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Sand am Main
Haßberge: Wie ein Miet-Modell den Ärztemangel stoppen soll
Dr. Michael Eis aus Sand führt die erste gemietete Arztpraxis im Landkreis. Die Idee dazu hatte Thomas Neundörfer aus Fatschenbrunn. Warum "Leasymed" ein Erfolg werden kann.
Dr. Michael Eis und seine drei Mitarbeiterinnen genießen das neue und schöne Ambiente in der Miet-Praxis in Sand.
Foto: Matthias Lewin | Dr. Michael Eis und seine drei Mitarbeiterinnen genießen das neue und schöne Ambiente in der Miet-Praxis in Sand.
Matthias Lewin
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:00 Uhr

"Eine Arztpraxis einzurichten kostet gut und gerne 150 000 bis 200 000 Euro", meint Thomas Neundörfer. Die Immobilie selbst, Handwerksleistungen, medizinische Geräte – das alles verschlingt eine Menge Geld, noch bevor der erste Patient die Praxis betritt. Und es kostet Zeit. Beides Gründe, warum viele junge Ärzte den Schritt zu einer eigenen Praxis auf dem Land scheuen, glaubt Neundörfer zu wissen. Das will der 60-Jährige aus Fatschenbrunn, der in Estenfeld bei Würzburg eine Firma für Medizintechnik führt, ändern. Seine Idee: die Miet-Praxis. Dabei könnten Ärzte sich ein individuell nach ihren Wünschen zugeschnittenes Komplettpaket "leasen". Neundörfer nennt es "Leasymed". Darin enthalten ist eine komplett eingerichtete Praxis nach den jeweiligen Wünschen des Mediziners. 

Über 20 Jahre ist Dr. Michael Eis bereits Allgemeinmediziner in Sand am Main. Der gut 60-Jährige war bis Ende letzten Jahres in einer Gemeinschaftspraxis in der Korbmachergemeinde tätig, wollte sich nun aber noch einmal allein versuchen. Und da kam die Bekanntschaft mit Tomas Neundörfer gerade recht. Der Fatschenbrunner, selbst Patient bei Michael Eis, führt zusammen mit seinem Sohn Adrian ein Unternehmen, das in Nordbayern rund 1000 niedergelassene Arztpraxen, Mediziner, Kliniken, Kurkliniken, Physiotherapiepraxen und medizinische Einrichtungen betreut. Und eine besondere Idee hatte.

Komplettpaket

Neundörfer stellt mit seiner Firma eine komplette Arztpraxis mit allen relevanten Bausteinen und Funktionen zum Mieten bereit. Für Michael Eis eine "sehr angenehme Aussicht. Ich hätte nach meinem Entschluss, noch einmal eine eigene Praxis zu eröffnen, viel Zeit und Geld investieren müssen. So konnte ich die gesamte Planung und die von mir gewünschte Ausstattung in andere Hände geben, anstatt sämtliche Angebote von Handwerkern etc. selbst einzuholen. Das wäre ein riesen Aufwand gewesen, den ich neben der Arbeit niemals hätte leisten können". So konnte der Internist nahtlos von der alten in die neue Praxis umziehen. Die sitzt nun seit Anfang April in der Zeiler Straße in den Räumen der ehemaligen Raiffeisenbank. Und das nur drei Monate nach den ersten Planungen.

"Das Konzept beinhaltet nicht nur ein Leasing-Angebot. Wir stellen eine kompakte Leistung zur Verfügung, damit, wie hier in Sand, Räume so zur Verfügung gestellt werden können, dass möglichst schnell, unkompliziert und ohne großes finanzielles Risiko eine Nutzung möglich ist", sagt Neundörfer. Dem jeweiligen Arzt oder der Ärztin bleibe so nur noch die Suche nach dem Personal. 

Dr. Michael Eis (links) profitiert vom 'Komplettpaket', das ihm Thomas Neundörfer, Geschäftsführer der Strätz FN Medizintechnik GmbH aus Estenfeld, zur Verfügung stellt.
Foto: Matthias Lewin | Dr. Michael Eis (links) profitiert vom "Komplettpaket", das ihm Thomas Neundörfer, Geschäftsführer der Strätz FN Medizintechnik GmbH aus Estenfeld, zur Verfügung stellt.

