Es wird viel gelästert über den gelben Sack: Oft hört man noch Geschichten aus den Anfängen, als gelbe Säcke aus Deutschland angeblich in China landeten. Andere glauben, der Plastikmüll werde sowieso zusammen mit dem Restmüll in der Müllverbrennung entsorgt. Falsch. Der Plastikmüll aus Würzburg zum Beispiel landet in einer Sortieranlage in Walldürrn (Neckar-Odenwald-Kreis), bestätigt Joachim Freund, Betriebsleiter der Würzburger Recycling GmbH. Da diese Anlage für Besichtigungen nicht zur Verfügung steht, machen wir uns in Berlin ein eigenes Bild von der Sortierung. Die Berliner Anlage ist technisch baugleich mit der in Walldürn, versichert Susanne Jagenburg, Sprecherin der Alba Group in Berlin. Die Alba Group, eines der größten Recyclingunternehmen weltweit, betreibt unter anderem vier große Sortieranlagen in Berlin, Braunschweig, Leipzig und Walldürn.
Berlin-Mahlsdorf, Hultschiner Damm. Ein Müllwagen nach dem anderen fährt auf die Waage an der Einfahrt des Alba-Geländes. Müll ist wertvoll, ein Geschäft. Daher werden die 80 Transporter, die pro Tag hier Abfall anliefern, sowohl an der Einfahrt als auch später leer an der Ausfahrt gewogen. Vor den gigantischen Hallen stapeln sich Tausende Ballen mit sortiertem Leichtverpackungsabfall, also allem, was vorher im gelben Sack oder in der gelben Tonne war. Im Osten Berlins betreibt Alba eine der modernsten Sortieranlagen für den gelben Sack. „Die Maschinen laufen von montags bis freitags rund um die Uhr im Drei-Schichten-Betrieb“, erklärt Betriebsleiter Björn Schwich. 70 Mitarbeiter verarbeiten dort den Verpackungsabfall von 4,4 Millionen Menschen, das sind alle Berliner plus eine Million Menschen aus dem Umland. Die Laster kippen ihre Ladung in einer weitläufigen Halle ab.
Bis vor ein paar Jahren wurde der Abfall oft noch unbehandelt auf eine Deponie gekippt. Seit Juni 2005 gilt in Deutschland ein Deponierverbot. Das Sortieren und Verwerten von Müll rechnet sich zunehmend, „da Deutschland ein rohstoffarmes Land ist und die Wirtschaft Rohstoffe teuer importieren muss“, erklärt Jagenburg. Und für die Umwelt rechnet sich das Sortieren und Verwerten von Kunststoffen auch. „Wir wollen eine möglichst hochwertige Verwertung erreichen“, sagt eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums.
Ein Radlader reißt die gelben Säcke auf und verteilt den Inhalt auf ein Fließband. Von dort läuft der Müll auf 186 Förderbändern ratternd und knatternd durch die riesige Sortierhalle. Hier riecht es etwas säuerlich, aber es stinkt nicht: „Wir arbeiten mit trockenem Müll“, erklärt Schwich. Die große Halle ist menschenleer, denn den größten Teil der Arbeit erledigen Maschinen. Zerknüllte Folien, Styropor, Spülmittelflaschen und Joghurtbecher fahren vorbei. Ab und zu wird ein Förderband hell bestrahlt, verschwindet unter einem Metallkasten. Eine Infrarotkamera erfasst die Gegenstände und Luftdüsen blasen sie je nach Materialart nach links oder rechts vom Band. Da jeder Kunststoff Licht auf andere Weise reflektiert, kann die Maschine unterscheiden, ob ihr ein Tetrapak oder eine Folie entgegenkommt.
Ein Elektromagnet zieht die eisenhaltigen Metalle aus dem Abfallstrom. „Weißblech und Aluminium sind wertvolle Rohstoffe“, sagt der Betriebsleiter. Vorher trennen Siebtrommeln, die wie große Waschmaschinen aussehen, den Abfall nach Größe. „Das Ergebnis ist eine präzise Trennung in zwölf verschiedene Fraktionen“, erklärt Schwich. Verpackungsfolien, Weißblech, Aluminium, Getränkekartons, Papier, Polyethylen, Polypropylen, PET und mehr (siehe Grafik).
