Astronaut, Pilot, Feuerwehrmann – das sind typische Traumberufe von Kindern. Bei Atilla Gidengil war das anders. Der 21-Jährige wollte schon immer Busfahrer werden. Am Dienstag hatte er seinen ersten Tag als Fahrer, für ihn ist es sein Traumberuf.
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„Das hat mich als Kind schon immer fasziniert. Die Größe der Fahrzeuge, wie sie durch enge Gassen fahren. Und ich wollte etwas machen, was nicht jeder macht“, sagt der Auszubildende bei den Stadtwerken mit sichtlicher Begeisterung. Dabei hatte er nach seinem Abitur gar nicht damit gerechnet, sich diesen Wunsch schon so bald erfüllen zu können. Denn die Ausbildung zur „Fachkraft im Fahrbetrieb“ gibt es erst seit knapp zwei Jahren bei den Stadtwerken Schweinfurt, er ist der erste und derzeit einzige Auszubildende in diesem Bereich. „Das war genau der richtige Zeitpunkt“, erzählt Gidengil, „es hat alles perfekt gepasst.“
Das Schönste am Beruf: mit den Leuten zu reden
Eine seiner ersten Fahrten ohne Anleitung beginnt am Roßmarkt. Kaum stoppt er mit seinem Bus an der Haltestelle, kommen die ersten Kunden in den Bus und wollen Fahrscheine kaufen. „Man sollte schon ein bisschen rechnen können“, sagt Gidengil. Zur Hilfe hat er sich die wichtigsten Zahlen auf den Fahrkartenblöcken notiert.
„Tut mir leid, seit Januar 1,40“, sagt der 21-Jährige höflich zu einer Kundin, die zehn Cent zu wenig hingelegt hat. Die nimmt es mit Humor: „Sie sind schuld!“, ruft sie lachend, und auch er schmunzelt. „Das ist das Schönste: mit den Leuten zu reden. Wenn ich ein paar Tage im Büro war, vermisse ich die Kunden“, sagt Gidengil.
Allrounder im öffentlichen Nahverkehr
Die umgangssprachliche Berufsbezeichnung Busfahrer wird seiner Ausbildung nicht gerecht, denn der 21-Jährige macht noch viel über die reine Fahrtätigkeit hinaus. „Allrounder im öffentlichen Nahverkehr wäre die treffendere Bezeichnung“, erklärt der Auszubildende im zweiten Lehrjahr. In seiner dreijährigen Ausbildung arbeitet er in den verschiedenen Bereichen der Verkehrsbetriebe, beispielsweise im Kundencenter oder in der Werkstatt. Busfahren ist dabei nur eine von vielen Aufgaben, die er beigebracht bekommt. Später könnte er sogar in dem Bereich studieren. Verkehrsbetriebswirtschaft zum Beispiel könne er sich gut vorstellen, sagt Gidengil. „Und wir werden ihn dann natürlich voll unterstützen“, ergänzt Stadtwerke-Geschäftsführer Thomas Stepputat. Auch Gidengils Ausbilder Harald Mendrock ist sehr angetan von seinem Schützling: „Atilla ist ein Glücksfall für uns.“ Nach dessen Ausbildung wolle man wieder einen Lehrling suchen.
Doch noch wissen viele Heranwachsende nicht, dass es diese Ausbildung überhaupt gibt und Spaß machen kann. „Es reizt mich, mich mit der Komplexität zu beschäftigen, die die Kunden überhaupt nicht mitbekommen“, erklärt der Gidengil seine Begeisterung für das Verkehrswesen. Jedes Rädchen greife dort ineinander, alles müsse perfekt aufeinander abgestimmt sein. „Eine kleine Änderung wirkt sich auf das ganze System aus“, sagt der Auszubildende. Daher könne man auch nicht einfach eine Buslinie um fünf Minuten verschieben, wie das die Kunden manchmal wünschten.
Mit Respekt statt mit Angst unterwegs
Weil alles voneinander abhängt, muss der Azubi das komplette Streckennetz auswendig kennen, das aus rund 300 Haltestellen besteht. Auch fährt er nicht immer nur eine Strecke, sondern viele verschiedene am Tag. Den großen Bus durch die engen Straßen in der Gartenstadt zu manövrieren ist für ihn kein Problem. „Mit Angst darf man da nicht unterwegs sein, aber mit Respekt“, sagt der 21-Jährige.
Er trägt die Verantwortung für die Fahrgäste und muss daher sehr vorausschauend fahren. Als Gidengil mit seinem Bus an einer engen Kreuzung steht, will ihn ein anderer Autofahrer vorbeilassen. Doch der 21-Jährige deutet ihm mit der Hand, weiterzufahren. „Anders würde ich da gar nicht um die Kurve kommen“, erklärt er. Die Abmessungen des Busses müsse er im Gefühl haben.
Seine Eltern waren zunächst skeptisch, sagt Gidengil. „Viele haben noch das Vorurteil vom alten, grimmigen Busfahrer im Kopf.“ Doch als seine Eltern gesehen hätten, dass er nicht nur Busfahrer werde, sondern viel mehr Aufgaben übernehme und er ein „bezahltes Hobby“ gefunden habe, waren auch sie überzeugt. Trotz aller Begeisterung ist der Job nicht ohne. Schichtdienste und Wochenendarbeit gehören dazu. „Wer das nur machen will, um Geld zu verdienen, kann es vergessen“, sagt Gidengil. „Aber wer das Ganze so gern macht wie ich, für den ist es ein Traumberuf.“
Die Serie Lieblingsstücke
Der Originaltext „Busfahren ist sein Traumberuf“ von Lukas Will ist im Mai 2015 erschienen.