
Zeil in den 1640er Jahren: In der Stadt geht die Angst um, denn zahlreiche Bürgerinnen und Bürger sind schon Opfer der Hexenverfolgung geworden. Niemand ist mehr sicher, jede oder jeder könnte das nächste Opfer sein. Ein Vater will seinen Sohn vor all dem in Sicherheit bringen, indem er ihn nach Ebrach ins Kloster schickt, wo der Junge Mönch werden soll. In einer Nacht- und Nebelaktion besticht er die Stadtwachen, um den Jungen hinauszubekommen. Für Vater und Sohn ist es ein Abschied für immer.
Mehr als dreieinhalb Jahrhunderte später stehen Oliver und Leo Dellert in einer Gasse nahe der Zeiler Stadtpfarrkirche und spielen ebendiese Szene nach. Angeleitet werden sie dabei von Regisseurin Brigitte Krause. Ob sich die Szene wirklich so zugetragen hat, wie die beiden sie darstellen? Darüber lässt sich nur spekulieren. Die Gründe, warum der junge Zeiler zum Mönch wurde, sind nicht überliefert, es gibt lediglich Anekdoten dazu.
Von Anekdoten bis hin zu belegten historischen Tatsachen
Fakt ist: Zeil war zu jener Zeit eine Hochburg der Hexenverfolgung, der viele Menschen zum Opfer fielen. Fakt ist auch: Der junge Mann aus Zeil, der zu dieser Zeit ins Kloster Ebrach eintrat, wurde später zu dessen Abt und ist heute vor allem für seine Verdienste um den fränkischen Weinbau bekannt. Sein Name: Alberich Degen.

Und so hat es auch der Moment, in dem der Junge erfährt, dass er zu seinem eigenen Schutz ins Kloster geschickt werden soll, ins Zeiler Historienspiel geschafft. Quer durch die Jahrhunderte zeigt dieses Großprojekt verschiedene Szenen aus der Zeiler Stadtgeschichte – teilweise historisch verbürgt, teilweise nur als Anekdoten überliefert. Los geht es mit dem ersten Markt, der im Mittelalter in der Stadt abgehalten wurde. Weitere Szenen behandeln unter anderem die Hexenverfolgung, die Zeit des Dreißigjährigen Krieges oder auch die Zeit der Säkularisation, in der ehemalige Kirchenbesitztümer zu Staatseigentum wurden.
Ein Großprojekt mit über 60 Mitwirkenden
2018, zur 1000-Jahr-Feier der Stadt, kam das Werk erstmals auf die Bühne – oder: auf die Bühnen, wie man korrekterweise sagen müsste. Denn die Besonderheit des Historienspiels ist, dass es nicht an einem einzelnen Ort aufgeführt wird, sondern an verschiedenen Spielstätten, verteilt über die Zeiler Altstadt. Eine Neuauflage gab es 2019. Dann folgte eine lange Pause von fünf Jahren, doch jetzt soll das Historienspiel wieder aufgeführt werden.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind dabei mit Stadtführern unterwegs, die sie von einem Spielort zum nächsten bringen. An den einzelnen Stationen führen dann Laiendarstellerinnen und -darsteller die verschiedenen Szenen auf. Mehr als 60 Mitwirkende sind es, die bei den Aufführungen ihr Publikum berühren, aber auch zum Lachen bringen wollen, je nachdem, ob es sich um ernste oder um lustige Momente der Geschichte handelt.
Viele von ihnen waren schon 2018 und 2019 dabei. So auch Leo und Oliver Dellert, die die Abschiedsszene zwischen dem späteren Abt Degen und seinem Vater spielen. Eine Besonderheit dabei: Auch die beiden Darsteller sind Vater und Sohn. "Wer schickt nicht gerne seinen Sohn ins Kloster?", sagt Vater Oliver lachend auf die Frage, warum er mit so großer Begeisterung beim Historienspiel dabei ist.
Wie ein Theaterautor nach Vorlagen von Heimatforschern seine Szenen schreibt
Für Regisseurin Krause bedeutet das Projekt derzeit eine Menge Arbeit. Sie muss organisieren, koordinieren, Probentermine ausmachen. Dennoch ist es ihr wichtig, nicht als "die große Macherin" im Mittelpunkt zu stehen: "Es ist ein echtes Gemeinschaftswerk." Und so nennt sie im Gespräch mit der Redaktion auch jede Menge Namen von Menschen, deren Mitwirken das Historienspiel erst zu dem macht, was es ist.

