Auch zum dritten der vier historischen Vorträge im Laufe des Jubiläumsjahres war das Rudolf-Winkler-Haus sehr gut besucht. Ludwig Leisentritt hatte die Zeitspanne von der Säkularisation 1803 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918 aufbereitet und erzählte in knapp zwei Stunden Interessantes, fast Vergessenes, viel Trauriges aber auch Lustiges. Langanhaltender Applaus dankte ihm für seinen Vortrag.
Was die Säkularisation nach 800 Jahren Zugehörigkeit zum Hochstift Bamberg für die Zeiler bedeutete, das zeigte Ludwig Leisentritt anhand der Friedhofskapelle auf, die beinahe abgerissen, dann aber doch für nur 15 Gulden an die Stadt verkauft wurde – damit die Leute bei Beerdigungen trocken stehen konnten. Die Maria-Hilf-Kapelle, Vorgängerin des Zeiler Käppele, war in Privatbesitz und daher nicht berührt – die Wallfahrten jedoch waren nicht mehr erwünscht.
Das Jahr ohne Sommer
Zeil war in seiner ganzen Geschichte nie begütert. Kaum hatten sich die Zeiler einen gewissen Wohlstand erworben, wurden sie geplündert – oder litten unter weltweiten Katastrophen wie dem Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien. Die Explosion im April 1915 schleuderte so viel Asche in die Atmosphäre, dass es ein Jahr später weltweit Missernten gab. Unter dem „Jahr ohne Sommer“ litten 1916 auch die Zeiler.
Leisentritt zeigte auf, wie wichtig damals der Ernteerfolg für die gesamte Stadtgemeinschaft war. Größter Feind der Landwirtschaft war aber nicht das Wetter, sondern es waren Schädlinge. So war es Bürgerpflicht, Raupen oder Schnecken abzusammeln – oder auch Mäuse zu fangen.
Die Armut war groß in dieser Epoche der Zeiler Stadtgeschichte. So groß, dass Landrichter Kummer aus Eltmann sogar drohte, das Zeiler Rathaus verkaufen zu lassen, wenn die Schulden bei einem Kaufmann nicht beglichen würden. Landrichter Kummer sei es auch gewesen, der das Untere Stadttor abbrechen ließ, um mit dem Schutt die Straße auffüllen zu lassen. Kummer wollte eine komfortable Passage für König Ludwig II auf dessen Weg zur Kur nach Bad Kissingen schaffen.
Extrasteuer auf Bier
Halbwegs gut verdienten Steinhauser und die Mitarbeiter der Weberei. Die sollten, um das Stadtsäckel zu füllen, einen Aufschlag auf den Bierpreis, die so genannte Lustbarkeitssteuer bezahlen. „Es gab sogar eine Hockersteuer für nächtliche Zecher“, wusste Ludwig Leisentritt zu berichten. Und es gab Armutsflüchtlinge aus Zeil. Die meisten wanderten nach Nordamerika aus, aber auch nach Griechenland und Algier. Die Papiere belegen, dass rund 500 Zeiler in dieser Zeit in Nordamerika ihr Glück suchten – und viele wurden von den Agenten, die die Überfahrten organisierten, bis auf das letzte Hemd betrogen.
Einige der Auswanderer machten beachtliche Karrieren, wie der Schlosser Michael Derleth, dessen Urenkel August Derleth in den USA ein berühmter Schriftsteller wurde. Oder Heinrich Schwert, der es vom Holzfäller zum Präsidenten der Staatsbank in Wisconsin brachte.
Aber auch in Deutschland machten einige Zeiler auf sich aufmerksam. So der Chemiker Dr. Fritz Winkler, Bruder des späteren Bürgermeisters Oskar Winkler. Der Chemiker meldete rund 100 Patente an und wird als Forscher und Erfinder zu den hundert wichtigsten Wissenschaftlern Deutschlands gezählt.
Viel Interessantes erfuhren die Zuhörer auch über das Schulwesen in Zeil, das in dieser Zeit vom Platzmangel geprägt war. Sogar im Rathaus wurden die Kinder unterrichtet – dort aber krank, weil die Räume mit dem berüchtigten arsenhaltigen Schweinfurter Grün gestrichen waren. Beinahe wäre die Anna-Kapelle für eine Schulerweiterung abgebrochen worden – aber die Zeiler hatten wieder einmal kein Geld für ihr Bauvorhaben.
