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UNTERFRANKEN
Keiner will mehr Koch werden
Nachwuchsmangel: Immer weniger junge Menschen werden Koch. Lange Arbeitszeiten und fehlende Aufstiegschancen schrecken ab. Doch ist das wirklich der Alltag? Unterfränkische Köche erzählen.
Sarah-Sophie Schmitt
Sara Sophie Fessner
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:03 Uhr

Heißes Fett spritzt. Sebastian Stahl schwenkt das brutzelnde Schnitzel in der Pfanne. Wasserdampf steigt aus einem riesigen Topf, in dem exakt gerollte Klöße quellen. Auf einer Edelstahlanrichte stehen Teller, auf denen er die Zutaten der Gerichte drapiert. Mit einem gekonnten Schwung platziert er das Schnitzel in der Mitte. Auf einem anderen Teller drapiert er zwei Bratwürste auf das Kraut. Noch schnell den Tellerrand abwischen und raus damit.

Der Koch schiebt die Teller durch die geöffnete gelbe Glasscheibe der Durchreiche. Auf der anderen Seiten warten die Serviererinnen, um die Teller an den Gast zu bringen. Doch davon bekommt Stahl nichts mehr mit. Er ist schon dabei, den nächsten Teller anzurichten. Zeit zum Verschnaufen hat er nicht. Der 29-Jährige eilt von Topf zu Topf, häutet den Lachs oder wischt über die Arbeitsfläche. Bei der Hitze in der Küche ist es kein Wunder, dass sich erste Schweißtröpfchen auf seiner Stirn bilden.

Stressig ist seine Arbeit – keine Frage, dennoch: Für Sebastian Stahl ist Koch sein Traumjob. „Für mich ist meine Arbeit mein Hobby“, sagt er und wischt sich die Hände an der schwarzen Kochschürze ab.

Doch so wie er sehen das offenbar immer weniger junge Menschen. Deutschen Restaurants und Gasthöfen geht der Koch-Nachwuchs aus. Und nicht nur ihnen. Laut einer aktuellen Studie des Personaldienstleisters ManpowerGroup haben vier von zehn Unternehmen in Deutschland Probleme, geeignete Bewerber zu finden. Immerhin 56 Prozent von ihnen verfolgen Strategien, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Fehlende Sozialkompetenzen sind demnach ebenso ein Hindernis bei der Suche nach geeigneten Kandidaten wie die Folgen des demografischen Wandels. Es gibt schlichtweg immer weniger Jugendliche.

Die Zahl der jungen Leute, die eine Ausbildung als Koch absolvieren, hat sich seit 2007 auf derzeit etwa 23 000 fast halbiert. Im Vorjahr haben nach Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) nur noch 9750 Jugendliche eine Ausbildung zum Koch aufgenommen. Auch in Unterfranken hat die Zahl der jungen Köche abgenommen. Gab es im Jahr 2005 noch 213 Neuverträge bei den Köchen, waren es im Jahr 2013 nur noch 138, belegen Zahlen der IHK Würzburg-Schweinfurt. Das ist ein Minus von 35 Prozent. Eine beachtliche Entwicklung, doch den jungen Koch Stahl überrascht sie nicht. Er weiß, dass einem in dem Beruf einiges abverlangt wird: „Die ständige Hitze, ein geringer Verdienst, nicht soziale Arbeitszeiten, wenig Freizeit, ein immenser Stressfaktor, ein rauer Umgangston.“

Seit zwölf Jahren arbeitet er inzwischen in der Küche. Er machte seine Lehre im Würzburger Posthotel, kochte dann in Restaurants in Frankfurt, Lech am Arlberg, Sankt Moritz oder München. „Die Möglichkeit, überall dort zu arbeiten, wo ich möchte, ist einer der Vorteile in meinem Beruf“, sagt Stahl. Im Moment ist dieser Ort Frickenhausen (Lkr. Würzburg). Vor knapp eineinhalb Jahren erfüllte er sich einen langgehegten Traum und machte sich mit der Fränkischen Weinstube Ehrbar selbstständig. Ein mutiger Schritt, zumal laut Angaben des Statistischen Bundesamtes allein im vergangenen Jahr 2538 Unternehmen im Gastgewerbe Insolvenz anmelden musste. Auch Stahl weiß um das hohe finanzielle Risiko, doch er verdrängt die Gedanken daran lieber. Wenn man die ersten drei Jahre überlebt habe, sei es wahrscheinlich, auch zukünftig zu überleben, sagt er. Stahl hat Halbzeit.