In keinem anderen Land werden so viele Rohstoffe aus dem Abfall gezogen wie hierzulande. „Wir nennen es Rohstoff“, lautet auch das Leitmotiv von Alba. Der Bundesbürger sortiert. Mal mehr, mal weniger gut. „Je anonymer, desto mehr Fehlwürfe haben wir“, erklärt Schwich. „Die Videokassette landet immer wieder im gelben Sack.“ Dabei gehört sie gar nicht hinein. Besonders nach Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern wird sie gerne entsorgt und schädigt die Anlage. „Die Bänder wickeln sich um alle drehenden Maschinenteile. Wir müssen die Sortierung dann sofort stoppen, sonst geht die Maschine kaputt.“ Genauso schädlich sind Weihnachtsbaumnetze.
Vor 20 Jahren wurde alles noch von Hand sortiert: Männer und Frauen klaubten Safttüten, Joghurtbecher oder Shampooflaschen vom Fließband. Heute erfolgt nur noch die Endkontrolle händisch. Zwölf Leute arbeiten in einem hellen, gut belüfteten Raum inmitten der großen Halle. Sie fischen Fehlwürfe vom Transportband, wie die Zeitung, die mit in die Folienfraktion gepustet wurde. Die Maschine ist laut, daher tragen alle Mitarbeiter Gehörschutz. Bis zu 600 Tonnen Müll laufen pro Tag durch die Anlage.
Im Jahr 1990, also vor Einführung des Grünen Punkts, wurden gerade einmal 13 Prozent der Wertstoffe (Glas, Papier, Bioabfall) eingesammelt. Im Jahr 2004 waren es bereits 56 Prozent. Heute erhalten 90 Prozent der Glasflaschen, 80 Prozent des Altpapiers, 75 Prozent des Aluminiums und über der Hälfte des Kunststoffs aus Verpackungen ein zweites Leben. Laut Bundesumweltministerium fielen im Jahr 2013 in Deutschland insgesamt 5,68 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Hiervon wurden etwa 42 Prozent stofflich und etwa 57 Prozent energetisch verwertet, das hießt sie wurden unter Energiegewinnung verbrannt.
Draußen auf dem Hof stapeln sich die Endprodukte der Sortierung: übermannshohe Würfel aus gepressten Tetrapaks, Aluminium, Polyethylen-Verpackungen, PET-Flaschen oder Folien. Die sortenreinen Ballen haben ein Volumen von einem Kubikmeter und wiegen etwa 600 Kilogramm. Der Weg vom ersten Fließband bis zum frisch gepressten Ballen dauert 30 bis 45 Minuten. „Nach drei Tagen ist das Material wieder abtransportiert“, sagt Schwich.
Die Verpackungsverordnung hat nicht zu einem Rückgang der Verpackungsmengen geführt, das beweisen diese Müllberge. „Deutschland weist aktuell mit die höchste Pro-Kopf-Menge an Verpackungsabfall auf“, sagt Walter Hartwig bei der Fachtagung Kreislaufwirtschaft in Würzburg. Doch aus dem sortierten Plastik können schöne Dinge entstehen. Die Kunststoffverpackungen werden zu einem Regranulat eingeschmolzen, um später als Getränke- oder Blumenkasten, Kabelisolierung oder Rohrleitung ein neues Leben zu beginnen. Die Chinesen fertigen aus Polyethylenterephthalat (PET) sogar Fleecepullis. „Die Qualität der Recyclingkunststoffe ist sehr hoch“, sagt Jagenburg.
