
Dass viele Leute in diesem Einfamilienhaus am Hang wohnen, kann man schon an den Schuhen sehen. Abgelatschte Jungs-Turnschuhe füllen das Schuhregal, streuen bis zur Haustür. Über zwanzig Paare sind es. Und da sind die Sportschuhe von Judith Assländer und ihrem Mann nicht mal dabei. „Die hab’ ich weggepackt, damit die Flüchtlings-Jungs sie sich nicht einfach so mal zum Fußballspielen ausleihen und dann verdreckt wiederbringen“, sagt Assländer.
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Sie läuft die Treppe hinauf, umkurvt dabei das Fahrrad, das jemand am Treppenpfosten geparkt hat, sucht nach dem bimmelnden Telefon. Es klingelt ziemlich oft; Assländer ist schließlich für ziemlich viele Menschen verantwortlich: Vier eigene Kinder hat die 37-jährige Würzburgerin, alles Jungs, 16, 14, zwölf und drei Jahre alt. Als wäre das nicht genug, nimmt Assländer gemeinsam mit ihrem Mann Johannes Schnitter minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in die Familie auf. Schon 15 Jungs aus Eritrea, Somalia und Afghanistan haben seit August im großen Einfamilienhaus gewohnt. Gerade im Moment leben drei Flüchtlinge in der Familie: Abdi (17) aus Somalia und Nabi und Malek (beide 16), beide aus Afghanistan.
„Das könnte ich nicht! Das würde ich mir nie zutrauen!“ Solche Sätze hört Judith Assländer ziemlich oft. Von Freundinnen, von Bekannten, von Nachbarn. Anzunehmen ist, dass sich diese Sätze nicht nur auf den reinen Arbeitsaufwand beziehen, den es braucht, um einen Haushalt mit neun Leuten, Hund und Katze nicht eingerechnet, am Laufen zu halten. Die Sätze beziehen sich sicher auch auf das Wagnis, Fremde für viele Wochen ins Haus zu bringen – und zwar Fremde, die nicht nur aus anderen Kulturen kommen, sondern die auch noch mitbringen, was wehtut: Erfahrungen mit Gewalt und Krieg, schlimme Erinnerungen, bleibende Angst. Einer von Judith Assländers Flüchtlingen hat im Alter von zehn Jahren miterlebt, wie sein Vater erschossen wurde. Ein anderer hat mit ansehen müssen, wie seine Kumpels auf der Flucht starben.
Im Assländer-Wohnzimmer werden solche Geschichten jetzt erzählt. In dem Wohnzimmer, dessen gut gefüllte Bücherwand den Akademiker-Hintergrund verrät. Dort, wo der bunte Jahreskalender für den Jüngsten achtsam genau auf Kleinkind-Höhe an der Wand befestigt wurde und wo die Plastik-Parkgarage zeigt, womit sich das Kind spielt. Dort, wo die jüngeren Jungs mit Mama gern mal kuscheln, wissen wollen, wann das Essen fertig ist und wo der Hund am Kuschel-Teddybären nagt. Jetzt sitzt auf dem großen Familien-Sofa Abdi aus Somalia und blättert mit dem zweitjüngsten Assländer-Jungen einen Bildband über Afrika durch. „No, this is not Somalia“, sagt Abdi. Der Junge, der Englisch kann und jetzt Deutsch lernt, ohne jemals eine richtige Schule besucht zu haben, sucht nach Bildern, um Judiths Sohn zu zeigen, wie das Land aussieht, aus dem er geflohen ist.
Was hat Judith Assländer bewogen, Abdi und die anderen Flüchtlingsjungs in ihr Wohnzimmer, in ihre Familie, in ihr Leben aufzunehmen? „Ich bin sehr neugierig“, sagt die Würzburgerin. Vor dem Hintergrund dramatisch ansteigender Flüchtlingszahlen in diesem Jahr habe sie wissen wollen, wie es den Flüchtlingen wirklich gehe, welche Gründe es für die Fluchten gegeben habe, wie die Lage in den Herkunftsländern sei. Dass sie grundsätzlich ein offenes Herz für Flüchtlinge hat, führt Assländer auf eigene Kindheitserfahrungen zurück. „Als ich Schülerin war, hat meine Mutter Flüchtlinge aus Bosnien in unser Haus aufgenommen.
Und als junge Studentin habe ich meinen damaligen Freund begleitet, der Hilfs-Transporte nach Bosnien organisiert hat und selbst dorthin gefahren ist.“ Sie hätte sich durchaus vorstellen können, Medizin zu studieren, um später bei „Ärzte ohne Grenzen“ arbeiten zu können, sagt Assländer. Dann ist sie aber jung schwanger geworden; das Medizinstudium hat sich nicht mehr angeboten; stattdessen hat sie Betriebswirtschaft studiert. Weite Reisen an ungewöhnliche Orte dieser Welt waren allein schon wegen der Kinder nicht mehr gut umsetzbar. Der Wunsch, einen Einblick in andere Kulturen zu nehmen, ist aber geblieben.
Deshalb ist Judith Assländer im Sommer die Anfrage der Diakonie Würzburg, ob sie daheim junge Flüchtlinge aufnehmen könne, gerade recht gekommen. „Eigentlich war es Zufall. Wir hatten uns bei der Diakonie als Bereitschaftspflegefamilie registrieren lassen. Wir dachten, wir würden vielleicht zeitweise ein Kleinkind kriegen.“ Stattdessen aber kommen große Jungs.
