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RIENECK
Gedenktafel in Rieneck unerwünscht
Michael Fillies
Michael Fillies
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:36 Uhr

Überregionale Aufmerksamkeit erregt die lokale Berichterstattung dieser Zeitung über den Umgang des Stadtrats Rieneck mit einem Kriegsverbrechen Ende März 1945 in Rieneck. Damit hat der Stadtrat der 2000-Einwohner-Gemeinde in Main-Spessart genau das Gegenteil dessen erreicht, was er beabsichtigt hatte: Verschweigen statt Erinnerung. Überdies hat sich am Donnerstag die Rechtsaufsicht am Landratsamt eingeschaltet.

Mit elf gegen vier Stimmen hatte der Stadtrat am Montagabend in nicht-öffentlicher Sitzung das Angebot von Elfriede Krutsch abgelehnt – sie wollte eine Gedenktafel stiften mit dem Text: „Hier wurden fünf russische Männer durch Naziterror ermordet. Wir gedenken der Opfer.“

Die Ermordeten waren sowjetische Kriegsgefangene und wohl als Zwangsarbeiter in Rieneck eingesetzt. Weil sie, wie die Rienecker auch, in den letzten Kriegstagen angeblich Lebensmittel aus einem bombardierten Güterzug geholt hatten, ordnete der Führer eines Volkssturmbataillons die Hinrichtung der fünf Sowjetsoldaten wegen Plünderns an. Dazu bestimmte er fünf, etwa 15- bis 17-jährige Rienecker und Männer aus dem Rienecker Kriegslazarett. Nachdem sich die fünf Gefangenen im Wald ihr Grab geschaufelt hatten, wurden sie am 29. März 1945 erschossen und namenlos verscharrt. Am 23. August 1950 verurteilte das Landgericht Würzburg den Volkssturmführer aus Kirchheim unter Teck wegen des Kriegsverbrechens zu fünf Jahren Haft; er wurde jedoch alsbald begnadigt. Die Schützen blieben unbehelligt. 1960 bettete der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Leichen in eine Kriegsgräberstätte um.

Bürgermeister Wolfgang Küber hätte das Angebot der Gedenktafel gern angenommen. Er hatte die Beratung für den öffentlichen Sitzungsteil vorgesehen. Mit acht gegen sieben Stimmen jedoch beschloss der Stadtrat die nicht-öffentliche Behandlung. Da keine Gründe für den Ausschluss der Öffentlichkeit gegeben waren, kündigte das Landratsamt Main-Spessart am Donnerstag an, die Gültigkeit des Beschlusses zu überprüfen und hat die Unterlagen zum Sitzungsverlauf angefordert.

Elfriede Krutsch ist von der Sitzung enttäuscht und entsetzt. Die 65-jährige Rieneckerin lebt seit 20 Jahren in Berlin und durfte ihren Antrag am Montag ausführlich im Rat begründen. Mit elf gegen vier Stimmen sei er abgelehnt worden.

Zur Begründung sei unter anderem angeführt worden, dass man Rücksicht auf noch lebende Täter und ihre Nachkommen zu nehmen habe. Die Sache solle nicht groß in die Öffentlichkeit getragen werden. Außerdem sei die vorhandene allgemeine Gedenktafel am Kriegerdenkmal für die Opfer des Nationalsozialismus ausreichend. „Mit keinem Wort wurde der erschossenen Kriegsgefangenen oder ihrer Angehörigen gedacht“, berichtet Elfriede Krutsch. Aus Erzählungen in Rieneck wisse sie, dass die Männer um ihr Leben gebettelt und Fotos ihrer Frauen und Kinder gezeigt hätten.

Sollte das Landratsamt Main-Spessart den Beschluss des Stadtrats vom Montag aufheben, müsste der Tagesordnungspunkt erneut beraten werden, dann öffentlich.

Nach dem Bericht vom Donnerstag im Lokalteil dieser Zeitung hat sich der Bayerische Rundfunk des Themas angenommen. Radiobeiträge in Bayern 1 und 2 sind an diesem Freitag für 12 bzw. 13.30 Uhr geplant. Ein Fernsehbericht soll voraussichtlich am kommenden Dienstag um 17.30 Uhr folgen.

