Auch am Tag danach konnte Eberns Polizeichef und Einsatzleiter vor Ort Detlef Hauck noch einmal erleichtert zusammenfassen: "In der Summe sind wir mit dem Einsatzgeschehen zufrieden": Bei der als "abendlicher Spaziergang gegen die Spaltung" getarnten Kundgebung von Impfgegnern und Kritikern der Corona-Maßnahmen der Politik war es am Mittwochabend zu keinerlei kritischen Vorfällen gekommen. Und das obwohl die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit gut 500 je nach Perspektive alle Erwartungen oder Befürchtungen bei weitem übertroffen hatte.
Sorgen bei den Einsatzkräften hatte es aber vor allem gegeben, weil das Landesamt für Verfassungsschutz in München Anfang der Woche vor einer Gruppierung gewarnt hatte, die für die Veranstaltung kräftig die Werbetrommel gerührt hatte. Dabei geht um die Gruppierung "Kollektiv Zukunft schaffen - Heimat schützen" (KZSHS), das die Verfassungsschützer als rechtsextremistisch mit ideologischer Nähe zum Neonazismus einstufen und dem sie verfassungsfeindliche Agitation vorwerfen. Über soziale Netzwerke wie Instagram und Telegram hatte das KZSHS den Eberner "Spaziergang" beworben.
Noch am Abend hatte die Polizei festgestellt, dass die Masse der Demonstranten aus dem bürgerlichen Lager kommt. Worunter Teilnehmer zu verstehen sind, die sich auf dem Boden von Demokratie und Verfassung bewegen. Am Donnerstag sprach Polizeihauptkommissar Hauck dann von einzelnen Personen, die seine Beamten identifizieren konnten, weil sie schon in der Vergangenheit wegen ihrer politischen Gesinnung und ihrer Nähe zur rechten Ideologie aufgefallen seien. Dem KZSHS oder anderen Gruppierungen wollte der Eberner Polizeichef die Betreffenden nicht vorschnell zuordnen.
Das Kollektiv allerdings feierte sich selbst noch am Mittwochabend für seine Präsenz vor Ort: Auf Instagram und Telegram etwa findet sich folgender Post: "Heute Abend waren Brüder und Schwestern in Ebern und begleiteten den vorweihnachtlichen Spaziergang gegen die Spaltung."
Gegenüber der Redaktion wollte sich niemand als Anhänger des KZSHS zu erkennen geben. Dies gilt auch für Mitglieder oder Sympathisanten der als rechtsextrem eingestuften Kleinpartei "Der Dritte Weg", die noch während der laufenden Aktion in Ebern postete: "Soeben spazieren hunderte Bürger durch die Innenstadt von Ebern. Sie alle fordern ein Ende der Corona-Zwangsmaßnahmen. Auch Mitglieder unserer Partei unterstützen die Proteste vor Ort."
Verfassungsschutz bestätigt Teilnahme von Extremisten
Am Donnerstagmorgen machte eine Leserin die Redaktion aufmerksam, dass Personen, die in Ebern mit dem Transparent "Hände weg von unseren Kindern" den Demonstrationszug lautstark angeführt hatten, zuvor mehrmals auch bei Kundgebungen des Dritten Wegs in Bamberg aufgefallen waren - was die Informantin mit Fotos belegte. Und am Donnerstagnachmittag schließlich bestätigte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz auf Anfrage der Redaktion, dass an dem Spaziergang in Ebern "Personen teilgenommen haben, die der rechtsextremistischen Gruppierung ,Kollektiv Zukunft gestalten - Heimat schützen (KZSHS) sowie der neonazistischen Partei Der Dritte Weg (III. Weg) zugerechnet werden können."
Kleine Gegendemonstration skandiert: Nazis raus
Dass die meisten "Spaziergänger" zumindest geahnt haben müssen, wer da in ihren Reihen oder gar vorweg marschiert, das drückte ein Beobachter vor Ort so aus: "Ebern ist eben ein Dorf und da kennt man sich." Gut 30 Bürgerinnen und Bürger hatten sich deshalb im Umfeld des Bahnhofs, wo der "Spaziergang" startete und endete, zu einer kleinen Gegendemo zusammengefunden, sie konnten Namen derer nennen, die ihrer Überzeugung nach der rechtsradikalen Szene zuzuordnen sind. "Nazis raus", riefen sie den Impfgegnern und Kritikern der Corona-Politik entgegen. Ein junger Mann, der sich gegen den Abendspaziergang positionierte, sagte: "Wir wissen, dass da ganz normale Bürger mitlaufen. Aber wenn nur eine Handvoll Nazis dabei ist, ist das ein No-Go."
