Für evangelische Christen war Würzburg nicht immer ein gutes Pflaster. Erst das sogenannte Toleranzedikt im Jahr 1803 schuf die Grundlage für eine Gleichberechtigung der Konfessionen in der früheren Residenzstadt der katholischen Fürstbischöfe. Sie konnten nun Bürgerrechte erwerben und waren den Katholiken gleichberechtigt. Die Protestanten blieben in Würzburg stets in der Minderheit – und trotzdem spielt das evangelische Würzburg für die Gründung der heutigen bayerischen Landeskirche eine wichtige Rolle. Entscheidende Impulse für die moderne Kirchenstruktur kamen von dort, die Stadt gilt daher als Keimzelle der Landeskirche.
Wenn sich von Donnerstag, 30. April, bis Sonntag, 3. Mai, die zwölfte Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei ihrer Tagung in Würzburg konstituiert, wandeln die Synodalen auf historischen Pfaden. Denn die Verpflichtung der 120 Synodalen findet in der Dekanatskirche St. Stephan statt – einer früheren katholischen Klosterkirche, die 1803 zum ersten evangelischen Gotteshaus der Stadt wurde. Ein Jahr später wurde in der Gemeinde der vermutlich erste Kirchenvorstand in Bayern gegründet, knapp 50 Jahre bevor die Kirchenvorstände in der späteren bayerischen Landeskirche offiziell als Gremien eingeführt wurden.
Diese Woche nun tagt das Kirchenparlament, die Vertretung der 23,4 Millionen Protestanten in Deutschland, in Würzburg. Alle sechs Jahre werden 100 Synodale in den Landeskirchen gewählt sowie 20 vom Rat der EKD berufen. Zu vielen ehrenamtlich engagierten Gemeindemitgliedern kommen hauptamtliche Theologen sowie Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik.
Bekannte Gesichter
Neben Neusynodalen wie der Internet-Botschafterin der Bundesregierung, Gesche Joost, gehören dem Kirchenparlament weiter vertraute Gesichter an wie die amtierende Vorsitzende, die frühere FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer, Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, sowie die SPD-Sozialpolitikerin Kerstin Griese. Nicht mehr dabei ist der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU). Erwartet werden in Würzburg auch die führenden Pastoren der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), allen voran der Ratsvorsitzende, Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Auch die EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum, Margot Käßmann, ist angekündigt.
Zu den Aufgaben der Synode gehören Beratungen und Beschlüsse über Kirchengesetze und die Finanzen in Zeiten sinkender Steuereinnahmen aufgrund von Austritten und der demografischen Entwicklung. Aber auch Themen von großer gesellschaftlicher Relevanz wie die Flüchtlingspolitik, Kirchenasyl und Sterbehilfe stehen zur Diskussion Nicht zuletzt blicken die Synodalen voraus auf das Jahr 2017, wenn in allen Gemeinden der 500. Jahrestag der Reformation gefeiert wird. Am 31. Oktober 1517 hatte Martin Luther seine berühmten Thesen gegen den Papst an die Schlosskirche in Wittenberg geschlagen.
Selbstbewusste Landeskirche
Dass die EKD-Synodalen in Franken tagen, sollen sie nach Meinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern auch merken. Man biete den Synodalen einen „kleinen Vorgeschmack darauf, wie schön es in Bayern ist und wie sehr die bayerische Gastfreundschaft synodale Beratungen beflügelt“, sagt die bayerische Synodalpräsidentin Annekathrin Preidel. Die Tagung im Kirchenkreis Ansbach-Würzburg ist für Regionalbischöfin Gisela Bornowski ein „gutes Zeichen“ dafür, dass die EKD in ihren Gliedkirchen gut verortet ist. Gerade im überwiegend katholisch geprägten Bayern ist zum einen eine gut funktionierende Ökumene wichtig – und gleichzeitig eine gute Portion Selbstbewusstsein. Beides ist vorhanden, letzteres nicht erst seit Bedford-Strohm Ratsvorsitzender ist. Die bayerische Landeskirche muss sich nicht verstecken, ihr geht es – trotz der bekannten Zukunftssorgen – gerade im Vergleich zu den Kirchen im Norden und Osten Deutschlands finanziell und personell gut.
Während sich Würzburgs evangelische Dekanin Edda Weise vor allem darauf freut, dass sich bei der Synodaltagung zeigt, „wie vielfältig die evangelische Kirche in Deutschland ist“, wünscht sich der Würzburger katholische Bischof Friedhelm Hofmann neue ökumenische Impulse. „Wo immer es möglich ist, sollten wir als Christen gemeinsam für Werte eintreten“, sagte er. Er freue sich darüber dass die EKD-Synode nach 2009 und 2006 wieder in Würzburg tage und wolle zum weiteren „ökumenisch vertieften Dialog“ und nach Möglichkeit auch gemeinsamen Handeln „von Herzen Mut machen“.
Evangelische Kirche
Die EKD-Synode tagt ab diesem Donnerstag, 30. April, im Congress Centrum Würzburg. Alle Termine sind öffentlich. Ein erster Höhepunkt ist der Eröffnungsgottesdienst um 18 Uhr in St. Stephan, in dem die 120 Synodalen „verpflichtet“ werden. Das Plenum der EKD-Synode nimmt seine Beratungen am Freitag, 1. Mai, um 17.45 Uhr auf; für 19.45 Uhr ist der Vortrag „Irritationen der Zivilgesellschaft – Entfremdung, Protest, Gewalt“ des Historikers Professor Paul Nolte (Berlin) angekündigt. Am Samstag, 2. Mai, wird von 8.30 bis 22 Uhr debattiert. Schon am Vormittag steht die Wahl des oder der Präses auf dem Programm. Die Predigt beim Abschlussgottesdienst am Sonntag, 3. Mai, in St. Johannis hält der EKD-Ratsvorsitzende, Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Das Bayerische Fernsehen überträgt den Gottesdienst live.
23 Millionen Christen gehören der evangelischen Kirche in Deutschland an, verteilt auf 20 Landeskirchen. Die meisten Protestanten leben in Norddeutschland. Die katholische Kirche zählt aktuell rund 24,2 Millionen Mitglieder, die meisten leben im Süden. 1,4 Millionen gehören der orthodoxen Kirche an, 330 000 evangelischen Freikirchen.
Knapp 62 Prozent der Deutschen sind somit Mitglieder einer der beiden großen christlichen Kirchen (siehe Grafik), im Saarland über 81 Prozent, in Bayern über 72 Prozent. Der Anteil ist zuletzt durch Austritte überall zurückgegangen. In Ostdeutschland sind Kirchen nur noch Minderheitenprogramm, in Sachsen-Anhalt und Brandenburg erreichen sie nicht mal mehr 20 Prozent der Bevölkerung.
Der beliebteste Gottesdienst in der evangelischen Kirche ist der an Heiligabend, wenn fast 8,5 Millionen kommen. 1,7 Millionen sind es an Erntedank. An einem „normalen“ Sonntag besuchen rund 800 000 Menschen einen evangelischen Gottesdienst.
"Eine Kirche, die Zeitdeutung und Trost anbietet, bleibt relevant"