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Kreis Haßberge
Haßberge-Redaktion: Wann wir die Tragweite von Corona erkannt haben
Lange hat die Bevölkerung in Deutschland die Gefährlichkeit des Virus unterschätzt. Doch irgendwann kam für jeden der Moment, in dem klar wurde: Das ist eine echte Krise.
Die Kulinea 2020 dauerte von Freitag, 28. Februar, bis Sonntag, 1. März. 'Jede Wette, ein zwei Wochenenden später wäre die Landkreis-Genussmesse abgesagt worden', meint Matthias Lewin.
Foto: Christian Licha | Die Kulinea 2020 dauerte von Freitag, 28. Februar, bis Sonntag, 1. März. "Jede Wette, ein zwei Wochenenden später wäre die Landkreis-Genussmesse abgesagt worden", meint Matthias Lewin.
Jochen Reitwiesner
,  Markus Erhard
,  Martin Sage
,  Peter Schmieder
 und  Wolfgang Sandler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 18:34 Uhr

Bei den ersten Meldungen über ein neues Virus und dessen Ausbreitung rechneten noch die wenigsten Menschen in Deutschland damit, wie sehr diese Krankheit unser aller Leben verändern würde. Nach Rinderwahn, Schweinegrippe und anderen Krankheiten der vergangenen Jahrzehnte dachten viele, Corona würde ebenso spurlos an der breiten Masse der Bevölkerung vorbeigehen.

Doch dann kam die Erkenntnis, dass es sich hier um etwas anderes handelt – etwas größeres. So haben Mitglieder dieser Redaktion den Moment erlebt, in dem ihnen klar wurde, dass Corona mehr als "nur eine Grippe" ist.

Peter Schmieder

Peter Schmieder
Foto: Patty Varasano | Peter Schmieder

Als in deutschen Apotheken Desinfektionsmittel und Masken ausverkauft waren, dachte ich noch: "Da wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben." Oft war zu hören, dass ja auch an der Grippe jährlich viele Menschen sterben. Alle paar Jahre gibt es doch Medienberichte über irgendeine neue Krankheit. Dann drehen die Leute durch und irgendwann verpufft der Hype wieder. Warum sollte das diesmal anders sein? Dass Corona eine andere Dimension haben würde, war eine Erkenntnis auf Raten.

Besonders ist mir der 13. März in Erinnerung geblieben. Da hatte ich Karten für ein Konzert. Zahlreiche andere Veranstaltungen waren schon abgesagt, nur diese eine sollte tatsächlich stattfinden. Also, was mache ich? Hinfahren oder das Ticket verfallen lassen? Insgeheim hatte ich gehofft, dass der Veranstalter das Event absagen und mir die Entscheidung abnehmen würde. Letztlich bin ich an dem Abend daheim geblieben. Mit der Erkenntnis, dass ich Angst vor etwas hatte, von dem ich mir doch keine Angst machen lassen wollte.

Markus Erhard

Markus Erhard
Foto: Angie Wolf | Markus Erhard

Wuhan? Nie gehört! Zumindest nicht bis Anfang Januar 2020. Im Radio bekam ich erstmals von einem Virus mit, das sich irgendwo in China schnell ausbreiten soll. Aber muss mich das beunruhigen? Das ist so weit weg und überhaupt: Soll ich mir jetzt über jede Grippewelle Sorgen machen? Doch mit jeder neuen Meldung wuchs die Gewissheit in mir, dass es sich eben nicht um eine Grippe handelt. Plötzlich grassierte das Virus in Italien. Nur noch die Alpen standen zwischen meiner Heimat und Corona. Doch das Gebirge bot keinen Schutz. Es folgten die ersten Fälle in Deutschland.

Und dann kam der 4. März, ein Mittwochabend. Ich stand im Schneetreiben bei Minusgraden am Rand eines Sportplatzes und verfolgte ein Fußballspiel - ein Vorbereitungsmatch auf eine Rückrunde, die bis heute nicht zu Ende gespielt wurde. Da erzählte mir ein Freund von einem Bekannten aus einem Nachbarort. Der sei gerade krank aus einem Urlaub in Asien zurückgekehrt. Es war der erste bekannt gewordene Corona-Fall in meinem Heimatlandkreis. Das Virus war hier angekommen.

Martin Sage

Martin Sage
Foto: Angie Wolf | Martin Sage

Der Ausbruch der Pandemie respektive der Beginn des Medieninteresses an der neuartigen Lungenkrankheit scheint mir eine Ewigkeit zurückzuliegen, es fällt mir schwer, mich genau zu erinnern. Wie war es noch? Da muss ich schon googeln: Die ersten beiden Todesfälle in Deutschland wurden am 9. März 2020 bekannt. Die Redaktion selbst hat am 14. April zum ersten Mal über einen Haßbergler berichtet, der am Ostermontag an oder mit dem Coronavirus gestorben war.