"Weil man uns die Freiheit raubt"
Davon hatten sich die "Spaziergänger" nicht groß provozieren lassen. Sie pilgerten, begleitet von Polizei und Medien, durch die Stadt, und skandieren Sprüche wie "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit raubt". Es waren Eltern dabei, die sich in erster Linie Sorgen machen, die Corona-Impfung könnte ihren Kindern schaden und eine Nicht-Impfung die Mädchen oder Buben stigmatisieren. Aber es waren auch Männer und Frauen darunter, die aus ihrer Verachtung gegenüber dem Staat, den Medien oder der Pharma-Industrie, die ihnen angeblich alle Freiheiten rauben, keinen Hehl machten. Manche Teilnehmer trugen Fackeln oder hatten Kerzen in der Hand, andere führten Banner mit sich.
Mit Mund-Nasen-Schutz war kaum jemand unterwegs, obwohl es immer wieder vorkam, dass die Mindestabstände kaum eingehalten werden konnten, insbesondere wenn der doch beträchtliche Demonstrationszug etwa bei einer Straßenüberquerung stockte. Ermahnung seitens der Polizei waren nicht zu hören; die Ordnungshüter schienen erleichtert, dass sie bei keinen gravierenderen Vorfällen einschreiten mussten.
Organisatoren geben sich nicht zu erkennen
Die Veranstaltung war nicht angemeldet, was laut Polizei eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Belangt werden könnten aber nicht diejenigen, die mitlaufen, sondern nur die Organisatoren. Die sich allerdings nicht zu erkennen geben. Die beiden Männer, die vornweg marschierten und das Transparent mit der Aufschrift "Hände weg von unseren Kindern" trugen, wollten "irgendwie zufällig" an die Spitze des Zuges gelangt sein. "Die Versammlung wäre mit Sicherheit genehmigt worden", wunderte sich noch am Donnerstag Eberns Polizeichef Hauck, dass niemand den Mut hatte, als Verantwortlicher aus der Deckung zu kommen.
Jeder Kritiker "wird gleich als systemfeindlich eingestuft"
Mancher Spaziergänger waren durchaus bereit, mit der Presse zu reden: Er finde es schlimm, dass jeder, der die Corona-Maßnahmen kritisch sehe, gleich als systemfeindlich eingestuft werden, sagte zum Beispiel einer der Männer an der Spitze des Umzugs. Wie viele andere Gleichgesinnte sieht er sich durch die pandemiebedingten Beschränkungen nicht nur massiv in seiner Freiheit beschränkt. Sondern er glaubt auch, dass die Öffentlichkeit völlig einseitig über das Virus und seine Bekämpfung informiert ist - und dass dies von den Mächtigen so gewollt ist.
Kurz vor 20 Uhr war alles vorbei
Dass Personen aus der rechtsextremen Milieu unter den Marschierenden sind, wollten am Mittwochabend in Ebern viele "Spaziergänger" einfach nicht glauben; andere erklärten frei heraus, es sei ihnen egal, wenn es um gemeinsame Ziele gehe. Kurz vor 20 Uhr hatte sich die Versammlung, die nach Lesart der Teilnehmer gar keine war, dann wieder aufgelöst.
Für viele Männer und Frauen scheint es die einzige Kundgebung dieser Art gewesen zu sein, weil vor der "eigenen Haustüre", andere hörte man hingegen von ihren Erfahrungen andernorts und davon reden, wie sie sich beim nächsten "Spaziergang" treffen wollen. Die Proteste gegen die Corona-Politik dürften auch in der Region nicht aufhören, schon gar nicht, wenn die Einschränkungen nach Weihnachten schärfer werden sollten.
Und inzwischen tauscht sich die Szene über einen weiteren abendlichen Spaziergang in Ebern am kommenden Mittwoch aus.
danke für die sachlich-kritischen Anmerkungen. Ich möchte aber in einem Punkt widersprechen. Wir alle, Bürgerinnen und Bürger, Journalisten oder Wissenschaftler, können doch frei die Corona-Maßnahmen der Politik kritisieren. Je nach Überzeugung und Färbung kritisieren sich doch die Politikerinnen und Politiker gegenseitig für die Entscheidungen, die sie zur Bekämpfung der Pandemie treffen oder eben nicht. Siehe jetzt ganz aktuell die Uneinigkeit innerhalb der FDP.
Wir haben doch eine freie Meinungsäußerung, sofern wir uns auf dem Boden von Demokratie und Verfassung bewegen. Und das beweist doch unter anderem eine Veranstaltung wie diejenige in Ebern.
Ich wünsche Ihnen ein friedliches und frohes Weihnachtsfest,
liebe Grüße aus der Redaktion, Martin Sage