Michael Philipp hingegen hat die ersten drei Jahre schon lange hinter sich. Vor 15 Jahren machte er sich selbstständig. Damals kaufte er mit seiner Frau Heike ein 400 Jahre altes Fachwerkhäuschen im Ortskern von Sommerhausen (Lkr. Würzburg). Anfangs hatten sie nur vier Tische und haben den Betrieb zu zweit geschmissen. Er als Koch in der Küche, sie – als gelernte Hotelfachfrau – im Service. Schnell war beiden klar: Sie wollten in die Spitzengastronomie. „Wir boten damals bereits nur ein Menü an. Wir hatten da eine Vorreiterrolle“, sagt Philipp heute. Schon 2003 erkochte sich das Restaurant Philipp seinen ersten Stern und verteidigt ihn bis heute.

Sicherlich, es gebe Nachwuchsmangel bei den Köchen, so Philipp. Aber seiner Ansicht nach hänge das nicht nur mit dem Beruf an sich zusammen. Auch die Einstellung vieler junger Leute spiele eine Rolle. „Sie brauchen nach der Schule erst mal ein Aussteiger–Jahr, um sich zu finden.“ Auf der anderen Seite gebe es auch sehr ambitionierte Leute. Etwa die Schüler der Elite-Ausbildung der Jeunes Restaurateurs. Philipp ist Mitglied der Vereinigung, viele der Schüler arbeiten in seinem Restaurant.

Natürlich kennt der Spitzengastronom auch die Hürden und Probleme in der Branche. Doch wenn man ihm zuhört, macht er sehr schnell deutlich: So wild ist es gar nicht. „Die positiven Seiten überwiegen. Man muss schließlich in jedem Beruf Leistung bringen.“ Der raue Ton in den Küchen sei längst nicht mehr so rau wie früher. In seiner Küche etwa siezen sich die Mitarbeiter. Für Philipp ist das ganz selbstverständlich – schließlich seien es ja Kollegen, keine Freunde.

Auch die Kritik an den unangenehmen Arbeitszeiten hält er für nicht gerechtfertigt. Das reduziere sich immer auf die Gastronomie. Auch Ärzte, Pflegeberufe, Schauspieler, Journalisten, Polizisten müssten an Feiertagen und Wochenenden arbeiten. „Das hört sich immer alles so dramatisch an. Man muss das eben wollen“, sagt Philipp. Ein Satz, den er nicht nur einmal sagen wird.

Philipp will einiges – und nimmt dafür so einiges in Kauf. Im Beruf wie im Privaten, denn trennen lässt sich das bei ihm kaum. Er und seine Frau haben sich für eine Familie entschieden. 2005 wurde ihre Tochter Nike geboren, 2007 folgte Sohn Liam. Seitdem ist der Tagesablauf der Gastronomen noch straffer organisiert. Nach einem arbeitsreichen Abend morgens mal etwas länger im Bett liegen, ist nicht mehr drin. Die Kinder müssen zur Schule. „Da ordnet sich alles neu, der Tag beginnt sehr früh und endet sehr spät“, sagt Philipp. „Man muss es halt wollen.“ Sogar Urlaub macht die kleine Familie. Als Nächstes etwa steht eine Schiffsreise auf dem Plan. Philipp ist dort als Koch engagiert und darf seine Familie mitnehmen. In der Zwischenzeit übernehmen die Mitarbeiter das Restaurant. Man muss es halt wollen.

Sicherlich gab es bei Philipp immer wieder Punkte, an denen er gezweifelt hat. Blickt er auf seine Lehrzeit zurück, erinnert er sich, dass er nicht nur einmal „gejammert“ hat. Auch Sebastian Stahl kennt das. „Ich bin nicht nur einmal heulend nach Hause gekommen“, sagt er und es hört sich an, als gehöre das einfach dazu.

Ungeachtet aller Hürden und Probleme, aller negativen Meldungen und Vorurteile, die beiden Männer haben ihren Wunsch Wirklichkeit werden lassen. „Ich würde es jederzeit wieder so machen“, sagt Philipp. „Ich bin glücklich mit dem, was ich mache, und konnte mir mit dem Restaurant meinen Traum, meine absolute Idealvorstellung erfüllen“, sagt er.

Sebastian Stahl ist noch lange nicht am Ende seiner Reise. Zwischen Töpfen und Pfannen, Salat und Klößen hat er immer weitere, neue Ideen. Und Ziele: „Ich möchte einmal drei Läden haben: ein Restaurant, ein Café und vielleicht noch ein Spitzenrestaurant mit Stern.“ Man muss es halt wollen.

Koch aus Leidenschaft 1: Seit zwölf Jahren arbeitet Sebastian Stahl in der Küche und hat sogar sein eigenes Restaurant.
Foto: Schmitt | Koch aus Leidenschaft 1: Seit zwölf Jahren arbeitet Sebastian Stahl in der Küche und hat sogar sein eigenes Restaurant.
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