Nach Assländers Erfahrungen sind die jungen Männer in den ersten Tagen sehr eingeschüchtert, sehr still. Nach ein paar Tagen in der Familie entspannten sie sich, sagen die Assländers. Sie sehen das daran, dass die fremden Jungs mit den Assländer-Jungs Fußball spielen. Dass sie den Hund kraulen, der ein sehr freundlicher Hund ist und sich von jedem, der mag, spazieren führen lässt. Dass sie laut und unbeschwert werden. Tatsächlich sei es so, dass die jugendlichen Flüchtlinge umso lebhafter würden, je mehr sie sich eingewöhnten. „Es gab in dem Zimmer, das die drei Jungs bewohnen, schon Gespräche, die waren so laut, dass man sie bis Somalia hätte hören können“, sagt Assländer.
Eine gesunde Geräuschunempfindlichkeit sei deshalb Grundvoraussetzung für Menschen, die Flüchtlinge aufnehmen wollten. Gelassenheit könne nie schaden. Außerdem eine hohe Schmerzgrenze, was Unordnung angehe: „Die Jungs kommen ja aus einer anderen Kultur; manche kennen sich mit dem Gebrauch von Toilettenpapier nicht aus. Wissen nicht, dass man Handtücher aufhängt.“ Ihr Mann bringe den Jungs die neuen Fertigkeiten in den ersten Tagen bei; sagt Assländer. „Sie lernen alle sehr schnell.“ Dass die Verständigung gut klappt, obwohl viele der neuen Familiengäste zunächst kein einziges Wort Deutsch und kein einziges Wort Englisch sprachen, gehört zu den vielen positiven Erfahrungen, die die Assländers mit den Flüchtlingen gemacht haben.
Ebenfalls gut sind die Erfahrungen der Bereitschaftspflegefamilie mit den Nachbarn. Die Nachbarschaft hat natürlich registriert, dass Flüchtlinge bei den Assländers leben; für sie sind die dunkelhäutigen Jugendlichen, die nach dem Schulbesuch an der Bushaltestelle im Vorort aussteigen, alle „Judiths Jungs.“ „Die Nachbarn sagen mir alle, dass sie selbst niemals Flüchtlinge aufnehmen können; bieten aber oft ihre Hilfe an“, erzählt Assländer. Nachbarn haben zum Beispiel „für die Jungs“ ein Fahrrad zur Verfügung gestellt, Kinderärzte aus der Nähe haben angeboten, schnell mal vorbeizuschauen, wenn „mit Krankheit was ist“.
Aus der Nachbarschaft jedenfalls hat die Familie negative Reaktionen nicht erlebt. Über die sogenannten „sozialen“ Medien allerdings gingen schon „üble Kommentare“ ein, nachdem Judith Assländer in ihrer Eigenschaft als Bereitschaftspflegemutter als Gast in die ARD-Talkshow „Menschen bei Maischberger“ geladen war.
Für Judith Assländer sind üble Kommentare allerdings kein Grund, ihr Engagement zu beenden. „Ich möchte Verantwortung übernehmen für diese Welt; die Aufnahme von Flüchtlingen ist meine Art, das zu tun“, sagt sie. Sie will weitermachen solange es ihr gut geht damit – und solange ihre eigenen Kinder nicht darunter leiden.
So ist mein Einwand zuverstehen "Eine Regelung für "jeden Staatsbürger" ist ganz sicher illusorisch, leider."
Trotzdem: Eine schöne Advents- und Weihnachtszeit
MfG
Ich glaube, das viele sich aus ganz banalen Gründen (Mietwohnung, selber nicht gut zu Fuss, Krankheit und und und...) sich nicht in dieser Form einbringen können.
Frau Assländer hat aber ganz sicher auch meine Hochachtung und Anerkennung!
MfG
Ich möchte keine Flüchtlinge aufnehmen, bin dazu auch nicht verpflichtet, weder durch den Staat, noch durch meine eigenen Aussagen und Forderungen.
Selbstverständlich engagiere ich mich ehrenamtlich, bin für ein Hilfsorganisation fast jedes Wochenende und in der Kirchengemeinde tätig.
Mit den "Anderen" meine ich genau diejenigen, welche weder was zahlen, noch was spenden, noch sonst irgendetwas machen, außer das Maul ganz weit aufzureißen. Damit meine ich Menschen, welche gerne jeglichen Sinn für Realität auf Grund der grün-roten Brille verloren haben, sonst gerne gegen die Kirche und andere nicht linke Institutionen und Personen schimpfen, aber selber nicht im Stande sind, bzw. auch nicht wollen irgendwie den Finger krum zu machen.
Und da gibt es in Würzburg viele Beispiele, welche den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Frau Assberger gehört definitiv nicht dazu.
Ich für mein Teil wäre schon froh, wenn jeder Staatsbürger damit einverstanden wäre, dass mit einem klitzekleinen Teil seiner Steuern denen geholfen wird, die unserer Hilfe bedürfen.
Im Übrigen wissen Sie doch gar nicht, was andere tun, ohne groß darüber zu reden. Auch wenn ich es nicht belegen kann, bin ich mir doch absolut sicher, dass die Hilfs- und Spendenbereitschaft bei denen, die hier gerne mal als "Gutmenschen" betitelt werden, ungleich höher ist, als bei Pegida und Co und deren Apologeten.
allerdings wäre mit einem (klitzekleinen?) Anteil jeden Steuerzahlers an Helfern wie z.B. den Tafeln, wieder nur der "kleine Mann" betroffen. Eine Regelung für "jeden Staatsbürger" ist ganz sicher illusorisch, leider.
Und für ihr Engament @Julius-Walter, habe ich ja schon vorsorglich meine Hochachtung bekundet.
Mir mißfällt nur, das sie fast jeden, der nicht mit ihrer (doch sehr konservativen
MfG
Frau Assländer wird den Forderungen ihrer Partei (Grüne) gerecht und zwar mit Bravour. Wie schaut es mit den vielen anderen aus, welche gerne große Töne spucken, selber aber nicht nichts machen?