gefährlich oder unproblematisch: Darüber, was die Legalisierung von Cannabis bedeuten würde, scheiden sich die Geister. (Symbolbild)
Wolfgang Aull
 |  aktualisiert: 15.07.2024 15:35 Uhr

Die Cannabisfreigabe und damit der legale Konsum in Deutschland ist auf der Zielgeraden: ab 18 Jahren soll der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis erlaubt werden, privat darf man als Erwachsener dann bis zu drei "weibliche blühende Pflanzen" anbauen. Das Verkehrsministerium zieht mit, wird einen Grenzwert für Autofahrer vorschlagen. Die Redaktion hat sich umgehört, wie die Experten-Meinungen dazu sind.

Maximilian Basser ist Polizeioberkommissar des für den Haßbergkreis zuständigen Polizeipräsidiums Unterfranken."Cannabis als Rauschmittel wirkt in viele Bereiche unserer Polizeiarbeit in Unterfranken hinein", schreibt er. Dies umfasse die Bekämpfung von direkter Rauschgiftkriminalität wie Handels- und Besitzdelikte, indirekte Rauschgiftkriminalität in Form von Diebstahlsdelikten als Teil von Beschaffungskriminalität und Verkehrsdelikte im Zusammenhang mit cannabisberauschten Fahrern.

Konsum von Cannabis habe deutlich mehr und größere Unwägbarkeiten als der von Alkohol: So sei der konsumierte THC-Gehalt eine Unbekannte, da weder die Cannabis-Sorte noch die Pflanze selbst standardisiert seien. In der Folge variiere die aufgenommene Menge am psychoaktiv wirkenden Cannabinoid THC, abhängig von Konsumart und Konsumerfahrung, ganz wesentlich. Hinzu könnten mögliche Wechselwirkungen mit Alkohol oder Arzneimitteln kommen. Und es sei durch Laien nicht einfach zu bestimmen, wie es sich mit den erforderlichen Wartezeiten nach dem Konsum von Cannabis bis zur Wiedererlangung der Fahrtüchtigkeit verhält.

"Natürlich spielt Cannabis eine große Rolle in unserer Arbeit, da etliche der Patienten cannabisabhängig sind."
Robert Soto-Löwenthal, Leiter der Fachklinik Schloss Eichelsdorf

Robert Soto-Löwenthal leitet die Fachklinik Schloss Eichelsdorf bei Hofheim. Sie behandelt Drogenabhängige seit 45 Jahren. "Natürlich spielt Cannabis eine große Rolle in unserer Arbeit, da etliche der Patienten cannabisabhängig sind". Die Legalisierung würde trotzdem viele Vorteile mit sich bringen, denn ein großes Problem stelle die Illegalität von einer Droge dar. "Viele meiner Patienten haben sich strafbar gemacht, weil sie Cannabis in ihrem Besitz hatten. Nicht nur, dass es sehr ungerecht ist, wie unterschiedlich das von Bundesland zu Bundesland gehandhabt wird, sondern dass Leben zerstört werden!"

Soto-Löwenthal: Die Behandlung dauert nach einer Cannabis-Entgiftung dauert etwa fünfeinhalb Monate stationär. 'Also kein Kinderspiel das Ganze..'
Foto: Wolfgang Aull | Soto-Löwenthal: Die Behandlung dauert nach einer Cannabis-Entgiftung dauert etwa fünfeinhalb Monate stationär. "Also kein Kinderspiel das Ganze.."

Durch die Legalisierung mache man sich zu mindestens nicht mehr strafbar und derjenige könne sich eher Hilfe holen: "So wie in Alkoholiker-Fachkliniken Alkohol relevant ist, ist Cannabis, und selbstredend andere Drogen, bei unserer Arbeit relevant". Trotzdem würde niemand in einer Alkoholiker-Klinik Alkohol verbieten wollen, meint er, denn das Risiko, dass Betroffene sich aushelfen in Form von "Selbstherstellung", sei zu groß.

