Könnte Knetzgau am 2020 als erster Ort im Landkreis Haßberge einen grünen Bürgermeister bekommen? "Wenn nicht eine gewisse Außenseiterchance da wäre, hätten wir es nicht gemacht", sagt Peter Werner, der derzeit für die Partei im Gemeinderat sitzt. Zwar geht Benjamin Schraven, der gegen Amtsinhaber Stefan Paulus (SPD/CWG) antritt, nicht als Favorit ins Rennen, dennoch hält sein Parteifreund Werner einen Sieg nicht für gänzlich ausgeschlossen. Schraven ist seit langem der erste grüne Bürgermeisterkandidat im Landkreis; zuletzt hatte es die "Umweltpartei" 1997 mit Rainer Marquardt in Haßfurt versucht. "Unser Ziel ist, den Bürgermeister und mindestens vier Gemeinderäte zu stellen", sagt Peter Werner. Das zeigt: Es hat sich etwas verändert in der politischen Landschaft. "Die Grünen sind angekommen." Das zeigt sich auch in der steigenden Zahl an Ortsverbänden im Landkreis.
Auch andere Kommunalpolitiker der Grünen, die schon lange dabei sind, haben eine Veränderung bemerkt. "Früher sind wir noch belächelt worden. Aber der Respekt hat sich vergrößert", freut sich der Kreisrat Harald Kuhn, der dem Kreisvorstand der Partei angehört und im Zeiler Stadtrat sitzt. Nun sei das Ziel, auch im Landkreis Haßberge die Politik "mit grüner Handschrift zu füllen", sagt er. "Und wer könnte das besser, als ein Bürgermeister?"
Keine Wahl ohne Wahl
Kuhn ist daher der Meinung, es sei prinzipiell gut, einen Kandidaten aufzustellen, wenn die Möglichkeit da ist. Auch der Kandidat selbst spricht von einem wichtigen Beitrag für die Demokratie. "Eine Wahl hat man nur, wenn man eine Wahl hat", betont der 41-jährige Migrationsforscher, dass er Abstimmungen mit nur einem Kandidaten kritisch sieht. Dass sich oft kein Gegenkandidat findet, wenn sich ein Bürgermeister zur Wiederwahl stellt, sieht Schraven als Problem. "Ich finde diese Langzeitherrschaften fragwürdig." Zwar sieht er ein, dass so mancher Politiker große Projekte, die er selbst begonnen hat, auch gern persönlich zum Abschluss bringen möchte. Doch zu lange Amtszeiten führen seiner Ansicht nach zu Stillstand. "Nach zwei Amtszeiten muss ein Gegenkandidat kommen, sonst schläft die Demokratie ein."
Bürgermeisterkandidat Schraven ist, wie viele Kommunalpolitiker, selbst kein Mitglied der Partei, für die er antritt. Parteipolitisch war er vorher nicht aktiv, hatte aber in Leserbriefen und sozialen Medien immer wieder seine Meinung zu bestimmten Themen öffentlich gemacht; daraufhin fragten ihn die Grünen, ob er für sie kandidieren wolle. Die Ziele der Partei könne er größtenteils unterstützen, sieht aber ein Kommunikationsproblem: Die Grünen seien geprägt von Städtern und Akademikern, deren Sprache oft nicht bei den Wählern auf dem Land ankomme. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Herangehensweise an bestimmte Themen: "Man muss den Leuten auch erklären, wie wir in zehn Jahren unser Geld verdienen."
Hier sieht auch Harald Kuhn, der seit 30 Jahren Parteimitglied ist, Nachholbedarf. Gerade beim Klimaschutz stünden die negativen Aspekte zu sehr im Vordergrund. Dabei gebe es auch Chancen: "Klimaschutz kostet Geld, aber schafft auch Möglichkeiten, Geld zu sparen." Der Mythos von der "Verbotspartei" entstehe auch, weil die Vorteile zu wenig herausgehoben werden.
Mehr als Umwelt und Pazifismus
Dass die Grünen mittlerweile nicht mehr als Öko-Spinner belächelt, sondern als ernstzunehmende Partei wahrgenommen werden, liege auch daran, dass sie die Gelegenheit hatten, sich zu beweisen. Realos wie der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hätten gezeigt, dass sie durchaus in der Lage sind, politische Verantwortung zu übernehmen.
