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ZEIL
Ermordete "Hexen": Opfer von Vorurteilen
In seinem Roman „Die Hexe von Zeil“ lässt Harald Parigger die Leser Prozess und Folter miterleben. Unserem Reporter verriet der Autor, warum wir die Geschichte nicht vergessen dürfen.
Peter Schmieder
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:56 Uhr

Die Stadt Zeil feiert in diesem Jahr ein großes Jubiläum, doch zur 1000-jährigen Geschichte der Stadt gehören auch schlimme Zeiten: Im 17. Jahrhundert war Zeil eine Hochburg der Hexenverfolgung. Gerade dafür ist die Stadt weit über die Region hinaus bekannt. Mit dazu beigetragen hat auch der Roman „Die Hexe von Zeil“ von Harald Parigger. 22 Jahre ist es her, dass das Buch erstmals erschien.

Der Autor ist promovierter Historiker und seit 2013 Leiter der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit in München. Daneben hat er sich auch als Autor von Romanen und Jugendliteratur einen Namen gemacht. Bereits im Studium habe er sich besonders für die fränkische Landesgeschichte interessiert, erzählt Harald Parigger im Gespräch mit dieser Redaktion. Geboren ist er in Flensburg, doch seine Mutter stammt aus Franken, auch seine Frau ist Fränkin. Parigger studierte in Würzburg Geschichte, Germanistik und Sozialkunde und schrieb seine Doktorarbeit zum Bamberger Stadtrecht. „Bei meiner Promotion bin ich auf einen Sammelband gestoßen“, sagt er über die Anfänge seiner Beschäftigung mit der Hexenverfolgung. Auch wenn er darin eigentlich etwas anderes gesucht hatte, blieb er an einem Text mit dem Titel „Wie man die Hexenleut zu befragen hat“ hängen.

„Denunziation ist etwas, vor dem man sich hüten muss.“
Harald Parigger, Historiker und Autor

„Ich habe mich sozusagen festgelesen“, sagt er. „Ich habe mich gefragt: Wie kann man allen die gleichen Fragen stellen?“, berichtet er. Tatsächlich gab der Text recht genau vor, welche Fragen den Angeklagten gestellt werden sollten – darauf, dass auch bei der gleichen Anklage jeder Fall anders sein kann, wurde kaum Rücksicht genommen. „Es waren viele Suggestivfragen dabei“, erzählt Parigger. Das wird auch in seinem Roman deutlich: Eine Beschuldigte wurde nicht gefragt, ob sie Kontakt mit dem Teufel hatte, sondern wann dies geschehen sei.

Der Historiker übersetzte den teilweise in lateinischer, teilweise in frühneuhochdeutscher Sprache verfassten Text und veröffentlichte zunächst einen wissenschaftlichen Aufsatz dazu. Später kam ihm die Idee, einen historischen Roman zur Bamberger Hexenverfolgung zu schreiben.

Auf Zeil kam er, da das Bamberger Hexengefängnis dorthin „outgesourct“ wurde, als die Gefängnisse in der Domstadt überfüllt waren. Bei seinem ersten Besuch in Zeil habe Parigger die Stadt als „putzig und nett“ wahrgenommen. „Man glaubt nicht, dass da so etwas Grausiges passiert ist.“

Seine Quellen fand Parigger in den Bamberger Archiven. „Inzwischen würde man viel im Internet recherchieren“, sagt er, doch damals musste er für seine Arbeit vor allem Bücher wälzen. So entstand eine umfangreiche Materialsammlung. „Wenn ich mein Bücherregal anschaue, habe ich etwa 1,80 Meter an Hexenliteratur“, sagt er. Zwar gehe die Recherche zu einem fundierten historischen Roman über Jahre, „aber ich habe bei dem Thema ja nicht bei Adam und Eva angefangen“, berichtet er.

Viele der Figuren in seiner Geschichte haben tatsächlich gelebt, auch wenn Parigger bei einigen die Namen geändert hat. Aufhänger ist die Geschichte des Bamberger Bürgermeisters Johannes Junius, der 1628 Opfer der Hexenverfolgung wurde. Kurz vor seiner Hinrichtung schrieb er einen ergreifenden Brief an seine Tochter Veronica. In diesem warnt er die junge Frau, dass auch sie in die Mühlen der Hexenverfolgung geraten könne und rät ihr, für einige Zeit aus Bamberg zu verschwinden.

Veronica ist das reale Vorbild für Pariggers Romanheldin Ursula. Dass er ihren Namen verändert hat, liegt daran, dass sich Veronicas Spur in den Quellen verliert. „Man weiß in Wirklichkeit nicht, was mit ihr passiert ist“, erzählt Harald Parigger.