Für Jugendliche ist Cannabis eine gefährliche Droge

Einig sind sich Basser und Soto-Löwenthal in der Gefahrabschätzung von Cannabis für Jugendliche: "Cannabis ist eine gefährliche Droge, erhöht das Risiko, eine psychotische Episode zu erleben und eventuell eine schizophrene Psychose zu entwickeln", schreibt der Klinikleiter. Zudem entstehe, wenn zu früh konsumiert, eventuell ein "Demotivational-Syndrom": Dabei verliere das Individuum oftmals seine Motivation etwa zur Uni zu gehen, Abschlüsse zu machen und so weiter.

Basser argumentiert ähnlich: "Das menschliche Gehirn entwickelt sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen deutlich über das 18. Lebensjahr hinaus". Ein dauerhafter Verlust von Konzentrations-, Lern- und Leistungsfähigkeit stünde bei Konsum in jungen Lebensjahren zu befürchten. Darüber hinaus bestünden auch unterschiedlich ausgeprägte Risiken für körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden, kognitive Störungen, also Einschränkungen in Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit sowie Abhängigkeitsentwicklung, psychische Störungen und psychosoziale Folgen wie verminderte Bildungschancen.  

Ist Cannabis eine Einstiegsdroge? Aus Sicht von Basser scheint dies zuzutreffen, er verweist auf den Europäischen Drogenbericht von 2022, dem zu entnehmen ist, dass Cannabis für 45 Prozent aller Patientinnen und Patienten Auslöser für eine drogenbedingte Behandlung war.

Soto-Löwenthal argumentiert, das Problem sei weniger die Droge an sich als deren Illegalisierung: Diese führe Konsumentinnen und Konsumenten von Cannabis zur Illegalität und somit zu potentiellen anderen Drogen. Cannabis vom Dealer sei oft versetzt mit Stoffen, um das Gewicht zu erhöhen. "So wurden unlängst Bleipulver, Haarspray, Glas et cetera gefunden". Damit wäre die Frage der "Einstiegsdroge" beantwortet. Auch sei in Fachkreisen die These der "Einstiegsdroge" vom Tisch. "Zigaretten sind, wenn Sie so wollen, auch eine Einstiegsdroge".

Der Polizei macht der Straßenverkehr Sorgen

Basser sieht neben den gesundheitlichen Risiken durch den Konsum von Cannabis insbesondere die damit verbundenen Gefahren im Straßenverkehr als problematisch an". Cannabis-Konsumenten trügen die umfassende persönliche Verantwortung für die Beurteilung der eigenen Fahrtüchtigkeit. Durch die Legalisierung würde die Wirkung von Cannabis weiter verharmlost, häufige Fehleinschätzungen mit dann erheblichen Auswirkungen auf die Straßenverkehrssicherheit seien vorprogrammiert.

Soto-Löwenthal sieht in der Legalisierung große Erleichterungen und setzt auf die Reinheit legal erworbener Ware: "Cannabis wird sehr häufig konsumiert, trotz des Verbots". Und genau da setze die Liberalisierung von Cannabis ein: "Sogenannte Kräutermischungen, die zum Teil legal im Shop oder online erworben werden, sind potentiell tödlich."

Toni Michels: 'Cannabis ist nicht das Thema'
Foto: Wolfgang Aull | Toni Michels: "Cannabis ist nicht das Thema"

Bei jungen Menschen, meint die Polizei, sei eher mit einer Zunahme zu rechnen, da der Eindruck entstehen kann, Cannabis wäre nicht so gefährlich, da es ja legal - zumindest für Erwachsene - zu erwerben, zu besitzen und zu konsumieren ist. Der Kinder- und Jugendschutz würde untergraben: "Wie jetzt bereits bei Alkohol und Tabak ist zu befürchten, dass die Beschaffung über volljährige und damit zum Erwerb berechtigte Freunde, Bekannte und Verwandte eine deutlich niedrigere Hemmschwelle bedeuten wird."

Auch die Cannabis-Entgiftung ist "kein Kinderspiel"

Der Klinikleiter argumentiert, dass viele, parallel zum Alkohol, mit der Substanz zurechtkämen. Er schätzt, dass circa fünf Prozent Probleme bekämen und professionelle Hilfe benötigten. Die Behandlung dauere nach einer so genannten Entgiftung etwa fünfeinhalb Monate stationär. "Also kein Kinderspiel das Ganze."

