Es war eine Überraschung, als die EKD-Synode 2009 in Düsseldorf die frühere FDP-Bundespolitikerin Irmgard Schwaetzer zu ihrer Präses wählte. Vorausgegangen war eine heftige Personaldebatte nach dem Rücktritt der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckart. Auf ihren Stellvertreter Günther Beckstein mochte sich die Synode nicht einigen. Da war die studierte Apothekerin Schwaetzer, die von 1987 bis 1994 Bundesministerin war, die ideale Kompromisskandidatin. Die Wiederwahl der 73-Jährigen am Samstag in Würzburg wäre keine Überraschung mehr.
Irmgard Schwaetzer: Ich habe meine Bereitschaft erklärt, mich wieder zur Wahl zu stellen. Aber um wirklich gewählt zu werden, muss mich erst einmal der Nominierungsausschuss, der in Würzburg gewählt wird, vorschlagen. So ist das Verfahren, das warte ich ab.
Schwaetzer: Ein Ziel bei meinem Amtsantritt war, die Kommunikation zwischen der Synode, die sich in der Regel nur einmal im Jahr trifft, und dem Rat zu verbessern, so dass die Synodalen zu jedem Zeitpunkt über die Themen informiert sind, die gerade in der evangelischen Kirche diskutiert werden. Das haben wir im Präsidium konsequent umgesetzt, das wird auch geschätzt. Inhaltlich beschäftigt uns neben der Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017 und dem interreligiösen Dialog die Frage, wie wir als Kirche noch deutlicher Anwältin für diejenigen sein können, die in dieser Gesellschaft unter die Räder geraten, wie jetzt die vielen Flüchtlinge, aber auch Menschen mit Behinderungen. Das bleibt eine unserer Hauptaufgaben.
Schwaetzer: Uns schmerzt jeder Austritt. Natürlich fragen wir uns, was wir tun können, um die Menschen bei uns zu halten. Auch wenn immer noch zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland einer christlichen Kirche angehören, haben wir es mit einem tief greifenden Traditionsbruch zu tun. Dinge, die früher selbstverständlich waren, finden heute nicht mehr automatisch statt. In vielen Familien wird kaum noch religiöse Grundbildung vermittelt, religiöse Rituale werden dort nicht mehr gelebt. An dieser Stelle sind evangelische Kindergärten und evangelische Schulen gefordert.
Schwaetzer: Eltern, die ihre Kinder zur Taufe bringen, versprechen, diese christlich zu erziehen. Wir müssen sie dabei noch besser unterstützen. Außerdem haben wir Nachholbedarf bei der Beteiligung junger Menschen. Viele lassen sich noch konfirmieren, entfremden sich aber in der Zeit danach von der Kirche. Jungen Menschen in dieser Lebenssituation des Erwachsenwerdens interessante Angebote zu unterbreiten, bleibt eine Aufgabe.
Schwaetzer: Sehr gute Erfahrungen gibt es damit, junge Menschen aktiv einzubinden, etwa als Teamer in der Konfirmandenarbeit oder bei der Gestaltung von Kindergottesdiensten, in Chören oder Bläserensembles. Auch Kirchen mit einem besonderen Profil erleben einen Zulauf.
Schwaetzer: Eine Kirche, die Zeitdeutung und Trost anbietet, bleibt gesellschaftlich relevant. Das haben wir gerade wieder beim Germanwings-Flugzeugunglück erlebt, als viele Menschen als erstes fragten: Wann gibt es bei euch einen Gedenkgottesdienst?
Schwaetzer: Ich glaube, das tun wir sehr kräftig und nachhaltig. Das gehört zu unserem öffentlichen Auftrag. Das erlebt man unter anderem in der Flüchtlingsdebatte. Auch haben wir unsere christliche Grundhaltung zum Umgang mit dem Lebensende sehr deutlich gemacht.
Schwaetzer: Ja, auch wenn politische Veränderung nicht immer gleich in unserem Sinne eintritt. Die EKD-Synode hat schon schon vor anderthalb Jahren in Düsseldorf sehr weitreichende Beschlüsse zu einer Neuformulierung der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa gefasst, genau diese liegen jetzt wieder auf dem Tisch. Wir fordern einen deutlichen Ausbau der Seenotrettung und eine grundlegende Überarbeitung des innereuropäischen Verteilsystems, aber genauso deutlich größere Anstrengungen, um in den Herkunftsländern der Flüchtlinge das friedliche Zusammenleben zu fördern und wirtschaftliche Chancen zu verbessern.
Schwaetzer: Genau das tut sie ja. Überall in Deutschland gibt es Hospizen unter diakonischer Trägerschaft in denen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche Menschen auf ihrem letzten Lebensweg begleiten und sie beim Prozess des Sterbens unterstützen. Wir wenden uns aber zugleich sehr vehement dagegen, dass Leben, das durch gesundheitliche Einschränkungen beeinträchtigt ist, nicht mehr lebenswert sei. Leben ist eine Gabe Gottes, und Gott hat es nicht daran gebunden, dass wir geistig und körperlich fit sind. Er verleiht uns unsere besondere Würde als Mensch in jeder Phase unseres Lebens.
Schwaetzer: Natürlich gibt es diese Grenzsituationen. Keiner von uns kann in Einzelfällen die seelischen Nöte bis ins Letzte ermessen. Umso dringlicher bleibt es aber, durch den Ausbau der Palliativmedizin und der Hospize es den Menschen zu erleichtern, ihren Sterbeprozess anzunehmen.