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Allertshausen
35 Jahre Grenzöffnung bei Allertshausen: Von "Vita Cola", einem Ami-Hubschrauber und Hauptmann Ritschel
Heldburgs Bürgermeister Christopher Other und Maroldsweisachs Zweite Bürgermeisterin Heidi Müller-Gärtner legten einen Kranz vor dem Gedenkstein nieder.
Foto: Martin Schweiger | Heldburgs Bürgermeister Christopher Other und Maroldsweisachs Zweite Bürgermeisterin Heidi Müller-Gärtner legten einen Kranz vor dem Gedenkstein nieder.
Martin Schweiger
 |  aktualisiert: 08.12.2024 02:31 Uhr

Dramatische Szenen spielten sich am Abend des 2. Dezember 1989 am Wasserbehälter in Hellingen (Stadt Heldburg) ab: Hauptmann Ritschel hatte sich dort in Uniform mit Koppel und Pistole positioniert, um Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR abzupassen. "Zum Erfahrungsaustausch gehen maximal fünf Personen nach drüben", befahl er den Musikern der Riether Blaskapelle, die sich auf den Weg zum ehemaligen Grenzübergang nach Allertshausen aufgemacht hatten.

Gerd Rohrmann, der damalige und heutige Vorsitzende der Musiker, bewies Mut. "Des kannste vergessen. Wir sind alleine schon zwölf in der Kapelle", antwortete er dem Hauptmann und lief mit seinen Vereinskameraden einfach weiter – ungeachtet der Tatsache, dass er von hinten wegen "Republikflucht" hätte erschossen werden können.

Jetzt 35 Jahre Grenzöffnung gefeiert

Das wurde er nicht. Am Montagabend, 35 Jahre nach der Begegnung mit dem Hauptmann, spielte Rohrmann wieder mit der Riether Blaskapelle zwischen Hellingen und Allertshausen – anlässlich der Feier zum 35-jährigen Jahrestag der Grenzöffnung. Diesmal konnten die Musikanten bequem per Auto anreisen.

Die Gedenkfeier zur 35-jährigen Grenzöffnung war nur spärlich besucht.
Foto: Martin Schweiger | Die Gedenkfeier zur 35-jährigen Grenzöffnung war nur spärlich besucht.

"Vor 35 Jahren war es eiskalt. Die Straße zur Grenze war nicht so gut wie heute. Es war rutschig, dunkel und nass", erinnert sich der 70-jährige Rohrmann heute. Und ein weiteres Detail ist ihm in Erinnerung geblieben: "Über uns kreiste damals ein Ami-Hubschrauber und verfolgte, wie sich damals die Menschen aus Ost und West in den Armen lagen. Es war unbegreiflich."

Unbegreiflich ist für ihn heute, dass er zu DDR-Zeiten als Bürger von Rieth (Thüringen) nicht in ein anderes Grenzgebiet wie Meiningen oder Sonneberg reisen durfte. Wer von Rieth in das vier Kilometer entfernte Zimmerau (Bayern) reisten wollte, musste den Umweg über Gerstungen und Bebra in Hessen nehmen.

Im DDR-Reiseatlas, dem "Atlas für Moto-Touristik", waren westliche Grenzorte, wie Allertshausen oder Ermershausen, überhaupt nicht aufgeführt. "Wir sollten nicht wissen, wer unsere Nachbarn sind", mutmaßt Rohrmann. Dennoch sei die Neugierde da gewesen. "Wir wollten wissen, wie die Menschen ein paar Kilometer weiter reden", sagt er. "Die plaudern wie wir", habe ihm sein Opa nach einer Reise in den Westen verraten.

Schlechte Luft im Winter in Erinnerung

Heidi Müller-Gärtner (CSU), die als Zweite Bürgermeisterin Maroldsweisachs bei dem Termin den erkrankten Bürgermeister vertrat, hat selbst Wurzeln in Thüringen. Ihre Großmutter stammt aus dem thüringischen Adelhausen und flüchtete einst nach Hafenpreppach in die Marktgemeinde Maroldsweisach.

Als sie einmal Verwandte in der DDR besuchten, sei das Auto von Grenzpolizisten auf den Kopf gestellt worden, erinnert Müller-Gärtner sich an eine Begebenheit, als sie acht Jahre alt war. "Ich hatte Angst und eine schlechte Erinnerung an die Grenze", erzählt sie an diesem Abend in ihrer Ansprache. Von Besuchen im Osten habe sie noch die schlechte Luft im Winter in Erinnerung sowie die Getränke "Vita Cola" und Brause.

An den 2. Dezember 1989 erinnert sich Müller-Gärtner noch genau, wie sie sagt, obwohl sie damals erst elf Jahre alt war. Es sei an jenem Samstagabend "durchgesickert", dass an der Grenze etwas passiert. Menschenmassen aus Maroldsweisach, Ermershausen und anderen Orten hatten sich am Grenzübergang versammelt. Von weitem war schon die Riether Blaskapelle zu hören. Sie spielten das Lied: "So ein Tag, so wunderschön wie heute".

Es sollte jedoch noch eine Weile dauern, bis die Musiker an der Grenze ankamen. "Niemand wusste, dass es so weit war von Hellingen bis zur Grenze", sagt Müller-Gärtner. Schließlich hätten die Menschen gerufen: "Tor auf, Tor auf..." – und die Grenze sei gefallen. "Die Menschen lagen sich in den Armen. Es waren unbeschreibliche Glücksgefühle", erinnert sich die 46-Jährige heute.

Die Bürgerinnen und Bürger Hellingens seien damals anschließend in der Gastwirtschaft "Hartleb" in Maroldsweisach eingekehrt, die "Westbürger" in der Gaststätte "Rosi" in Hellingen. Doch um Mitternacht mussten alle wieder zuhause sein. Denn um 24 Uhr wurde die Grenze wieder geschlossen.

Eine gemeinsame Grenzfeier an Silvester 1989 wurde von den Volkspolizisten unterbunden. Die Grenze öffne erst am 1. Januar, wurde den Feierwilligen damals mitgeteilt. Im Jahr 1990 sei es dann zur ersten Ost-West-Hochzeit mit Brautleuten aus Allertshausen und Hellingen gekommen, so Müller-Gärtner.

Für Heldburgs Bürgermeister Christopher Other (CDU) war es bereits die dritte Jubiläumsfeier an der ehemaligen Grenze nach dem 25. und 30. Jubiläum. "Seit 35 Jahren leben wir in einem gemeinsamen Vaterland in Frieden und Freiheit – ein Segen, den wir zu schätzen wissen sollten", betont er. Other bedankte sich anlässlich der Feier bei den Freiwilligen Feuerwehren aus Maroldsweisach und Allertshausen und der Riether Blaskapelle.

 
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