Es gibt Menschen, für die ist Schneewittchen immer noch nur eine Figur aus dem Märchen. Bis zu ihnen ist der Streit um die Plastik für die „Schneewittchenstadt“ Lohr noch nicht gedrungen. Dazu zählt Professor Ottmar Hörl, unweit von Wertheim lebender Künstler und Präsident der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg. Irgendwie hat er den Hickhack über das Lohrer Schneewittchen nicht wahrgenommen oder wahrnehmen wollen.
Am Telefon gab es dennoch ein lebhaftes und zuweilen sehr launiges, aber auch ernsthaftes Gespräch über die Kunst – über Schönes und Hässliches, über Vergleiche und Verwechslungen, über Sätze wie: „Das ist halt so“ und „Das hätten Kinder besser gekonnt“, über blöde Fehler und intelligente Reaktionen und über vermeintliches Berühmtsein, nur weil angeblich im ganzen Land über einen gesprochen wird.
Frage: Herr Hörl, was fällt Ihnen zu Schneewittchen ein?
Ottmar Hörl: Na, das ist doch die Schöne aus dem Märchen der Brüder Grimm.
Hörl: Ich weiß nicht recht, was soll mir zu Lohr einfallen. Ah, halt, ist das nicht die Stadt, wo Schneewittchen angeblich herkommt?
Hörl: Davon habe ich noch nichts gehört.
Hörl: Also bis gleich. (Es folgt ein sehr langes Schweigen).
Hörl: Ähm, ja. Ich bin ein wenig sprachlos und überrascht. Die Figur sieht aus, als wäre sie von Markus Lüpertz (bis 2009 Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie). Und wenn sie von ihm ist, ja, wie hat es das kleine Lohr geschafft, dass mein Akademie-Kollege für die Stadt eine Skulptur entworfen hat? Also, für mich ist das ein unverkennbarer Lüpertz: Solche unförmigen Frauenfiguren macht er gerne. Die könnten auch in einer Geisterbahn stehen. Ich denke nur an den Fall vor einigen Jahren in Augsburg, wo seine Aphrodite von den Augsburgern ausgebuht wurde.
Hörl: Kenne ich nicht.
Hörl: Das hat gar nichts zu sagen.
Hörl: Weil dort viele studieren, aber nur die wenigsten wirklich Künstler sind. Manche spielen nur Künstler. Und es ist eine Tatsache, dass aus einer Kunstakademie nur maximal drei Prozent als Künstler hervorgehen, die von sich sagen können, dass sie von ihrer Kunst leben können und einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichen.
Hörl: Für diese Summe hätte die Stadt Lohr aber auch einen international arbeitenden Künstler gewinnen können.
Hörl: Wer sagt das?
Hörl: Das heißt doch nicht, dass ein Künstler auch berühmt ist – langfristig gesehen. Reden wir doch in ein paar Monaten noch einmal darüber.
Hörl: Die Entscheidung einer Jury ist in der Regel bindend. Das ist halt so. Ich weiß aus unzähligen Jurys, in denen ich saß, dass ein Kunstwerk, das den ersten Preis erhält, nicht immer realisiert wird. Oft ist es so, dass der Sieger sein Preisgeld erhält und dann der zweite oder dritte Preis zum Zuge kommt.
Hörl: Aus meiner langen Erfahrung heraus – ich sitze seit über 20 Jahren in Jurys – kann ich nur sagen: Das ist eher ungewöhnlich. Meist ist es so, dass zwar der erste Preis die Jury aus künstlerischen Gründen überzeugt, aber das Werk für eine Umsetzung nicht immer praktikabel ist. Wenn die Sieger-Arbeit allerdings sich auch dafür eignet, dann kann man überlegen, ob sie auch realisiert wird.
