Seine kräftige, raue Stimme, die auf der Bühne oft so gallig und giftig ist, wird ganz sanft: "Der Freitod wäre eine Alternative gewesen", flüstert Georg Schramm. Aber nicht einfach erschießen oder so. Nein, nein, "ein politisches Fanal" müsste es schon sein. "Aber das geht nicht", sagt Schramm, "dazu müsste er sich anzünden. Und dazu fehlt ihm der Mut. Wenn er sich das Leben nimmt, soll es schmerzfrei sein. Das bin dann schon auch ich. Ich hab's mit Schmerzen nicht so."
- So denkt unser Autor heute über das Gespräch mit Schramm
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Georg Schramm spricht über seine Paradefigur, den mit unheiligem Zorn erfüllten Altpreußen Lothar Dombrowski, und es ist greifbar, wie sehr ihm dieser renitente Rentner mit dicker Hornbrille und Lederhandschuh, der eine Handprothese sein soll, am Herzen liegt. Am Abend zuvor hat Dombrowski die Bühne als resignierter Wutbürger, als gebrochener Moralist, als kaputter Mensch verlassen. "Das war seine Entscheidung, so albern das klingen mag. Diese Figur hat eine Eigendynamik entwickelt", sagt Schramm, 64, der zum Jahresende seine Karriere als Solokabarettist beenden will. Auch, weil Dombrowski am Ende ist. "Der ist fertig", sagt Schramm und lächelt.
Ein Gespräch mit Deutschlands schärfstem Wortchirurgen
"Sollte der Abend ins Belanglos-Fröhliche abgleiten, dann denke ich, dann kommen Sie sehr gut ohne mich aus." So droht Dombrowski gerne. Nur logisch also, dass ein Gespräch mit Deutschlands schärfstem Wortchirurgen alles werden kann - nur bestimmt nicht belanglos-fröhlich. Georg Schramm nimmt Platz in einer Nische der Bar des Nürnberger "Le Méridien", Stil Grand Hotel, und bestellt schwarzen Tee. In seinen durchkomponierten, theaterhaften Programmen, die herkömmliches Politkabarett weit hinter sich lassen, schlüpft Schramm hauptsächlich in drei Rollen: Neben Dombrowski gibt er den Presseoffizier Oberstleutnant Sanftleben, der sich die Welt schön säuft, und den mittlerweile verrenteten Drucker August, ein hessischer Sozialdemokrat, für den die Welt zu kompliziert geworden ist.
Lässt Schramm Dombrowski los, hat man die Fleisch gewordene Moralkeule vor sich. Lässt er den Soldaten über Terror, die Araber und die Bundeswehr schwadronieren, glaubt man, einem echten Militaristen zuzuhören. Und lässt er August über den Niedergang der SPD ungläubig stammeln und mit brüchiger Stimme vom Schlaganfall seiner Frau beim Kaffeekränzchen erzählen, dann haben manche Tränen in den Augen. Beim Versuch, im Koordinatensystem von Dombrowski, Sanftleben und August auf der einen Achse und ihrem Schöpfer auf der anderen neben den Figuren auch den Menschen Georg Schramm und seine Antriebsfeder zu orten, bietet dieser Vormittag im Grand Hotel womöglich ein paar brauchbare Hinweise.
Die Ungerechtigkeit von unten kennengelernt
"Ich komme aus einer SPD-Familie, aus kleinen Verhältnissen", sagt Schramm, geboren 1949 in Bad Homburg, der Stadt mit der höchsten Millionärsdichte in Deutschland damals. Sein Vater trank gerne und viel, war Hilfsarbeiter und Taxifahrer, die Mutter musste mit ihm angeblich streiten, damit der Sohn aufs Gymnasium konnte. "Nur deshalb hatte ich die Möglichkeit, in die Mittelschicht aufzusteigen. Ich weiß, dass ich unter heutigen Umständen aus der bildungsfernen Unterschicht nicht mehr herauskäme." Er war das einzige Arbeiterkind in der Klasse. "Ich habe die Ungerechtigkeit von unten kennengelernt, ich habe sie erlebt. Meine Haltung gegenüber denen da oben, das ist kein Vorurteil, das ist meine Lebenserfahrung. Ich kann Ungerechtigkeit nicht ertragen", sagt er und nippt am Tee.