Die schwarzen kleinen Kügelchen sehen fast aus wie Kaviar. Doch diesen Rohstoff kann man nicht essen. Es handelt sich um recyceltes Kunststoffgranulat. Produziert wird es bei Systec Plastics in Eisfeld (Lkr. Hildburghausen) in der Nähe von Coburg. Dort betreibt die Duales System Holding, die Unternehmensgruppe mit dem Grünen Punkt, eine eigene Kunststoff-Recyclinganlage. Aus Chipstüten, Saftkartons und Spülmittelflaschen entsteht dort Granulat für neue Plastikprodukte: Pflanzentöpfe, Farbeimer, Stiftboxen, Mörtelkübel, Rohrleitungen, Fassadenplatten.
Systec Plastics liegt am Ortsrand von Eisfeld. Der Geruch von Abfall hängt in der Luft. 60 Lkw pro Woche liefern Plastikabfälle direkt aus den Sortieranlagen dort an – auch aus Walldürn (Necker-Odenwald-Kreis). In einer riesigen, stickigen Halle stapeln sich Ballen mit dem gepressten Abfall. Hier steht René Witter. Seit zehn Jahren arbeitet er im Kunststoff-Recycling zuerst als Elektrotechniker, heute als Betriebsleiter. „Systec Plastics ist eine der größten Recyclinganlagen in Europa“, erklärt er. 122 Mitarbeiter arbeiten dort im Vier-Schicht-System – rund um die Uhr. Nur am Heiligen Abend steht die Anlage still. „20 Mitarbeiter in der Schlosserei und der Elektroabteilung kümmern sich um die Instandhaltung der Anlage“, sagt Witter.
Im Herzen der Recyclinganlage ist es warm und laut. Fließbänder rattern, ein Radlader fährt herum, die Mitarbeiter müssen Gehörschutz tragen. Aus drei Produktgruppen – Folie, Polypropylen und Polyethylen – entsteht in Eisfeld Kunststoffgranulat. „Die Qualität des Input-Materials muss stimmen“, erklärt Witter. Der Hartkunststoff muss eine Reinheit von 94 Prozent haben. Prüfteams entnehmen daher per Hand Stichproben, um festzustellen, ob die Sortierung den Vorgaben entspricht. „Wir wollen unseren Kunden ein gleichbleibendes Produkt liefern“, so der Betriebsleiter. „Aber es ist immer noch Abfall, mit dem wir arbeiten.“ Ist das Material nicht gut, wird es wieder abgeholt.
Ein Radlader lädt die Verpackungen auf ein Fließband. Immer wieder fährt der Mitarbeiter den gleichen kurzen Weg: vom Plastikhaufen zum Fließband und wieder zurück. Eine Maschine schreddert Spülmittelflaschen, Wurstverpackungen, Einwickelfolien und Milchkartons zu kleinen, bunten Schnipseln. Ein Magnet entnimmt noch mal alle Eisenmetalle, die als Fremdstoffe im Kunststoff enthalten sein können. Mühlen zerkleinern das Plastik immer weiter. „Jetzt waschen wir die Schnipsel und befreien sie von Verschmutzungen“, erklärt Witter. Daher der strenge Geruch in der Halle. „Wie in einer Kläranlage muss das Wasser wiederaufbereitet werden.“
2,5 Millionen Tonnen Leichtverpackungen aus Kunststoffen, Metallen und Verbundstoffen sammelt das Duale System Jahr für Jahr ein. Rund 40 Prozent des im gelben Sack gesammelten Kunststoffs werden zu neuem Kunststoff. „Technik und Verfahren haben in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht.“ Polypropylen und Folien recycelt man in Eisfeld bereits getrennt. Die Schnipsel oder Flakes werden von speziellen Maschinen nach Farbe sortiert. Eine Farbzeilenkamera kann jeden einzelnen Schnipsel erfassen. Die Nachfrage nach Recyclingkunststoff in Deutschland wächst und sorgt für steigende Preise. „Das Wirtschaftswachstum lässt den Absatz von sortenreiner Ballenware, Mahlgütern und Granulaten stark zunehmen“, stellt Norbert Völl, Pressesprecher des Grünen Punkts, fest. „Zudem ist in den Märkten angekommen, dass Recyclingkunststoff immer attraktiver als Grundstoff für die Herstellung von Kunststoffprodukten wird.“
Trotzdem: Von den 46 Kilo Plastikmüll, die jeder Deutsche pro Jahr produziert, werden nach Angaben des Branchenverbandes Plastics Europe nur 16 Kilo recycelt, also eingeschmolzen und zu neuen Produkten verarbeitet. Zwei Kilo landen auf der Deponie, die restlichen 28 Kilo Kunststoffabfälle werden in der Müllverbrennungsanlage zur Strom- oder Wärmeerzeugung „thermisch verwertet“.