"Cannabis ist keine Einstiegsdroge"
Toni Michels, Initiator des Jugendtreffs Ebern

Toni Michels (63) hat 1986 das Jugendtreff in Ebern ins Leben gerufen. Für ihn ist Cannabis "nicht das Thema". Einstiegstor in das Drogenmilieu seien für die Jugendlichen üblicherweise Alkohol und Zigaretten, mit täglich mehr als 200 Toten, während Canabistote nicht zu beklagen seien. Cannabis führe zu Illegalität, nicht zur Sucht.

Sicher gebe es Ausnahmen, aber er habe sehr viele Menschen Cannabis rauchen gesehen, und für ihn steht fest, dass nur ein ganz geringer Prozentsatz davon abhängig werde: "Cannabis ist keine Einstiegsdroge". Problematischer bezeichnet er Modedrogen wie Ecstasy, Crystal Meth und "die Teufelsdroge Tranq". Auch bereite ihm das sich ausbreitende "Shisha - Rauchen" Sorge: "viele Eltern finden das in ihrer Blauäugigkeit cool, aber da weiß man nicht, was drin ist".

Stabilisierung der Psyche sei das große Thema, denn weitere Suchtgefahren lauerten: Spielsucht, Konsumsucht, Modesucht, Medikamentensucht. "Die Jugendlichen müssen in die Vereine, sich behaupten lernen, Anerkennung finden und zu Persönlichkeiten reifen können". Dies wäre Suchtbekämpfung, nicht die Kriminalisierung von Cannabis oder die Verteufelung eines gelegentlichen Feierabendbieres.

 
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Kommentare
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  • Alfred Mahler
    Die liebe Polizei sollte einfach mal den Blick auf Länder richten, die bereits legalisiert haben. Sähe man nach Kanada oder nach den USA ,Portugal, etc. stellte man fest, dass die Anzahl der Verkehrsunfälle nach Legalisierung rückläufig sind. Auch in Deutschland darf man inzwischen als Cannabispatient am Verkehr teilnehmen, da bei regelmäßigem Konsum kein Unterschied zu nüchternen Fahrern festgestellt werden konnte.
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  • Johannes Metzger
    Ich kann die Diskussion über die Cannabisfreigabe nicht mehr nachvollziehen.
    Würden sich die Gegner einer Freigabe genauso intensiv und ernsthaft mit der viel gefährlichere, harten Droge Alkohol auseinandersetzen, wäre uns allen deutlich mehr geholfen.
    In Kürze wird wieder das größte Drogenfestival der Welt in München eröffnet. Dort geht man, wenn überhaupt, mit Kritik viel sparsamer um.
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  • Stefan Flessa
    Okay. Wir akzeptieren Alkis und Alkoholtote deshalb müssen wir bei Cannabis das Gleiche tun?

    Ist es nicht eher andersherum: jeder Alki ist einer zu viel, Tote wegen Alkohol sind Mist, lasst uns dagegen etwas tun!

    Und deshalb gerade Cannabis zu legalisieren. Echt jetzt?

    Eine Argumentation wäre doch auch: es werden immer wieder Menschen umgebracht, also lasst uns den Straftatbestand Mord, fahrlässige Tötung etc. abschaffen.

    Ich denke dieses - zugegebenermaßen krasse Beispiel- macht deutlich, was wir tun. Helfen wir damit wirklich den Betroffenen? Wir machen es uns damit leichter. Aber zu Recht?
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  • Alfred Mahler
    Gerade so ist es eben nicht. Diejenigen die sich vorher besoffen ans Steuer gesetzt haben, steigen hoffentlich auf Cannabis um. Damit ist die Wahrscheinlichkeit einen Unfall zu verursachen deutlich geringer, da im Gegensatz zu Alkohol der enthemmt, eher das Gegenteil erreicht wird. So zumindest die Vermutung der Wissenschaftler die den Rückgang der Verkehrsunfälle/Unfalltoten in den Ländern nach Legalisierung beobachtet haben.
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