Allen voran wäre da Autor Christian Ziegler zu nennen. Schon lange schreibt er die Stücke für das Stettfelder Theater, und so ließ er sich auch überzeugen, die Szenen für das Zeiler Historienspiel zu schreiben. Das Grundmaterial dafür haben die Heimatforscher Martin Schlegelmilch, Ludwig Leisentritt, Alois Umlauf und Christoph Winkler geliefert, Ziegler formulierte daraus seine Theaterszenen.
Vom Schreibvorgang her laufe das nicht anders als bei den Stücken, die er für die Stettfelder Gruppe schreibt, sagt der Autor im Gespräch mit der Redaktion. "Es ist sogar fast ein bisschen leichter, weil man eine Vorlage hat." Sprich: Er muss sich nicht auch noch die Geschichte ausdenken, sondern kann eine schon bestehende Handlung in Worten ausformulieren.
Neue Szenen: Das ist seit 2018 dazugekommen
Und das könne Ziegler gut, lobt Regisseurin Krause. "Er hat die Fähigkeit, im mittelalterlichen Duktus zu schreiben und historische Fakten mit Humor und Witz zu verbinden." Neben Ziegler ist noch eine weitere Größe des Stettfelder Theaters beteiligt: Dessen langjährige Regisseurin Maria Egglseder hat Brigitte Krause vier von insgesamt elf Szenen abgenommen.

Damit sind es in diesem Jahr zwei Szenen mehr als noch bei der Premiere 2018. Bei der Neuauflage 2019 waren es zehn, dazugekommen war damals die Geschichte der Witwe Moritz, der es in der Zeit der Säkularisation gelang, den Abriss der Kreuzkapelle zu verhindern. Diesmal kommt eine weitere neue Szene dazu: Sie erzählt die Anekdote, wie ein Zeiler Pfarrer im Dreißigjährigen Krieg verhindert haben soll, dass der Kirchenschatz an die durchziehenden Franzosen fiel.
Eine Szene im sonst unzugänglichen Finanzamtsgarten
Treffpunkt für die Aufführungen ist am Pranger am Zeiler Rathaus. Aufführungsorte sind dann unter anderem Gassen und Höfe in der Altstadt sowie das Rathaus und die Kirche. Besonders begeistert ist Regisseurin Brigitte Krause von der Möglichkeit, eine Szene im sonst unzugänglichen Finanzamtsgarten aufzuführen. "Das ist was Besonderes, dass wir da rein dürfen."

Die Aufführungen finden an zwei Tagen statt: Samstag, 21., und Sonntag, 22. September. Das Publikum ist an beiden Tagen in jeweils sechs Gruppen aufgeteilt, von denen sich alle 20 Minuten eine zusammen mit einem Stadtführer vom Rathaus aus auf den Weg macht – die erste Gruppe startet um 12 Uhr. Somit müssen auch die Darstellerinnen und Darsteller ihre Szenen jeden Abend sechsmal hintereinander spielen, bis alle Gruppen durch sind. Eine Gruppe besteht aus maximal 40 Personen, sodass es Karten für insgesamt 480 Zuschauerinnen und Zuschauer gibt.
Eine weitere Möglichkeit, zumindest einen Teil der Szenen zu sehen, gibt es am 20. Oktober im Rudolf-Winkler-Haus. Diese abgespeckte Variante empfiehlt Brigitte Krause denjenigen, die für die Freilicht-Aufführung keine Karten mehr bekommen haben, oder die aufgrund einer Gehbehinderung den Stadtrundgang nicht mitmachen können.
Der Kartenvorverkauf startet am Samstag, 8. Juni, um 10 Uhr im Rudolf-Winkler-Haus. Pro Person werden dort maximal vier Karten verkauft. Ein Ticket kostet 15 Euro.