Mainverlegung und Eisenbahn
Leisentritt lenkte die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auch auf einige Gegenstände, die im Rathaus im Treppenhaus ausgestellt werden, die aber die meisten Besucher übersehen – die Trommeln und den Rest der Fahne der „Volkswehr“, denn nicht nur Königsberg hatte eine Bürgerwehr.
Die Mainverlegung und der Bau der Eisenbahnlinie veränderten Zeil wesentlich. Zunächst erschwerten sie den Landwirten den Zugang zu ihren Feldern – langfristig verbesserten beide Maßnahmen aber die Infrastruktur, von der später die Weberei, vor allem aber die Schleifsteinindustrie profitieren konnte.
Leisentritt erzählte vom Aufstieg des Michael Mölter, der aus einfachen Verhältnissen kam. Die Stadt musste ihm das Lehrgeld finanzieren und später gab er so vielen Menschen Arbeit, dass die Zeiler Bevölkerung von 1890 bis 1900 um 200 Einwohner anwuchs. Die Arbeitsplätze in der Weberei waren begehrt, die Frauen mussten weniger Übergriffe befürchten, als wenn sie als Dienstmädchen „in Stellung“ gingen. Allerdings herrschte 1910 die 65-Stunden-Woche. Oft half der Arbeitsplatz der Frau, die Familie auch im Winter zu ernähren, wenn die Steinhauer keine Arbeit hatten.
Bis 1867 dauerte es, dass sich der erste Arzt in Zeil niederließ, ein Jahr später eröffnete Ferdinand Stadtler eine Apotheke – und die Freiwillige Feuerwehr wurde gegründet. Viele Brände suchten die Stadt in ihrer Geschichte heim und so bezeichnete Leisentritt die Feuerwehr als „wichtigste Bürgerinitiative“.
Geschätzter Wein aus Ziegelanger
Die wichtigste Bodenkultur war bis ins 18. Jahrhundert der Wein. 1830 wurden 45 Hektar Weinberge verzeichnet, 1852 waren es nur noch 17, im Jahr 1913 noch sieben Hektar. Der Ziegelangerer Ölschnabel war sogar als Messwein am Bamberger Domberg geschätzt. Die Regierung war es, die dazu animierte, Hopfen anzubauen.
Zehn Jahre lang forderten die Zeiler eine Brücke über den Main, 1911 wurde die Prinzregent-Luitpold-Brücke eröffnet. „Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft mit unseren Nachbarn südlich des Maines“, sagte Leisentritt augenzwinkernd – und der Saal lachte herzhaft angesichts der innig gepflegten Hass-Liebe mit den Sandern. 1920 löste sich die jüdische Gemeinde auf, die 600 Jahre lang zu Zeil gehört hatte. 1794 wurde Wolf Goldman in Zeil geboren. Er war Viehhändler und – für einen jüdischen Bürger ungewöhnlich – Bauer. Sein Sohn Marcus ging in die USA und gründete das Bankhaus Goldman-Sachs.
Krieg fordert Zeiler Opfer
Auch Pfarrer Karl Link durfte in dem Vortrag nicht fehlen. Er war von Lourdes so beeindruckt, dass er anstelle der alten Maria-Hilf-Kapelle das heutige Käppele, das „fränkische Lourdes“ errichten ließ. 1880 gründete sich der Kapellenbauverein und die Wallfahrtskirche entfaltete die erwünschte Anziehungskraft.
1914 wurden auch Zeiler Bürger in den Ersten Weltkrieg gerufen. Darunter Offiziere wie Apotheker Speth oder Oskar Winkler, aber auch der Vater von Ludwig Leisentritt, gerade 18 Jahre alt geworden. Von ihm ist die Aussage überliefert: „Ich habe es im Ersten Weltkrieg bis zum Gefreiten gebracht – aber ich war immer gut zu meinen Leuten“. 50 Zeiler sind im Krieg gefallen oder blieben vermisst – und nach dem Krieg sei Zeil sehr fromm geworden, berichtete Leisentritt. Nach dem Ende der Monarchie wurde der Wittelsbach-Brunnen am Marktplatz abgerissen und auch der „Gasthof zum Deutschen Kaiser“ benannte sich um in „Deutsches Haus“.
Bürgermeister Thomas Stadelmann dankte Ludwig Leisentritt für den spannenden Vortrag. „Wir dürfen stolz auf alle unsere Heimatforscher sein“, die die Zeiler Geschichte so akribisch aufarbeiten, betonte er. Er lud auch zum vierten Vortrag ein, auf die letzten hundert Jahre der Zeiler Geschichte wird Altbürgermeister Christoph Winkler am 14. November eingehen.