Dass Covid 19 mehr als nur ein Schnupfen ist, das hatten mir zuvor schon erstmals, aber um so eindrücklicher, im Februar die Fernsehbilder über die Toten aus Bergamo gezeigt. Damals wurde mir bewusst: Wenn, wie in Italien, so viele Menschen in kürzester Zeit erkranken und sterben, dann ist die neue Krankheit nicht mit einer "gewöhnlichen" Grippewelle zu vergleichen, die ebenfalls nicht verharmlost werden darf, weil sie allein hierzulande Jahr für Jahr für tausende Tote verantwortlich ist. Und mir war auch klar: Auch Deutschland würde es "erwischen".

Wolfgang Sandler

Wolfgang Sandler
Foto: Angie Wolf | Wolfgang Sandler

Ein neues Virus? Ach, mach Dich net verrückt. Die Grippe hat Dich ja auch noch nie erwischt. Und wenn‘s wirklich schlimm werden sollte, entwickeln die Forscher halt ein Impfserum und das war’s dann. Hab ich gedacht. Eine ganze Zeitlang. In jahrzehntelang kultivierter Naivität und grenzenlosem Vertrauen in die technische Überlegenheit und die Genialität des Homo sapiens.

Bis ich in der Tagesschau die brutalen Bilder aus Italien sehen musste. Wagenladungen mit toten Menschen, Massengräber in dem Land, das ich so liebe, überfüllte Krankenhäuser, überforderte und bis zum Umfallen schuftende Ärzte, deren Diagnosen und Therapien beinahe nebensächlich erschienen angesichts der Dramatik ihrer notwendig gewordenen Spontanentscheidungen, wer behandelt werden darf – und wer sofort sterben muss. Wie damals im Kolosseum: Daumen hoch oder runter. Diese Bilder werde ich niemals vergessen können. Und seitdem weiß ich, womit wir es hier wirklich zu tun haben.

Jochen Reitwiesner

Jochen Reitwiesner
Foto: Angie Wolf | Jochen Reitwiesner

Den ersten Moment, als Corona Bayern erreicht hatte, sah ich relativ entspannt und locker, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt in München beziehungsweise tatsächlich sogar in Gauting war. Also genau dort, wo die "Patientin Null" das Virus nach Deutschland importiert hatte. Welche Ausmaße das ganze Drama annehmen wird, war aus meiner anfangs etwas zu blauäugigen Sicht absolut nicht abzusehen. Die ersten Bedenken kamen mir, als ich in München immer mehr Menschen mit Masken sah. Plötzlich fühlte sich jeder Haltegriff in der S-Bahn, jede fremde Tür irgendwie eklig an.

Ich war heilfroh, den Großstadtdschungel mit seinen Menschenmassen wieder in Richtung Heimat verlassen zu können. Der Haßbergkreis blieb aber nur kurz eine Insel der corona-freien Glückseligkeit. Angst machten mir langsam, aber sicher die Hamsterkäufe und die menschenleeren Straßen nach dem ersten Lockdown im März. Da führte mir die ungewohnte Ruhe vor Augen, dass dieses verdammte Virus einen langen, massiven Einschnitt in unseren Alltag mit sich bringen wird. 

Matthias Lewin

Matthias Lewin
Foto: Angie Wolf | Matthias Lewin

Schweinepest, Rinderwahnsinn, Vogelgrippe... eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis auch wir Menschen (wieder) mal an der Reihe sind. Anfang des Jahres, als die ersten Fälle bekannt wurden, schossen mir diese Gedanken durch den Kopf. Trotzdem war Corona irgendwie noch weit weg. Und das galt auch für Ende Februar 2020 stattfindende Kulinea. Drei Tage war ich in Zeil vor Ort, traf hunderte von Menschen. Jede Wette, ein zwei Wochenenden später wäre die Genussmesse abgesagt worden. Und auch wenn sich das Virus da vermutlich noch nicht breit gemacht hatte, im Nachhinein war das schon sehr leichtsinnig.

Schnell erreichte dieses Drecksding dann aber doch die Haßberge. Die Push-Meldungen zu den neuesten, so traurigen Entwicklungen auf dem Handy gaben sich quasi die Klinke in die Hand - im Gegensatz zu den Menschen, die ihre Klinken wegen der Ausgangssperre glücklicherweise kaum mehr berührten. Auffällig war – vielleicht aber auch nur in meiner Einbildung –, dass sich die Luftverschmutzung  rasend schnell zu verflüchtigen schien. Ein strahlend blauer Himmel überall, nur war kaum jemand draußen, der das genießen konnte...

 
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