Im Buch wird auch Ursula der Hexerei beschuldigt, ins Gefängnis nach Zeil gebracht, verhört und gefoltert. An ihrem Beispiel erzählt der Autor den typischen Verlauf eines Hexenprozesses. Als Nebenfiguren tauchen weitere historische Personen auf. Ein Beispiel dafür ist Ursulas Mitgefangene Anna, die im Buch kurz ihre eigene Geschichte erzählt: Immer wieder wurde sie gefoltert, ohne ein Geständnis abzulegen. Eines Tages gelang ihr die Flucht, sie konnte sich nach Bamberg durchschlagen, doch ihr eigener Ehemann war es, der sie wieder an die Behörden auslieferte. Reales Vorbild für Anna war die Bambergerin Barbara Schwarz. 2007 widmete Parigger diesem „einzigartigen Fall“ ein eigenes Buch: „Barbara Schwarz und das Feuer der Willkür.“ Über ihre Geschichte sagt er: „Es ist so anrührend, dass man die Jahrhunderte vergisst.“

Nach der Materialsammlung stand der Autor vor der Aufgabe, den Figuren Leben einzuhauchen, ihnen Gedanken und Gefühle mitzugeben. Im Fall der „Hexe von Zeil“ sei sein Hauptproblem gewesen, sich in die Gefühlswelt der weiblichen Hauptfigur hineinzudenken. „Ich bin nun mal ein Mann“, sagt er. „Wie erlebt sie das? Wie zerbricht sie stückweise?“ Um Ursula glaubhaft darstellen zu können, habe er viel gelesen und mit Frauen gesprochen.

„Wir neigen dazu, Sachen in den Geschichtsschrank zu packen.“
Harald Parigger, Historiker und Autor

Eine Sache, die sich seit der Zeit, in der er für sein Buch recherchierte, stark gewandelt habe, sei der Umgang der Stadt Bamberg mit den dunklen Punkten ihrer Geschichte. Damals sei es in Bamberg nicht gut angekommen, dass er über den Hexenwahn schreiben wollte, heute sei die Domstadt offener geworden. Ganz anders beschreibt Parigger den Umgang der Zeiler mit dem Thema. Die seien schon in den 90er Jahren offen gewesen für einen kritischen Blick auf die eigene Geschichte, sagt Parigger und lobt unter anderem die Aufgeschlossenheit des damaligen Bürgermeisters Christoph Winkler.

Doch warum ist es eigentlich wichtig, sich heute noch für Ereignesse zu interessieren, die fast 400 Jahre her sind? „Man kann die Zukunft nur gestalten, wenn man die Vergangenheit kennt und sich zu ihr bekennt“, meint Parigger. Der Satz klinge zwar floskelhaft, sei aber zutreffend. Zur Zeit der Hexenverfolgung sei es Brauch gewesen, Menschen zu denunzieren, um Feinde loszuwerden. Über Behörden, die offen waren für solche haltlosen Anschuldigungen, meint er: „Das erinnert an den Blockwart in der Nazizeit. Denunziation ist etwas, vor dem man sich hüten muss.“

Ins Auge steche beim Thema Hexenverfolgung auch das extrem negative Frauenbild der damaligen Zeit, beispielsweise wenn es im „Hexenhammer“, dem „Handbuch der Hexenjäger“, heißt, alle Reiche der Welt seien „zugrunde gegangen durch die Frauen“. „Das macht einen sensibel für Dinge, die heute geschehen“, meint Harald Parigger.

„Wir neigen dazu, Sachen in den Geschichtsschrank zu packen“, sagt der Autor und zieht einen Vergleich zum Umgang mit der Nazizeit. Auch hier setze das Vergessen ein, nachdem mittlerweile viele Zeitzeugen und KZ-Überlebende gestorben sind. Als Beispiel, wie weit die Schrecken der Hexenverfolgung mittlerweile aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden sind, erzählt Harald Parigger davon, wie ihm bei einem seiner Vorträge jemand den Vorwurf entgegenschleuderte: „Sie machen es wie die Nazis: Sie verteufeln die katholische Kirche!“

Auf die Frage, inwieweit Kirche und Politik noch heute für die Verbrechen von damals in der Verantwortung stehen, meint der Historiker: „Die Kirche sollte dringend ihr Verhältnis zu Frauen überdenken.“ Weiter erwähnt er, dass es noch heute Exorzismen gebe.

Bei den Lehren, die die Menschen aus der Vergangenheit ziehen sollten, gehe es auch um den Umgang mit „Andersartigen“. „Vieles beruhte auf Vorurteilen“, sagt Harald Parigger. „Heute spricht man von ,gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit‘.“

Eine an einem Pfahl gebundene Frau wartet auf den Feuertod auf dem Scheiterhaufen. Auf diese grausame Weise starben Hunderte Unschuldige, die als Hexen diffamiert wurden. Das Bild entstand bei Dreharbeiten im Jahr 2017 in Gerolzhofen.
Foto: Klaus Vogt | Eine an einem Pfahl gebundene Frau wartet auf den Feuertod auf dem Scheiterhaufen. Auf diese grausame Weise starben Hunderte Unschuldige, die als Hexen diffamiert wurden.
Autor Harald Parigger.
Foto: BLZ/Elke Kapell | Autor Harald Parigger.
 
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