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Haßfurt
Haßberge: Dank App mit EcoBus die Mobilitätsstation erreichen
Was hier wie Zukunftsmusik klingt, ist anderswo in der Praxis schon erprobt. In Ebern zeigten Experten auf, wie die Verkehrswende gelingen kann.
Der Verkehr auf dem Lande als Einbahnstraße mit dem eigenen Pkw? Für die Verkehrswende gibt es schon jetzt in der Praxis erprobte Ansätze, sie müssen nur aufgegriffen werden. 
Foto: René Ruprecht | Der Verkehr auf dem Lande als Einbahnstraße mit dem eigenen Pkw? Für die Verkehrswende gibt es schon jetzt in der Praxis erprobte Ansätze, sie müssen nur aufgegriffen werden. 
Martin Sage
 |  aktualisiert: 08.02.2024 18:38 Uhr

Auf dem Lande aufs Auto verzichten? Mit Fahrgemeinschaften zur Arbeit kommen? Per App einen Kleinbus nach Burgpreppach oder Prölsdorf beordern? "Das ist doch alles Theorie, in der Praxis funktioniert das nie". Das Argument hört man schnell, wenn jemand wenig Bereitschaft signalisiert, sein eigenes Verhalten zu ändern. Der Landkreis Haßberge kann mit dieser Ausrede Schluss machen, wenn es in Zukunft um die Mobilität der Bevölkerung geht. Die Eberner Mobilitätswoche hat Beispiele präsentiert, die ihre Alltagstauglichkeit bereits unter Beweis gestellt haben. Kommunen und Bürger können von den Erfolgsrezepten lernen und sich herauspicken, was für ihre Region im Sinne der Verkehrswende das Beste ist. Wenn sie denn wollen.

Beispiel 1: So finde ich eine Fahrgelegenheit oder Mitfahrer - Die Mobilitätsapp

Denn es gibt sie schon, die Mobilitätsapps zur Vernetzung von Bürgern, die Mitfahrgelegenheiten anbieten und suchen, und sie lassen sich auch auf die speziellen Bedürfnisse eines Raumes zuschneiden. Wie zum Beispiel "Fahrkreis", eine Anwendung für Smartphones und Tablets, deren zentraler Ansatz ist, "Privatpersonen, also die Bürger selbst, zu Mobilitätsanbietern zu machen", wie Professor Jorge Marx Gómez am Donnerstag per Videoübertragung in Ebern erklärte. Der Oldenburger Wirtschaftsinformatiker ist Leiter des Forschungsprojektes NEMo (Nachhaltige Erfüllung von Mobilitätsbedürfnissen im ländlichen Raum), aus dem der digitale Reiseassistent hervorgegangen ist.

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Die App "Fahrkreis" ist seit Anfang des Jahres deutschlandweit online verfügbar. Sie gibt Auskunft darüber, wie man mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Beispiel von Eltmann nach Bundorf kommt. Viel wichtiger jedoch: Dort, wo Bus und Bahn nicht oder nur selten hinkommen, vernetzt sie Menschen, die von anderen im Auto mitgenommen werden wollen - mit jenen, die dazu bereit sind. "Fahrkreis" koordiniert also die Bildung von Fahrgemeinschaften, plant die Routen und ermittelt Anschlussmöglichkeiten an den ÖPNV. Auch Transportdienste lassen sich abwickeln. Projektleiter Marx Gómez verspricht eine nachhaltige Verbesserung der Mobilität im ländlichen Raum dank seiner App. Sein Team klärt auch rechtliche Fragen, etwa wenn es um die Haftung bei Unfällen geht. 

An die Bedürfnisse des Landkreises angepasste Mobilitätsapps könnten einen wertvollen Beitrag zur Verkehrswende liefern.
Foto: Martin Sage | An die Bedürfnisse des Landkreises angepasste Mobilitätsapps könnten einen wertvollen Beitrag zur Verkehrswende liefern.

Modellregion für "Fahrkreis" waren die dünn besiedelte Wesermarsch und die Stadt Oldenburg. Gerne würden sich die Erfinder auch näher mit den Landkreis Haßberge, seinen Kommunen, Firmen und Vereinen auseinandersetzen, um hier den vollen Funktionsumfang der App zur Entfaltung zu bringen.

Beispiel 2: Jeder ist seine eigene Haltestelle - der EcoBus

Auch der im Niedersächsischen erprobte EcoBus würde gut in den Landkreis Haßberge passen, ist sich Mobilitätsmanager Michael Patscheke sicher. Das Motto des EcoBusses lautet: Jeder Bürger kann selbst zu Haltestelle werden, das Fahrzeug kommt innerhalb eines definierten Raumes - im Pilotprojekt das Gebiet zwischen Goslar und Osterrode am Harz - wohin der Nutzer will. Und bringt ihn zum Arzt, zum Einkaufen, zum Bahnhof oder zum Ausgangspunkt einer Wanderung - und wieder zurück. 