Nach dem Abitur ging Schramm zur Bundeswehr, war Jahrgangsbester beim Einzelkämpferlehrgang, fiel wegen "charakterlicher Nichteignung" durch den Offizierslehrgang, später wurde er zum Leutnant der Reserve befördert. Er studierte Psychologie und therapierte zwölf Jahre lang an einer Rehaklinik am Bodensee. Als Georg Schramm erstmals als Kabarettist tourte, ging er auf die 40 zu.
"Ich wollte Teil einer funkelnden Sendung sein"
Ausgiebig kann man mit ihm plaudern über seine sechseinhalb Jahre beim ARD-"Scheibenwischer" und die Differenzen in der Nach-Hildebrandt-Ära, als er die Sendung ändern wollte, Bruno Jonas, Mathias Richling und die Redaktion aber nicht. "Ich wollte nicht der funkelnde Stern einer Sendung sein. Ich wollte Teil einer funkelnden Sendung sein." Seinen Weggang nennt er einen Befreiungsschlag. Natürlich kann man auch lange mit ihm ratschen über "Neues aus der Anstalt", die erfolgreichste Satiresendung im Fernsehen, die er 2007 mit Urban Priol aus der Taufe hob und die er nach dreieinhalb Jahren und 36 Ausgaben verließ, um sich wieder auf der Bühne auszutoben. Es war seine Anstalt. Schramm sagt, dass er die Idee hatte, Kabarett in einer psychiatrischen Tagesklinik spielen zu lassen und mit Priol das Konzept dem ZDF vorlegte. "Ich habe selten an etwas so gehangen wie an dieser Sendung." Vermutlich liegt das "an meinem Scheitern beim „Scheibenwischer“. Mit der Anstalt "habe ich mir, nicht nur anderen, sondern mir selber bewiesen, dass ich sehr wohl eine Sendung konzipieren kann".
Mit Georg Schramm kann man auch schön lästern über den "opportunistischen Neoliberalen" Brüderle, zwischendurch lacht er dann im Stakkato, wie man das von Dombrowski kennt. Sein Weltkriegsveteran wiederholt seit Jahren einen Satz, nur die Namen der Klofrauen wechseln: "Diese Politfiguren gehen in die öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten, und dann können sie bei den Klofrauen, egal wie sie heißen, Jauch, Will, Illner, Plasberg, ihre undichten Sprechblasen entleeren. Und wenn beim Verrichten ihrer intellektuellen Notdurft noch was nachtröpfelt, dann können sie in der Woche drauf sich bei Beckmann, Lanz und Co. an der emotionalen Pissrinne unters Volk mischen."
Tragik und Witz, Ironie und Melancholie verschwimmen
Hat man gehört und vor allem gesehen, mit welcher Leidenschaft und wie aggressiv Schramm solche Sätze hinausschreit, dann verwundert es erstmal, wie zurückhaltend und sanftmütig er offenbar sein kann, wenn er Sweatshirt trägt und nicht Dombrowskis Sakko. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass nur Menschen, die besonders verletzlich sind, empfindsamer als andere, das können, was Schramm perfektioniert hat: Tragik und Witz, Ironie und Melancholie so verschwimmen zu lassen, dass die Zuhörer in einem Moment herzhaft lachen, ihnen im nächsten das Lachen im Hals stecken bleibt und sie im übernächsten todtraurig sind. Plötzlich erzählt Schramm vom Ende von Hochkulturen und vom Kollaps der Menschheit, auf den wir zusteuern. Er definiert unstillbare Habgier als Triebfeder und Kern des Bösen, als Prinzip unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, und wenn man ihm dann genauer zuhört und seinem intensiven Blick aus blauen Augen standhält, dann kann man auch eine Ahnung davon bekommen, wie schwer es ihm wohl manchmal fallen muss, all seine Wut und den Zorn und die Empörung zu kanalisieren.