Enttäuschte Spenderin: Eine Gedenktafel zur Erinnerung an das Kriegsverbrechen Ende März 1945 in Rieneck wollte Elfriede Krutsch ihrer Heimatstadt stiften. Aufgestellt werden sollte sie hier am Sternheckenweg, nahe dem Ort der Hinrichtung der fünf Kriegsgefangenen.
Foto: Björn Kohlhepp | Enttäuschte Spenderin: Eine Gedenktafel zur Erinnerung an das Kriegsverbrechen Ende März 1945 in Rieneck wollte Elfriede Krutsch ihrer Heimatstadt stiften.
 
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  • R. W.
    Zum Thema Vergangenheitsbewältigung hätte ich mal ein Problem für das EU-Parlament vorzubringen. Das kümmert sich ja um jeden scheiß:
    In Italien ist in fast jeder Vinothek ganz offiziell und legitim Hitlerwein zu kaufen. Mit stolzem Führerportrait drauf und markigen Sprüchen. In einem Fall sogar vor einer schwarz-rot-goldenen (!) Flagge!
    Es kann doch nicht sein, dass wir in Deutschland versuchen Faschismus und rechtes Gedankengut ein für allemal auszutreiben und der Rest von Europa macht sich lustig über solche Verbrechen!
    Und die EU sitzt da und macht sich lieber Gedanken um Bananenkrümmungen! Dabei sollte gerade das vereinte Europa dazu dienen, dass sowas nie mehr vorkommt!
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    Tja, da haben mal wieder "einfach gestrickte Volksvertreter" ein Zeichen gesetzt. Bedauerlicherweise steht dieses Zeichen meiner Ansicht nach für einen beschränkten Horizont und ein gehöriges Maß an schamloser Dummheit. Noch blöder sind dann Versuche diese Geschichte mit irgendwelchen ebenso dümmlich hergeleiteten "Geschichtsvergleichen" und Verweise auf "andere Länder" zu relativieren. Wir haben eine aktuelle Entwicklung (z.B. Rechtspopulismus) und eine der letzten Jahre (NSU und Neonazistischer Terrorismus) zu betrachten, die im Sinne eines freiheitlich-demokratischen Staates völlig unakzeptabel ist. Vor einem solchen Hintergrund eine derart erbärmliche Entscheidung zu treffen ist schlicht ignorant und an bereits benannter Schamlosigkeit kaum zu überbieten. Es gibt nach wie vor Menschen die den Faschismus ( im Grunde reicht nämlich der Verweis auf "ewig gestrige" und Neonazis nicht aus) in seinem Wesen nicht begriffen haben oder eben nicht begreifen wollen. Pfui Deibel!
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    1) niemand wird bestreiten, dass das geschehene ein schlimmes unrecht gewesen ist
    2) dennoch sollte man aufhören, die verweigerer einer gedenktafel "in die ecke zu stellen"
    3) grundsätzlich ist auch klar, dass nicht jedes unrecht durch eine gedenktafel gewürdigt werden kann (zB wird kaum jemand auf die idee kommen die vergewaltigungen, welche durch mitglieder französischer kolonialtruppen in baden-württemberg geschehen sind durch eine gedenktafel in erinnerung zu halten)
    4) tatsache: unrecht und verbrechen gingen von deutschem boden aus, wurden durch deutsches gesetz sogar legalisiert und durch deutsch täter verübt.
    5) leider gibt es in diesem land kein allgemeingültiges verfahren, wie den opfern jeglicher art aus dieser zeit zu gedenken ist.
    6) leider gibt es scheinbar auch keine überlegungen wie man mit damals jungen menschen, die in irgendeiner form in diese verbrechen verwickelt waren und evtl. heute noch leben, umgesehen soll
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  • U. S.
    müssen wir Deutsche uns immer selbst den Spiegel vor halten und den Zeigefinger zur Mahnung erheben? Reicht es nicht wenn dies das Ausland ständig tut?