Wie wenig die Verkehrswende mit Träumerei zu tun hat zeigt, wer hinter dem EcoBus steht: Das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Die Mathematiker und Physiker hier hätten es beim Verkehr mit ähnlich komplizierten Algorithmen zu tun wie bei anderen Strömungen, etwa beim Wasser, erklärte Patscheke. Das Ergebnis soll für die Kunden aber ganz simpel sein. Die Zielsetzung: Die Kleinbusse fahren jederzeit nach Bedarf und ohne Fahrplan. Die Beförderung findet von Tür zu Tür statt und die Bestellung geht ganz einfach über App oder Internet.

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Bestehenden ÖPNV-Linien sollen EcoBusse keine Konkurrenz machen, auch könnten sie keinesfalls den Schülerverkehr übernehmen. Für den Landkreis Haßberge hatte Mobilitätsmanager Patscheke in Ebern sogar ein Konzept dabei: Es sieht die Aufteilung des Kreisgebietes in sieben EcoBus-Teilgebiete vor, ein jedes hat Anbindung an einen ÖPNV-Knotenpunkt. Teilgebiete wären zum Beispiel Hofheim, Bundorf, Aidhausen und Riedbach als eine Einheit oder Eltmann, Oberaurach, Rauhenebrach mit Anbindung an die Bahnhöfe Zeil und Ebelsbach als eine andere. Der tägliche Betrieb von 18 Kleinbussen bis 22 Uhr abends würde für den Landkreis allerdings ein Betriebskostendefizit von jährlich 2 Millionen Euro bedeuten, rechnete der Gast aus Göttingen in der Eberner Frauengrundhalle vor. Die Kosten für die Fahrer - das könnten die örtlichen Taxi- und Fuhrunternehmer sein - wären bis zur Einführung autonom fahrender Busse der Hauptposten. Im Leipziger Norden hat man sich von den Kosten nicht abschrecken lassen. Unter dem Namen Flexa verbinden hier seit Oktober 2019 EcoBusse drei Stadtteile, allerdings sind hier Haltestellen ausgewiesen. "Die Leute haben nur darauf gewartet", freute sich Patscheke, aus dem Probebetrieb werde Dauerbetrieb.

Beispiel 3: Bequem umweltfreundliche Verkehrsmittel wechseln - die Mobilitätsstationen

Und noch jemand hatte Interesse daran, seine Ideen in den Landkreis zu tragen: Andreas Falkowski vom "Zukunftsnetzwerk Mobilität" in Nordrhein-Westfalen. Er warb für Mobilitätsstationen, Infrastruktureinrichtungen, die verschiedene Mobilitätsangebote an einem Standort verknüpfen mit dem Ziel, die Fahrt mit dem eigenen Pkw überflüssig zu machen. Die Stationen erleichtern den Übergang von einem umweltfreundlichen Verkehrsmittel auf ein anderes. Typischerweise befinden sie sich in der Nähe einer Bushaltestelle oder eines Bahnhofs; es gibt sie aber auch in zentralen Lagen von Wohngebieten. Zu ihrer typischen Ausstattung zählte Mobilitätsmanager Falkowski nicht nur Fahrradabstellmöglichkeiten, Car- und Bikesharing-Angebote und Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, sondern auch Cafés, Geldautomaten, Schließfächer oder Paketstationen. "Die Menschen sollen gerne hierher kommen", dabei spielten auch Sicherheit, Sauberkeit und städtebauliche Einheitlichkeit eine wichtige Rolle.

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Mobilitätsstationen gibt es mittlerweile nicht nur in Großstädten wie Hamburg oder München, sondern auch in kleineren Kommunen. Andreas Falkowski machten keinen Hehl daraus, dass sein Zukunftsnetzwerk, dem sich seit 2015 über 200 Kommunen angeschlossen haben, gerne auch Gemeinden im Landkreis Haßberge auf dem Weg begleiten würde, die für sie geeigneten Mobilitätsstationen zu entwickeln.

Es muss nicht entweder oder sein: Alles lässt sich miteinander kombinieren

Dass die drei "Angebote" nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich ergänzen und zusammen sinnvolle Einheiten bilden können, das bekräftigten alle Referenten. Nun bleibt abzuwarten, ob die Verantwortlichen im Landkreis Haßberge auf die Ideen eingehen werden.

 
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