Adi Meister bezeichnet sich gerne als „007“ der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Der Fürther gehört zu den Gründungsmitgliedern mit der Beitrittsnummer sieben und ist – wie der fernsehberühmte Agent – unerschrocken im Auftrag seiner Organisation unterwegs. Adi Meister ist Vizepräsident des 1990 in Nürnberg gegründeten Vereins, der sich für ein würdevolles Sterben einsetzt. Als er sich vor 35 Jahren der DGHS anschloss, ahnte der heute 81-Jährige allerdings nicht, dass er seinen eigenen Sohn beim Sterben begleiten müsste.
„Die DGHS möchte Menschen ein unerträgliches und sinnloses Leiden am Lebensende ersparen“, sagt Adi Meister. Diesen Anspruch hat sicher nicht nur diese Organisation mit bundesweit rund 25 000 und unterfrankenweit 263 Mitgliedern. Der Unterschied liegt in der Auslegung des Wortes „Selbstbestimmung“. Eine Forderung der DGHS ist zum Beispiel, „dass Menschen, die ihren Lebensabend nicht mehr mit ihrem persönlichen Werteempfinden in Einklang bringen können, ohne Bevormundung durch Außenstehende oder moralische Schuldzuweisungen ihren Leidens- und Sterbeprozess eigenverantwortlich und guten Gewissens abkürzen können“.
In Deutschland ist Suizid straffrei, ebenso der assistierte Suizid, wenn Menschen ihren Tod, etwa durch die Einnahme eines Medikaments, letztlich selbst herbeiführen. Zugelassen sind auch die passive Sterbehilfe (lebensverlängernde medizinische Maßnahmen werden entsprechend des Patientenwillens nicht eingeleitet oder abgebrochen) sowie die indirekte Sterbehilfe (lebensverkürzend wirkende Schmerztherapie). Die aktive Sterbehilfe oder die Tötung auf Verlangen stellt dagegen einen Straftatbestand dar.
„Aktive Sterbehilfe lehnen wir ab“, sagt Adi Meister. Der DGHS geht es um Unterstützung. „Die Hilfe zum Suizid sollte jedoch ausschließlich in der Hand der Ärzte liegen.“ Dies lehnt wiederum Frank Ulrich Montgomery kategorisch ab. Der Präsident der Bundesärztekammer, in der über 480 000 Mediziner vertreten sind, verwies erst kürzlich auf dem Ärztetag in Frankfurt auf das Berufsrecht, das es Medizinern untersage, Patienten Hilfe zum Suizid zu leisten. So wurde es auf dem Ärztetag 2011 mit einer Dreiviertelmehrheit beschlossen.
Nicht alle Landesärztekammern folgten dem Beschluss. Etwa Bayern. Dort übernahmen die Mediziner zwar den ersten Satz von Paragraf 16 „Beistand für Sterbende“ der Musterberufsordnung. Er besagt, dass Ärztinnen und Ärzte Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen haben. Gestrichen wurden die Sätze: „Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Auch die Landesärztekammern in Baden-Württemberg, Berlin, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe haben dieses strikte Verbot nicht in ihre Berufsordnung umgesetzt.
Kritik an Bundesärztekammerchef Montgomery übten jüngst in einem offenen Brief 180 Ärzte aus dem ganzen Bundesgebiet im Vorfeld des Frankfurter Ärztetages. Sie behaupten: „Freitodbegleitungen widersprechen nicht dem ärztlichen Berufsethos“. Es sei nicht nur ethisch vertretbar, sondern hilfreich und human, „einen schwerstleidenden Patienten nicht im Stich zu lassen, der sich wohlinformiert zum Suizid entschlossen hat“.
Die DGHS unterstützt diesen Protest. Auch Vizepräsident Meister sagt, dass viele Ärzte bereit seien, Patienten Suizidbeihilfe zu leisten – „im Rahmen der Gesetze“, die „Angst vor dem Ständerecht“ würde sie aber davon abhalten. „Deshalb wollen wir, dass das Ständerecht dem Gesetz untergeordnet wird.“ Denn für Adi Meister stellen sich die Ärzte und vor allem ihr Präsident Montgomery mit ihrem Verbot der ärztlich assistierten Selbsttötung „über das Gesetz“; ebenso Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, weil er ebenfalls der Meinung ist, dass Suizidbeihilfe keine ärztliche Leistung sei. Mediziner sind laut Meister zu sehr einem ärztlichem Ethos verhangen, „den es so nie gegeben hat“, selbst im Eid, der dem griechischen Arzt Hippokrates von Kos zugeschrieben wird, stehe dass ärztliche Verordnungen zum Nutzen der Kranken sein sollen.
Darin findet sich auch der Satz, dass Hippokrates niemanden ein tödlich wirkendes Medikament geben wird, auch wenn man ihn darum bittet. In der modernen Fassung des ärztlichen Gelöbnisses fehlt diese Formulierung. Dort steht etwa, dass es Aufgabe der Ärzte sei, Leiden zu lindern. Auch die berufliche Freiheit für ein unabhängiges Handeln wird betont. Darum geht es der DGHS. „Ärzte sollten nicht durch berufsrechtliche Verbote eingeschränkt werden, sondern sich frei entscheiden und ihrem eigenen Gewissen folgen können“, fordert Adi Meister. Er kenne niemand, der deswegen seine Zulassung verloren hätte. Einschränkend meint er jedoch, „meist sind nur die Mediziner bereit, beim Suizid zu assistieren, die nicht mehr praktizieren; und sich offen dazu bekennen, wollen die wenigsten“.