Vielleicht hat auch die Regierungsverantwortung dazu beigetragen, dass die Grünen das Image von der "Ein-Themen-Partei" abstreifen konnten, das ihnen lange anhaftete. "Man kann uns nicht mehr abstempeln als die Partei, die sich nur für Umwelt und Pazifismus interessiert", sagt Peter Werner.
Wie für die meisten Parteien gilt auch für die Grünen: Kommunalwahlen sind zu einem großen Teil Persönlichkeitswahlen. "Ich wähle ja eigentlich keine Grünen, aber dich wähle ich", sei ein Satz, den Peter Werner schon oft gehört hat. Und so sieht sich der Westheimer auch, wenn er im Gemeinderat sitzt, mehr als Knetzgauer Bürger als als Parteisoldat. "Ich bin schon Grüner, aber bei Entscheidungen ist mir die Kommune näher als die Partei", sagt er. Auch Harald Kuhn betont, er sei "erst mal Zeiler" und wolle nicht alles durch die "Parteibrille" sehen.
Abgewatscht für die Bundespolitik
Ganz unabhängig von der Partei sind die Ergebnisse der Kandidaten vor Ort dennoch nicht. "Kommunalpolitiker sind an der Basis. Wir werden abgewatscht für das, was in der Bundespolitik passiert", sagt Peter Werner. Und nicht nur für das, was die eigene Partei tut. So erzählt der Knetzgauer Ortsverbandsvorsitzende Jochen Ambros: "Ich als Grüner werde auch dafür verantwortlich gemacht, was die Umwelthilfe macht, obwohl die ja gar nichts mit der Partei zu tun hat."
Den Grünen scheint es sowohl in der großen wie auch in der kleinen Politik Respekt und Stimmen einzubringen, wenn realpolitischer Pragmatismus stärker ist als die Ideologie; auch wenn das Ankommen in der Kommunalpolitik im ländlichen Raum langsamer geht als in den Städten. Ein Grund dafür könnte die Angst vieler Bauern sein, dass weitere Umweltauflagen ihre Arbeit immer unrentabler machen. Peter Werner meint, dass der Bauernverband den Berufsstand für seine Zwecke instrumentalisiere: Er sieht den Verband nicht als Vertreter der Landwirte, sondern eher als Vertreter der Hersteller von Spritzmitteln und Saatgut.
Harald Kuhn spricht im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen seiner Partei und der Landwirtschaft von einem Missverständnis. Das Problem sieht er nicht in den Auflagen, die den Bauern gemacht werden, sondern in Handelsabkommen, die es erlauben, landwirtschaftliche Produkte aus anderen Ländern zu Preisen zu bekommen, mit denen die Hersteller vor Ort nicht mithalten können. "Wir dürfen die Bauern nicht allein lassen. Produkte aus der Region müssen wir stärken."
Mehr extreme Positionen auf dem Land
Zur Frage, warum sich seine Partei auf dem Land noch relativ schwer tut, meint Kuhn: "Je ländlicher, desto extremer." Es sei eben weniger Kontakt zu bestimmten Personengruppen und zu bestimmten Themen da; und wo es beispielsweise weniger Kontakt mit Ausländern gibt, da falle auch die Angst vor Zuwanderung und Veränderung auf einen fruchtbareren Boden. Dass bei den letzten Wahlen in der "Großen Politik" nicht nur die Grünen, sondern auch rechtsextreme Kräfte einen Aufschwung erlebt haben, sehen die Befragten allerdings nicht als einen Trend, der in der nächsten Zeit auch in der Kommunalpolitik ankommen wird. "Die trauen sich anscheinend nicht", sagt Benjamin Schraven. "Keiner will sich vorne hinstellen", meint auch Jochen Ambros - worüber er sich freut, denn: "Es wären Wähler da." Auch Peter Werner erzählt, er werde von AfD-Anhängern oft anonym angeschrieben, outen wolle sich dann aber keiner.
Bei ihrem eigenen Aufstieg und dem wachsenden Rückhalt in der Gesellschaft können die Grünen sicher auch davon profitieren, dass die Bevölkerung den Klimawandel immer mehr als reale Bedrohung erkennt und dass die Bewegung "Fridays for Future" dazu beiträgt, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten. Ist das nur ein kurzfristiger Hype oder wird die Partei auch in den nächsten Jahrzehnten davon profitieren können? "Das wird nicht abebben", meint Benjamin Schraven. "Ob die Grünen stark bleiben, weiß ich nicht. Aber das Thema wird bleiben."