"Ich bin verzweifelt", sagt Georg Schramm ziemlich unvermittelt. "Ganz ehrlich. Es gibt so viele Dinge, die mir Spaß machen im Leben, aber darunter liegt ein Brummton von Verzweiflung, den ich nicht mehr loswerde. Und der wird immer lauter." Sein Weltschmerz speist sich auch daraus, dass er Vater dreier Kinder ist. "Ich habe das Gefühl, die werden es schlechter haben als ich. Und deren Kinder noch schlechter." Zu Hause, in Badenweiler am Rande des Südschwarzwalds, beteiligt sich Schramm manchmal an kleinen Initiativen, die die Welt ein bisschen besser machen wollen. "Das ist wie Balsam. Aber diese Fortschritte im Kleinen können nicht Schritt halten mit der Katastrophe im Großen."
Für Dombrwoski hat Schramm eine grausame Idee
In den letzten Jahren erlebe er immer häufiger, dass viele junge Menschen sich nach Vorstellungen bedanken. "Die sagen: ,Danke, es tut so gut, dass Sie das alles sagen. Das macht uns Mut.'" Ein sehr schönes Kompliment. "Mehr kann man nicht kriegen, klar. Aber ich denke mir immer: Komisch, ich merk' das nicht mehr. Ich habe nicht das Gefühl, was zu bewirken." Dann erinnert er an Matthias Beltz, seinen vor elf Jahren gestorbenen Kollegen, der auf die Frage, ob Kabarett was bewirken kann, geantwortet habe: "Ich versuche die Menschen auf ihrem Weg von der Trostlosigkeit über die Ausweglosigkeit hin zur Hoffnungslosigkeit zu begleiten." Hat man mal gespürt, wie ernst es Schramm damit ist, dann mag man ihm nur noch diese großen Worte von Paul Celan ans Herz legen: "Ein Stern hat wohl noch Licht / Nichts / Nichts ist verloren."
Der Brummton von Verzweiflung. Georg Schramm glaubt, gegen Windmühlen zu kämpfen, dazu passt ein Geständnis gegen Ende dieses Vormittags ganz gut: "In meinem tiefsten Inneren bin ich ein kleiner, hasenherziger Sozialdemokrat. Und damit man nicht merkt, dass ich klein und hasenherzig bin, mache ich es wie ein Dackel im Wald, der laut bellt, damit alle denken: Ui, da kommt aber ein großer Hund."
Für Dombrowski hat Schramm noch eine Idee. Eine ganz grausame: Dombrowski läuft Amok. Wird verhaftet. Kommt in die Psychiatrie. Wird als geheilt entlassen. Kehrt auf die Bühne zurück. Und regt sich über nichts mehr auf. Hat seinen Frieden geschlossen mit der Welt. "Er ist seelisch tot, muss aber leben. Das wäre ein Bühnentod", flüstert Schramm. Und jetzt lächelt er nicht.
Die Serie Lieblingsstücke
Der Originaltext „Georg Schramms Verzweiflung“ von Thomas Brandstetter ist im September 2013 erschienen.
Georg Schramm ist von der Bühne und hinterlässt ein Loch. Sein Sprachwitz, seine messerscharfe und bisweilen schmerzhaft offene Analyse unserer Gesellschaft, getrieben von seinem tief verletzten Gerechtigkeitsempfinden, haben seine Kunstfiguren authentisch und bisweilen erschreckend real wirken lassen.
Selten wurde eine durch und durch humanistische Weltanschauung so wunderbar aggressiv und unterhaltsam unter das Volk gebracht. Ach, wenn doch nur alle Rentner so wären wie Lothar Dombrowski ...
Es gibt ohne Frage andere geniale Kabarettisten. Aber eben keinen zweiten Georg Schramm.
Ich vermisse ihn bereits jetzt. Es fehlt seine Kunst - und es fehlt seine Gesinnung!