Hörl: Sicher, denn oft genug habe ich erlebt, dass ein Entwurf nicht so gelungen war, dennoch merkt man, dass es eine gute Arbeit sein könnte. Aber der Künstler hat das nicht so gut gebastelt. Und es gibt andere, die bauen Modelle, da hat man das Gefühl, die könnten, weil sie so perfekt sind, in die Modelleisenbahn-Landschaft hineinstellen. Künstlerisch gesehen, sind sie aber nicht gut. Da muss man ein bisschen aufpassen, denn einige Jury-Mitglieder, meist die Sach-Juroren mit den politischen Ämtern, die stehen natürlich auf kunsthandwerklich gut ausgeführte Modelle. Die können das aber meist nicht übertragen in eine bestimmte Größenordnung. Dazu braucht man Erfahrung.
Hörl: Das ist eine Frage, mit deren Antwort ich mir wieder einmal mächtig Ärger einhandeln könnte. Ich bin Künstler und kein Kunstkritiker. Ich bin als Präsident einer Kunstakademie nicht dazu da, die Werke meiner Kollegen zu kritisieren, vielmehr sie zu schützen. Ich werde . . .
Hörl: Also gut – ich hätte mich nicht für dieses Werk entschieden.
Hörl: Weil es in meinen Augen das Thema verfehlt. Wenn eine Stadt öffentliche Gelder in dieser Höhe in die Hand nimmt, um an einem öffentlichen Platz ein Kunstwerk zu platzieren, das etwas über die Stadt aussagen soll – in diesem Fall als möglicher Schauplatz des Schneewittchen-Märchens – dann passt dieses Werk nicht. Denn es gibt tradierte Vorstellungen von Schneewittchen: Es ist eine schöne Märchenfigur. Ein Künstler sollte, wenn klar ist, dass das Werk für den öffentlichen Raum gedacht ist, sich nicht so einen grotesken Gegensatz dazu ausdenken, auch wenn es seine persönliche Meinung ist, dass man einem Schönheitsideal etwas entgegnen müsste. Ich denke, das ist in diesem Fall kontraproduktiv. Bei diesem Werk habe ich das Gefühl, der Künstler hat den Proteststurm provoziert.
Hörl: Natürlich nicht. Aber sich offensichtlich und derart betont für Hässlichkeit zu entscheiden, hat – allgemein gesprochen – wenig mit Kunst zu tun. Schönheit – das ist eine philosophische Fragestellung, eine Aufgabe, die man lösen muss. Schönheitsmodelle in Frage zu stellen, finde ich in Ordnung. Aber man stellt sie nicht in Frage, wenn man eine so gegensätzliche Position wählt. Wenn man das tut, dann muss man wissen, dass das Wissen des Volkes über ein Märchen folgende ist: Schneewittchen ist eine schöne Frau. Aber hier zeigt der Künstler nur, dass die Zwerge einem Zombie gehuldigt haben.
Hörl: Das kann ich nicht glauben, wenn ich mir die Fotos so ansehe.
Hörl: Ich habe da auch eine andere Meinung dazu. Nur weil du Künstler bist, hast du keine Narrenfreiheit. Und man hat – wie in diesem Fall – eine vermittelnde Position, weil man für alle arbeitet. Es ist in diesem Fall ja kein Privatauftrag.
Hörl: Aber die Bevölkerung hat das Werk doch sehr gut verstanden. Das ist genau sein Problem. Ich muss als Künstler beweisen, dass die Menschen mir abnehmen, dass das, was ich mache, ein glaubwürdiges Modell ist. Wenn ich aber dann nur die Leute verschrecke, bedeutet das nicht, dass man als Künstler missverstanden worden ist, sondern man ist verstanden worden.
Hörl: Wer gegen dieses Werk protestiert, hat es verstanden. Denn Künstler kalkulieren, wenn sie nicht nur für sich im stillen Atelier arbeiten wollen, Reaktionen mit ein. Und es gibt in jeder Epoche gängige Vorstellungen von Schönheit und Hässlichkeit. Diese Figur hat offensichtlich nichts mit den gängigen Vorstellungen von Schönheit zu tun. Also provoziert sie.
Hörl: Das muss ein Künstler bis zu einem gewissen Grad aushalten können.
Hörl: Oje, der ist langweilig und niemand kann ihn mehr hören. Außerdem stimmt er nicht.
