
Mein Doktor hat gesagt, ich soll weitermachen, weil es mir gut tut. Das sagt Helmut Kuhn aus Sylbach. Und weil Rasten und damit Rosten sowieso nicht in seine Welt passt, hat er inzwischen mit dem Bau eines zweiten Fachwerkhauses begonnen. In Miniatur wohlgemerkt, aber das schmälert die Leistung des Schreiner- und Wagnermeisters im - nun ja - Ruhestand keinesfalls. Denn Kuhn ist stolze 91 Jahre alt. "Und eigentlich wollen meine Hände nicht mehr so recht", verrät er der Redaktion am Telefon.
Verglaste Fenster und ein abnehmbares Dach
Aber weil das mit den Händen ja nicht besser wird, wenn man gar nichts tut, hat er in den letzten Monaten ganz aus Holz ein Holzhäuschen gebaut, so detailgetreu, so präzise verarbeitet, dass man das mit den altersbedingten Einschränkungen nicht glauben mag. Mit Türen und Fenstern, die sich öffnen lassen und die der Meister teils sogar verglast hat; mit einem abnehmbaren Dach, das laut Kuhn die schwierigste Aufgabe war, weil sich die Ziegel aus Mahagoniholz wie in echt einzeln überlappen sollten. Mit Mobiliar und mit jenem Teil, der ihm selbst am besten an seinem Werk gefällt, nämlich dem Dachvorsprung.

Es ist nicht so, dass Kuhns Hände nach seinem langen Arbeitsleben irgendwann einmal geruht hätten. Er hat Schmuckkästchen gemacht, Spiegel, Kommoden. Und einmal sogar eine Kanone, die unter anderem durch ihre perfekten Räder besticht. Denn gelernt ist gelernt. Mit 14 Jahren ging Helmut Kuhn bei einem Wagner in die Lehre. Später legte er in diesem Handwerk die Meisterprüfung ab, ehe er auf Schreiner umsattelte. Denn die Nachfrage nach Leitern und Wagenrädern aus Holz sei immer mehr zurückgegangen. Als Autodidakt bestand Kuhn in den 1970-er Jahren auch als Schreiner die Meisterprüfung und fertigte in seinem eigenen Betrieb in Sylbach in den folgenden Jahrzehnten Treppen, Möbel und Fenster.
"Fachwerkhäuser haben mir schon immer gefallen"
Und: Immer wieder durfte er auch bei der Renovierung von Fachwerkhäusern Hand anlegen. "Fachwerkhäuser haben mir schon immer gefallen", sagt der Senior, und weil er nach so vielen Schmuckkästchen oder Schatullen eine neue Herausforderung suchte, kam ihm die Idee zu seinem jüngsten Projekt. Woran auch die Nachbarschaft nicht ganz unschuldig ist: Einige Anwesen in seiner Straße in Sylbach sind Fachwerkkonstruktionen. Da hat er sich beim Blick aus dem Fenster inspirieren lassen.

Zu seiner Werkstatt hatte es Helmut Kuhn nie weit, sie befindet sich im Untergeschoss seines Hauses. Und es gibt sie noch immer, die Schreinerei. Heute ist hier Sohn Frank der Meister. Also nur die Treppe runter und schon kann Vater Helmut loslegen? So ist es heute nicht mehr, insbesondere nach einem Sturz schafft es der 91-Jährige nicht mehr zu den Maschinen und Werkzeugen hinab. Seine Werkbank ist inzwischen der Küchentisch.
Den Zuschnitt des Holzes erledigt inzwischen der Sohn Frank Kuhn
Und während - wie im Falle des Miniaturfachwerkhauses - alle Ideen und Pläne von ihm stammen, erledigt Sohn Frank den Zuschnitt, und zwar grundsätzlich aus Abfallholz. Was "von unten" geliefert wird, das leimt Helmut Kuhn dann zusammen, beizt das Holz und lackiert es und setzt zum Beispiel die Glasscheiben in die Fenster.

Und wie lange hat er denn nun gebraucht, um sein Modellhaus fertig zu bauen? "Das ist schwer zu sagen", erklärt Helmut Kuhn. Manchmal hatte sein Sohn keine Zeit für den nächsten Zuschnitt, dann musste er eben warten, bis es an der "Baustelle" weitergehen konnte. "Manchmal habe ich auch keine Lust", verrät der Senior. Ruhestand ist eben Ruhestand. Von Enkeltochter Alina Geuppert, die die Fotos zu diesem Beitrag geschossen hat, ist zu erfahren, dass der alte Herr im letzten halben Jahr doch beinahe täglich drei oder vier Stunden am Küchentisch saß und nicht etwa, um dort zu essen.

Und so ist es auch mit Modellhäuschen 2. "Es ist schön, eine Beschäftigung zu haben", sagt Helmut Kuhn, der seit 2015 verwitwet ist. Und was macht man mit zwei und irgendwann vielleicht drei oder vier Fachwerkhäusern im Puppenhausformat? "Die stehen halt dann rum", meint der Meister, aber ergänzt: "Wenn jemand eines kaufen will, dann gerne."
Erst im vergangenen Jahr hatte die Redaktion über ein ähnliches Projekt berichtet: Der damals 87-jährige Sander Alois Mühlfelder hatte da gerade der Öffentlichkeit seine im eigenen Garten stehenden und in über 300 Stunden erbaute Miniatur seines Wohnhauses präsentiert.