    Niemand soll vergessen - aber man muss auch nicht immer und immer wieder darauf hinweisen. Andere Länder haben auch ihre Vergangenheit und so manches Land treibt es in der Gegenwart mindestens genauso schlimm. Stosst euch doch zur Abwechslung mal daran!
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    Reflexhaft mit dem Finger auf andere zu zeigen ist unwürdig und dumm.
    Bei der nächsten Straftat eines Ausländers beschweren sich Sie sich dann wieder, dass stets der Täter und nie das Opfer im Mittelpunkt steht. Was denn nun?
    Und warum soll man denn nicht der Opfer gedenken. Ich kann das sehr gut ohne schlechtes Gewissen, denn ich fühle mich nicht schuldig für diese Taten. Vielleicht haben Sie ja ein latent schlechtes Gewissen? Und woher könnte das kommen? Gehen Sie mal in sich. Ich nehme auch nicht wahr, dass "das Ausland" ständig irgendwelche Finger hebt. Wer ist das eigentlich, "das Ausland"?
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  • A. D.
    ... wird nicht weniger schlimm, weil andere auch Unrecht begehen. Ich finde es unerträglich, wenn jemand versucht, ein Unrecht auf diese Weise zu relativieren. Oder wie würden wir es finden, wenn ein Mörder auf einen anderen zeigen würde und feststellte, sein Mord wäre nicht ein so großes Unrecht, denn der andere hätte sogar zwei begangen?
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  • W. M.
    was ist das nur für ein Gemeinderat in Rieneck? Erst wird mit GR-Beschluss das Thema in den nichtöffentlichen Teil der Sitzung verlegt, obwohl es ja hierfür wohl objektiv keine schlüssigen Gründe gibt und dann lehnt man das Projekt mit der Begründung ab, dass man Rücksicht auf noch lebende Täter und ihre Nachkommen zu nehmen habe. Die Sache solle nicht groß in die Öffentlichkeit getragen werden. Außerdem sei die vorhandene allgemeine Gedenktafel am Kriegerdenkmal für die Opfer des Nationalsozialismus ausreichend. Dies ist sicher ein falsches Rechtsverständnis und Zeichen. Wieso steht die Gemeinde Rieneck hier nicht zu der geschichtlichen Vergangenheit und arbeitet diese auf.
    Erst durch diesen Versuch des "Vertuschens" wurde das Thema in die Medien gebracht und auf breiter Basis publiziert. Nun kann man sich im Verbreitungsgebiet des Bayerischen Rundfunks ein Bild von der Aufarbeitung der Geschichte dieses Kriegsverbrechens in Rieneck machen.
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  • E. R.
    Mit der Verlegung eines brisanten Themas in den nicht-öffentlichen Teil einer Stadtratssitzung ist die Stadt Rieneck leider kein Einzeltäter.
    In vielen Orten fällt es auch nach so vielen Jahren immer noch schwer, das begangene Unrecht öffentlich einzugestehen.
    Leider kann man aber mit Verdrängen ein begangenes Unrecht nicht ungeschehen machen und es wäre für alle Beteiligten besser, sich der Sache zu stellen und Farbe zu bekennen.
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  • M. W.
    Millionen von Menschen fielen dem Naziregime zum Opfer. Der Grund, warum die Befehlsketten zu solchen Gräueltaten führten, ist unter anderem darin zu suchen, dass die Menschen es billigend zur Kenntnis nahmen, zumindest aber dazu schwiegen. Dass 70 Jahre später eine Mehrheit von Stadträten sich dafür ausspricht, dieses Schweigen beizubehalten belegt, dass die NS-Zeit gerade nicht aufgearbeitet ist. Die Nazis saßen nicht irgendwo in Berlin, und es war nicht Hitler alleine, der so viel Unheil über die Welt brachte. Das Regime wurde damals von breiten Teilen der Bevölkerung, also unseren direkten Vorfahren, mitgetragen. Man kann nicht oft genug auf das geschehene Unrecht hinweisen. Die lobenswerte Initiative von Frau Krutsch ist ein Beitrag dazu. Sie verdient unser aller Anerkennung.
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  • R. W.
    Dass es scheinbar noch lebende Täter gibt, ist überhaupt kein Grund eine Gedenktafel zu verweigern!
    Für die Mörder war die Sache damals sicher auch nicht einfach und ich möchte gewiss nicht in deren Haut stecken, aber das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun!
    Nur wenn ich höre, dass der Volkssturmführer so glimpflich davon gekommen ist, da kocht in mir die Wut und ich würde mir wünschen, dass der verantwortliche Richter zur Verantwortung gezogen wird!
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  • R. S.
    haben sie wirklich erwartet dass von den "Tätern" eine Gedenktafel gestiftet wird?
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  • E. B.
    dieser Frau gegenüber. Sonderbar, warum kam denn bisher keiner der in Rieneck wohnenden "Täter und deren Nachkommen" auf die Idee, eine Erinnerungstafel zu setzen. Das wäre für mich eine Geste.
    Natürlich können die Menschen nichts dafür, hätten sie sich geweigert, wären sie dran gewesen. Aber das der Anstifter bald danach noch begnadigt wurde, das kann ich beim besten Willen nicht verstehen.
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