Witter läuft in die Mitte der Halle. „In dieser Maschine werden die Schnipsel geschmolzen, entgast und mikrofiltriert.“ Kunststoff-Recycling in diesem Maß gebe es nur in Deutschland. „Wir lernen aus unseren Erfahrungen“, erklärt er. Eine Recyclinganlage vom Band gebe es noch nicht. Ingenieure müssen hier ständig nachbessern. Am Ende des Prozesses liegt das Granulat als Ausgangsmaterial für neue Produkte vor. „Wir können eine breite Palette an Farben erzeugen, auch Blau- und Grüntöne. Grau, Schwarz und Terrakotta stellen wir am häufigsten her.“ In riesige Säcke abgefüllt, wartet das Granulat auf den Weitertransport. Am Produktionsende ist von Abfall keine Rede mehr: Entstanden ist ein Rohstoff, aus dem die Kunststoffindustrie neue Waren kreiert.
In Einzelfällen kann die Nachfrage bereits das Angebot übersteigen. „Wir beobachten seit Jahresanfang um zehn Prozent höhere Preise“, sagt Frank Böttcher, Geschäftsführer der Systec Plastics Eisfeld. Was die Versorgungssicherheit angeht, zeigt er sich zuversichtlich: „Wir sind innerhalb der Grüner-Punkt-Gruppe breit aufgestellt und verfügen über eine belastbare Rohstoffbasis. Unsere Kunden können sich auf stetige Lieferungen verlassen.“ Im Konferenzraum von Systec Plastics stehen die Endprodukte: Blumentöpfe, Blumenkästen, die Unterteile von Bürostühlen, Rohrleitungen, Farb- und Putzeimer, Wandverkleidungen. „Es ist auf den Märkten angekommen, dass Recyclingkunststoffe als Grundstoff für die Herstellung von Kunststoffprodukten immer attraktiver wird“, sagt Michael Wiener, CEO der Deutschen Gesellschaft für Kreislaufwirtschaft und Rohstoffe.
2015 will die Bundesregierung ein neues Wertstoffgesetz auf den Weg bringen. Ziel ist es, zusätzliche Wertstoffe für ein hochwertiges Recycling zu gewinnen und die Akzeptanz der Getrennterfassung weiter zu erhöhen. „Ab dann soll nicht nur Verpackungsmüll im gelben Sack landen, sondern alles aus Kunststoff“, freut sich Norbert Völl. Der Plastikmüll ist längst ein lukratives Geschäft geworden. Ein Rohstoff mit Zukunft.
Duales System Deutschland (DSD)
Die Verpackungsverordnung von 1991 brachte Deutschland die Mülltrennung und deren Markenzeichen, den Grünen Punkt. Um die wachsenden Müllberge in den Griff zu bekommen, verpflichtete der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer die Hersteller, ihre Verpackungen zu recyceln und dafür die Kosten zu tragen. Hersteller und Handel bezahlen für die Teilnahme ihrer Verpackungen am dualen System. Die Kosten trägt der Kunde, weil der Hersteller sie auf den Preis aufschlägt. Das DSD beauftragt private und kommunale Abfallunternehmen, die gebrauchten Verpackungen einzusammeln. Dies wird aus den Lizenzeinnahmen finanziert. Jeder Bürger erhält kostenlos gelbe Säcke oder eine gelbe Tonne für Verpackungen. Er spart so Geld, weil weniger Abfälle in der gebührenpflichtigen Restmülltonne landen. 2004 wurde das DSD-Monopol abgeschafft. Heute gibt es zehn Duale Systeme in Deutschland. Text: Clk