Neundörfer hofft, dass dieses Konzept auch von jungen Medizinern, die den ersten Schritt in die Selbstständigkeit gehen möchten, genutzt wird. "Damit", so Neundörfer, "kann vielleicht sogar dem Landarztmangel begegnet werden. Jedes Jahr gehen immerhin mehr Landärzte in den Ruhestand, als junge Mediziner ausgebildet werden", kennt der Geschäftsmann das Problem "Ärztemangel". Zudem "kollidiert die Arbeit in einer klassischen Landarztpraxis zumeist mit den Vorstellungen junger Fachkräfte von einem Berufsleben mit Teamarbeit und ausgewogener Work-Life-Balance", hat der Fatschenbrunner beobachtet.

"Ich hätte nicht gedacht, dass das in drei Monaten so dasteht, wie es dasteht."
Dr. Michael Eis, Allgemeinmediziner in Sand

Der 60-Jährige betreut seit rund 35 Jahren Arztpraxen in Nordbayern, rüstet sie mit sämtlichen medizinischen Geräten und Materialien aus. In dieser Zeit hat er die Markt-Entwicklung der Arztpraxen beobachten können und festgestellt, dass die Zahl der Landärzte immer mehr abnimmt. "Dabei ist der Landarzt wichtig. Er ist mit der Bevölkerung verwachsen und muss erhalten bleiben." Aus dieser Problematik sei die Idee gewachsen, Miet-Praxen anzubieten. Neundörfer nennt sein Modell "Leasymed". "Wir wissen wie gearbeitet wird. Die gewünschte Individualität wird mit den Ärzten besprochen und umgesetzt", betont Neundörfer. Die notwendigen Handwerksarbeiten werden in der Regel an lokale Unternehmen vergeben.

Die Praxis von Michael Eis ist die erste ihrer Art, eine Art "Pilotprojekt". Der Miet-Vertrag zwischen der Strätz-GmbH und dem Sander Mediziner läuft über 36 Monate. "Die Miet-Kosten sind sehr überschaubar", verspricht Neundörfer. Nach viereinhalb Jahren ginge die komplette Praxis in den Besitz des Mieters über. Gibt es trotz aller Bemühungen keinen Nachfolger in der Arztpraxis, geht die komplette Ausstattung – analog zum Fahrzeug-Leasing – wieder zurück an Neundörfers Unternehmen.

Technik auf dem neuesten Stand

"Ich war begeistert", beschreibt der Allgemeinmediziner seinen ersten Eindruck, nachdem er Neundörfers Angebot erhalten hatte. "Ich habe vor über 20 Jahren ein Haus in Sand kernsaniert und weiß um die Probleme, die es gibt, wenn Angebote eingeholt werden und die einzelnen Handwerker koordiniert werden müssen. Und das konnte ich alles abgeben. Das war unheimlich komfortabel. Ich konnte meine Wünsche äußern und die wurden dann in die Tat umgesetzt. Ich hätte nicht gedacht, dass das in drei Monaten so dasteht, wie es dasteht."

"Meine Patienten schätzen das schöne, neue Ambiente in der Praxis", hat Eis beobachtet. Auch die Technik, komplett auf dem neuesten Stand, komme den Patienten und natürlich auch den drei Mitarbeiterinnen in der Praxis zugute, glaubt Michael Eis, den richtigen Weg  beschritten zu haben. 

Miet-Modell als "Lockmittel" für Ärzte

"Angesichts des steigenden Bedarfs an medizinischen Leistungen und dem knapper werdenden Angebot an ärztlichen und generell medizinischen Leistungen kommt der Zeitersparnis eine hohe Bedeutung zu", bestätigt Thomas Neundörfer die Worte seines ersten Miet-Kunden. Unter dem Motto "Mehr Zeit für Medizin" wolle man den Ärzten einen einzigen Ansprechpartner bereitstellen, "der diesen ganzheitlich, kompetent und verlässlich betreut." 

Sollte sein Miet-Modell erfolgreich sein, ist laut Neundörfer ("Selbstverständlich ist auch ein wirtschaftlicher Erfolg des Konzepts in unserem Interesse") durchaus denkbar, es nicht nur Allgemeinmedizinern, sondern auch Fachärzten anzubieten. Und auch Kommunen. Die könnten so mit einer komplett eingerichteten Praxis neue Ärzte "anlocken" - und das möglichst im ganzen Land. "Unser Ziel ist die bundesweite Verbreitung dieses Konzepts, um die hausärztliche Versorgung in strukturschwachen Regionen zu gewährleisten", erhofft sich Neundörfer einen Export seiner Idee, die in Sand erstmals Realität wurde. Um dieses Ziel zu erreichen, stehen überregionale Anwalts- und Steuerberatungskanzleien sowie Unternehmensberatungen und ein Sachverständigenbüro bereit, die sich auf die Ärzteschaft spezialisiert haben.

 
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