Hörl: Wenn es eine fachkundige Jury gibt, kann man nicht gleichzeitig eine Volksbefragung starten. Sonst kommt man nie zu einer Entscheidung. Was aber legitim ist und auch öfter so gehandhabt wird, nachdem die Jury sich entschieden hat, ist eine Ausstellung im Rathaus die verbunden ist mit einer Bürgerbefragung. So erhält man eine thematische Stimmung. Dazu kann man sich ja dann noch einmal verhalten. Denn man gibt ja das Geld anderer Leute aus.
Hörl: Wenn die Werke, die eingereicht wurden, einfach zu schlecht waren – wie das vor einigen Jahren zum Beispiel bei der Ausschreibung für die Würzburger Uniklinik der Fall war, dann muss ich als Jury-Vorsitzender Farbe bekennen. Es geht ja um öffentliche Gelder. Wenn eine Jury sich aber für ein Werk entscheidet, dann sollte man ihr in der Regel vertrauen. Es kommt aber auch immer auf die Zusammensetzung an.
Hörl: Dieser Meinung bin ich immer noch, Vertreter von Standesorganisationen sollten schon aus Selbstschutz in keiner Jury sitzen, weil die Gefahr von Korrumpierbarkeit besteht, von Vereinsmeierei, durch die immer bestimmte Leute zu Wettbewerben eingeladen werden und zu Aufträgen kommen. Ich mag kein Gemauschel. Unabhängige Jurys sind immer besser. Ich halte Künstlervereinigungen lediglich aus einem Grund für wichtig: um künstlerische Interessen politisch zu vertreten. Aber der BBK kann unglaubliche Manipulationen bewirken. Etwa, wenn die Vorsitzenden in allen Jurys sitzen und ihre Mitglieder mit Aufträgen belohnen – weil es von ihnen erwartet wird und unausgesprochen im Raum steht. Dadurch versaut man das Land und tut der Kunst keinen Gefallen. Jetzt habe ich aber mal eine Frage: Wie kam denn die enorm hohe Summe von 110 000 Euro zustande?
Hörl: Dann kann man dem Künstler zunächst einmal keinen Vorwurf machen. Durch diese Nachlässigkeit, durch diesen blöden Fehler in der Ausschreibung und im ganzen Prozedere wird das Lohrer Schneewittchen für mich jetzt allerdings zur Provinzposse. Dennoch muss ich auch sagen: Wenn ich als professioneller Künstler einen Auftrag bekomme, und nicht die Frage stelle, wieviel Etat ich zur Verfügung habe, bin ich für diesen Beruf disqualifiziert. Das ist eine der Grundvoraussetzungen in unserem Beruf, denn nach der Auftragssumme richtet sich die Ausführung des Kunstwerks. Sie können nicht einfach als Künstler einen Auftrag selber definieren, schon gar nicht, wenn er mit öffentlichen Geldern bezahlt wird.
Hörl: Chapeau, das ist eine eine intelligente Reaktion. Die gefällt mir. Der Graffiti-Künstler hat das Kunstwerk sehr gut interpretiert.
Ottmar Hörl
Der 1950 in Bad Nauheim geborene Künstler studierte zuerst Maschinenbau und arbeitete als Konstrukteur. 1975 begann er ein Kunststudium an den Akademien in Frankfurt und Düsseldorf. 1999 erhielt Hörl eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, die er seit 2005 als Präsident leitet. Er lebt und arbeitet in Wertheim (Dietenhan) – und in Nürnberg. Dort schuf er 2003 auf dem Hauptmarkt eines seiner bekanntesten Werke: „Das große Hasenstück“ aus 7000 grünen Dürer-Hasen (Internet: www.ottmarhoerl.de)
Mit Lohr verbindet Ottmar Hörl eine nicht realisierte Kunstaktion: 2008 gab es Pläne für eine Installation aus 1000 Plastikzwergen auf dem Schlossplatz. Der Künstler bot sie zum Selbstkostenpreis von 15 000 Euro an. Die Summe wollten sich Werbegemeinschaft und Stadt teilen. Der Plan scheiterte und Hörl zog sein Angebot zurück. Text: cj