Als „optimal“ bezeichnet der DGHS-Vizepräsident die Vorgehensweise des Berliner Arztes Uwe-Christian Arnold. Er würde erst nach eingehender Prüfung entscheiden, ob er einen Patienten unterstützt oder nicht. Andere prominente Sterbehelfer wie der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch und der Schweizer Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli „entsprechen nicht unserer Vorstellung“. Grund sei die Kommerzialisierung. „Manche wollen mit Sterbehilfe nur Geld verdienen“, kritisiert Meister.
Armin Schmidtke, Vorsitzender des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, sieht nicht in der assistierten Sterbehilfe die Lösung des Problems, sondern im Ausbau der Palliativmedizin. Nach Ansicht des Seniorprofessors der Psychiatrischen Klinik der Universität Würzburg hat die Palliativmedizin genügend Möglichkeiten, Schmerzen zu nehmen und ein würdiges Sterben zu ermöglichen.
Palliativmedizin genügt nach Adi Meisters Meinung aber nicht immer. Er erzählt von seinem krebskranken Sohn. Als selbst hohe Morphiumdosen seine Schmerzen nicht mehr lindern konnten, musste er zusehen, wie sein Sohn qualvoll starb. „Für diese Fälle möchten wir den assistierten Suizid – nicht, wenn jemand etwa an Liebeskummer leidet.“
Gegen Palliativmedizin ist Adi Meister keineswegs. Er bemängelt aber, es würde erst seit kurzer Zeit eine entsprechende Ausbildung angeboten. Zudem müsse das Angebot an Palliativplätzen noch weiter ausgebaut – aber auch Suizidberatungsstellen eingerichtet werden. Die Praxis habe gezeigt, so der DGHS-Vizepräsident, dass dort, wo Sterbehilfe möglich ist, etwa im US-Bundesstaat Oregon oder in der Schweiz, die Suizidzahlen von Schwerstkranken nicht gestiegen sind. „Wenn unsere Mitglieder sagen, dass sie nicht mehr leben möchten und sie dann ein Medikament in den Händen halten, dann wollten sie meistens nicht mehr sterben, sie schöpften sogar neuen Lebensmut“, erzählt Adi Meister. „Ihnen genügt die Gewissheit: Wenn ich will, kann ich sterben.“
Für Dr. Rainer Schäfer sieht die (Er-)Lösung todkranker Patienten anders aus. Der Chefarzt der Abteilung für Anästhesie und Palliativmedizin der Stiftung Juliusspital in Würzburg wird immer wieder einmal mit dem Wunsch nach Sterbehilfe konfrontiert – ab und an sogar nach aktiver Sterbehilfe, also nach einer Tötung auf Verlangen. Dieses Ansinnen schwinde jedoch rasch, wenn Patienten und ihre Angehörigen Hilfe finden – bei Beratungsgesprächen, bei Pflegestützpunkten, in Selbsthilfegruppen oder direkt bei Palliativ- und Hospizeinrichtungen. „Der Mensch hat von Natur aus einen Lebenswillen, eine Tötungshemmung“, sagt Schäfer.
Seminar zum Thema Selbstbestimmung am Lebensende in Würzburg
Wie wollen wir sterben? – Selbstbestimmung auch am Lebensende? Über diese Fragen wird auf dem Seminarwochenende am Samstag und Sonntag, 13. und 14. Juni, in der Akademie Frankenwarte in Würzburg diskutiert. Dazu lädt die Gesellschaft für Politische Bildung in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) und der Beratungsstelle für Senioren und Menschen mit Behinderung der Stadt Würzburg ein.
Zu den Referenten zählt unter anderen der Würzburger Richter am Amtsgericht sowie Lehrbeauftragter für Medizinrecht, Rainer Beckmann. Sein Vortrag lautet: „Assistierter Suizid: letzte Hilfe oder strafwürdiges Verhalten?“ Privatdozent Dr. Jan Schildmann (Uni Bochum) spricht über „Medizinethik am Lebensende“. Der Vortrag der Dozentin für Konflikttransformation und Betriebliches Gesundheitsmanagement, Melanie M. Klimmer, dreht sich um „Existenzielle Entscheidungen zwischen individuellem Anspruch und gesellschaftlicher Norm“. Dazu gibt es Diskussionsrunden mit den Referenten sowie mit Privatdozent Dr. Gerrit Hohendorf (TU München), Adi Meister, Vizepräsident der DGHS, Sabine Dittmar, Ärztin aus Schweinfurt und Mitglied des Bundestags (SPD).
Anmeldung bei Ulrike Schuhnagl, Akademie Frankenwarte, Leutfresserweg 81-83, 97082 Würzburg, Tel. (0931) 80 464-333; E-Mail: ulrike.schuhnagl@frankenwarte.de Info im Internet: www.frankenwarte.de