Seit 1996 lebt die Engländerin Chris Atkinson-Price in Deutschland, 2000 kaufte sie zusammen mit ihrem Mann ein Haus im Burgpreppacher Ortsteil Hohnhausen. Doch jetzt macht ihr die Politik ihres alten Heimatlandes zu schaffen: Für viele Briten, die in anderen EU-Ländern leben, ist der Brexit eine Katastrophe. Deshalb engagiert sich die 69-Jährige nun in einer Gruppe, die versucht, den EU-Austritt Großbritanniens doch noch abzuwenden.
Dafür hat sich Chris Atkinson-Price der Bewegung „Bremain in Spain“ angeschlossen. Ihren Anfang genommen hat die Gruppe in Spanien, mittlerweile hat sie sich aber auf die gesamte Europäische Union ausgeweitet. Ähnlich wie das Wort „Brexit“, das sich aus „Britain“ und „Exit“ (Austritt) zusammensetzt, ist „Bremain“ ein Wortspiel mit „Britain“ und „Remain“ (bleiben). Die Gruppe besteht aus Briten, die in anderen europäischen Ländern leben und sich wünschen, dass ihre alte Heimat weiter Teil der EU bleibt. Für dieses Ziel wollen sie auch vor Gericht gehen. Ihre Begründung: Das Referendum über den EU-Austritt war aus Sicht der Aktivisten illegal.
Rechte sind völlig unklar
Denn für die Kampagne, die den Austritt bewarb, wurde mehr Geld ausgegeben, als nach den Gesetzen erlaubt war. Damit, so die Argumentation der Bremain-Aktivisten, hätten die EU-Gegner auf dem Ideenmarkt einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil erlangt. Vertreten durch die Anwaltskanzlei Croft klagt Bremain-Vorsitzende Sue Wilson, eine in Spanien lebende Britin, daher gegen Premierministerin Theresa May und ihre Politik.
Dafür suchte sie auch nach anderen im EU-Ausland lebenden Briten, die als Nebenkläger mit ihr vor Gericht ziehen. Neben einem Vertreter der Gruppe „Fair Deal Forum“ sowie zwei Briten, die in Frankreich und Italien leben, gehört Chris Atkinson-Price zu diesen Antragstellern.
„Ich bin der Gruppe beigetreten, weil ich mich so verletzlich gefühlt habe“, erzählt Chris Atkinson-Price im Gespräch mit dieser Redaktion. „Wir wissen nicht, welche Rechte wir haben. Und EU-Bürger in Großbritannien haben das gleiche Problem.“ Denn innerhalb der Europäischen Union gibt es einige klare Gesetze, wie mit Menschen umgegangen wird, die aus einem EU-Land stammen, aber in einem anderen EU-Land leben. Die Menschen können problemlos zwischen beiden Ländern hin- und her reisen, auch der Transfer von Geldbeträgen wie Gehältern, Renten und Versicherungsbeiträgen ist recht unkompliziert und klar geregelt. Doch wie das nach dem Brexit aussehen soll, sei noch gänzlich ungeklärt. Viele dieser Fragen hätten in den Austrittsverhandlungen auch bisher keine Rolle gespielt, berichtet Chris Atkinson-Price, die sich unter anderem Sorgen um ihre Gesundheitsvorsorge macht.
Neue Staatsbürgerschaft
Chris Atkinson-Price stammt aus dem Norden Englands, mit 18 zog sie nach London, um dort zu studieren. Viele Jahre später lernte sie ihren Mann Adrian Price kennen, der zu diesem Zeitpunkt schon seit vielen Jahren in Deutschland lebte. Deshalb nahm sie 1996 einen Job bei der Britischen Armee an, in dem sie sich um in Norddeutschland stationierte britische Soldaten kümmerte. 2012 ging sie in den Ruhestand und gibt seitdem in Teilzeit Sprachkurse für Business-Englisch.
Im April wurden sie und ihr Mann offiziell deutsche Staatsbürger; eine Reaktion auf den Brexit. Vorher hatte Chris Atkinson-Price mehr als 20 Jahre in Deutschland gelebt, ihr Mann Adrian Price sogar über 50 Jahre, ohne über einen Wechsel der Staatsbürgerschaft nachzudenken. „Ich habe mich immer als Europäer verstanden und nicht als Brite oder Deutscher“, hatte Adrian Price damals in einem Interview zur Einbürgerung erzählt. Doch die Sorge, was es bedeuten könnte, als Nicht-EU-Bürger in einem EU-Staat zu leben, brachte die beiden Engländer schließlich dazu, offiziell Deutsche zu werden.
Dennoch gibt Chris Atkinson-Price den Kampf gegen den britischen EU-Austritt nicht auf. Im März 2017 und im Juni 2018 reiste sie nach London, um mit anderen Brexit-Gegnern an Demonstrationen teilzunehmen, die nächste Demo-Reise steht im Oktober an.
Das Thema sei ihr eben sehr wichtig, sagt die 69-Jährige. „Es ist schädlich für Großbritannien, schädlich für Europa und schädlich für mich persönlich.“ Auch finanziell war das Referendum für sie mit Einbußen verbunden. Schon jetzt koste sie der Brexit rund 500 Euro im Monat, obwohl er noch nicht einmal vollzogen ist. Grund dafür sei, dass, nachdem der Austritt beschlossen wurde, die Aktienkurse einbrachen und das britische Pfund an Wert verlor. Dadurch ergebe die Rente, die sie aus England bezieht, mittlerweile in Euro einen wesentlich geringeren Betrag als früher. Wenn der Austritt einmal vollzogen ist, könnte diese Entwicklung noch weitergehen.
Dabei sei sie noch relativ gut dran. Das Ehepaar Price ist auch mit in Spanien lebenden Briten befreundet. Dort haben sich einige Menschen aus dem Vereinigten Königreich Häuser als Alterswohnsitz gekauft – doch mit den vielen ungeklärten Fragen möchte so mancher von ihnen nun doch zurück in die alte Heimat.
Lügenkampagne
Chris Atkinson-Price ärgert sich auch darüber, dass in der Kampagne für den Brexit oft mit Lügen gearbeitet worden sei. Als Beispiel nennt Atkinson-Price die Flüchtlingsaufnahme. So hätte das Königreich durchaus auch als EU-Mitglied die Zahl an Nicht-Europäern begrenzen können, die einreisen dürfen. Das hatte die britische Regierung aber nicht getan. Trotzdem sei von Austrittsbefürwortern so getan worden, als würde die EU stärkere Einreisebestimmungen verhindern. Es hatte sogar eine Pro-Brexit-Werbekampagne mit Bildern von syrischen Flüchtlingen gegeben. „Viele glauben, der Austritt würde die Einwanderung von außerhalb Europas stoppen. Aber das ist Blödsinn“, sagt Chris Atkinson-Price – ebenso wie die Vorstellung, London hätte die Kontrolle über das eigene Land an Brüssel verloren.
So kämpft sie weiter leidenschaftlich für den Verbleib Großbritanniens in der EU – und gibt die Hoffnung nicht auf, dass „Bremain“ das Blatt noch einmal wenden kann.