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SCHWEINFURT
Der glücklichste Busfahrer der Welt
Selfie - Atilla Gidengil bei der Arbeit. Noch ist der Bus leer.
Foto: Atilla Gidengil | Selfie - Atilla Gidengil bei der Arbeit. Noch ist der Bus leer.
Lukas Will
Lukas Will
 |  aktualisiert: 10.08.2017 11:34 Uhr

„Freundlich“ und „Busfahrer“ – diese beiden Begriffe lassen sich für so manch Nahverkehrs-geplagten Fahrgast nur schwerlich in einem Satz aussprechen. Sehr wohl passen diese beiden Begriffe jedoch zusammen, wenn Atilla Gidengil am Steuer sitzt. Der 23-Jährige liebt seinen Beruf, oder wie er es nennt: Berufung. Vor über zwei Jahren hatte er seine erste Busfahrt mit Passagieren und konnte trotz seiner Aufregung alle Interview-Fragen mit genauso viel Leidenschaft beantworten, wie er den großen Linienbus durch die engen Gassen Schweinfurts manövrierte.

Busfahren war schon immer sein Kindheitstraum gewesen, sagte Gidengil damals beim Interview. Und er sei überaus glücklich, dass er ein „bezahltes Hobby“ gefunden habe. Auch jetzt noch ist er begeistert vom Busfahren und von allem, was damit zusammenhängt. „Besonders schön sind immer die Momente, in denen Fahrgäste mir die gute Laune, die ich auszuteilen versuche, in gleichem Umfang zurückgeben“, berichtet der Busfahrer heute.

„Super schön“, wenn die Fahrgäste ein Lied auf ihn anstimmen

Zwar sei es nicht immer einfach, an einem späten Samstagabend einen Bus mit vielen angeheiterten Fahrgästen zu lenken. „Aber wenn die Passagiere dann in teils schrillen, jedoch von Herzen kommenden Tönen, ‚Ein Hoch auf unseren Busfahrer‘ anstimmen, finde ich das immer super schön“, sagt Gidengil. „Jedoch genügt es natürlich auch, wenn Fahrgäste für den Busfahrer beim Einsteigen ein nettes Lächeln übrig haben, um diesem den Dienst zu versüßen.“

Doch was macht für ihn den Reiz am Busfahren aus? Bei dieser Frage sprudelt es aus dem 23-Jährigen nur so heraus: „Frühmorgens zu erleben, wie der Alltag erwacht oder spätabends zu erleben, wie Berufspendler den Spaßpendlern weichen. Mit großen Fahrzeugen durch enge, zugeparkte Gassen zirkeln. Mit den Fahrgästen ein nettes Pläuschchen halten. Einer Tätigkeit nachzugehen, bei der nach Dienstende nichts auf dem Schreibtisch liegen bleibt. Dass man sich über morgen keine Gedanken zu machen braucht, weil niemand weiß, was morgen kommt. Dass man draußen ist, alles sieht und auch ab und zu durch brutales Schmuddelwetter fährt, sich jedoch trotzdem im warmen, trockenen und geschützten Raum befindet. Sprich: draußen tobt der Sturm, drinnen sitze ich mit Hemd und Krawatte, links daneben noch der Kaffee in der Thermoskanne – da gibt´s nichts Schöneres!“

Attila Gidengil bei einer seiner ersten Fahrten
Foto: ANAND ANDERS | Attila Gidengil bei einer seiner ersten Fahrten

Gidengil war der erste Auszubildende bei den Schweinfurter Stadtwerken zur „Fachkraft im Fahrbetrieb“ – und aus Unternehmenssicht gleich ein Volltreffer. Wegen guter Leistungen beendete er seine Ausbildung vorzeitig und mit der Abschlussnote 1,12. So fuhr er bereits zu Jahresbeginn 2016 als regulärer Mitarbeiter mit dem Bus durch Schweinfurt, verkaufte Tickets im Verkaufsschalter am Roßmarkt, organisierte in der Fahrdienstleistung den Busverkehr oder plante Veränderungen bei den Linien.

Passagiere lassen oft Ärger am Fahrer aus

Als Busfahrer hat man viel Verantwortung. Schließlich gilt es, ein riesiges Vehikel mit nicht angeschnallten Menschen durch den teils hektischen Stadtverkehr zu lenken, an den Haltestellen Karten zu verkaufen und dabei noch im eng getakteten Zeitplan zu bleiben. Doch nicht immer gelingt es, pünktlich zu sein. Dies führe teils zu Ärger unter den Passagieren, den sie dann am Fahrer auslassen.

Gidengil weiß jedoch damit umzugehen und denkt nicht im Traum daran, sich den Spaß an seinem Beruf dadurch vermiesen zu lassen. „Sich da persönlich angegriffen zu fühlen, könnte die Situation in eine unnötige Eskalationsstufe lenken“, sagt der 23-Jährige. Er entgegnet dann auch auf unfreundliche Worte: „Ich kann Ihren Unmut sehr gut verstehen, auch ich würde mir nichts Schöneres wünschen, als pünktlich zu sein.“ Das wirke oftmals Wunder und manche Menschen gingen dann auch lächelnd weiter.

Abgesehen von diesen Bus-internen Konflikten, die der Fahrer zu lösen hat, gebe es auch auf der Straße immer wieder aufregende Situationen, berichtet Gidengil. „Brenzlig wird es immer dann, wenn andere Verkehrsteilnehmer durch falsches Verhalten die Sicherheit meiner Fahrgäste gefährden.“

Selbst wenn er nicht schuld sei, trage er doch die Verantwortung für die Fahrgäste. Also fahre er so vorausschauend wie möglich und versuche für jeden Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer mitzudenken. „Wenn man bedenkt, wie selten ein Bus in einen Unfall verwickelt wird, wird deutlich, dass dies auch bei allen meiner Kollegen sehr gut klappt. Leider nehmen viele Fahrgäste jedoch im Regelfall nur zur Kenntnis, wenn mal wirklich etwas passiert.“

Attila Gidengil hat seinen Führerschein in der Tasche. Seine erste Fahrt nach Gartenstadt.
Foto: Anand Anders | Attila Gidengil hat seinen Führerschein in der Tasche. Seine erste Fahrt nach Gartenstadt.

Fahrgast im Bus gestürzt

Auch Gidengil musste schon solch eine Situation meistern. Als einmal ein Auto vor seinen Bus ausscherte, musste er stärker bremsen. „Dabei ist ein Fahrgast gestürzt, um den ich mich natürlich sofort an Ort und Stelle gekümmert habe.“ Das war aber auch schon die Ausnahme, denn sonst konnte der junge Busfahrer alle gefährlichen Situationen entschärfen.

Schon zu Beginn seiner Ausbildung dachte der damals 21-jährige Gidengil daran, in dem Bereich später einmal zu studieren. Aktuell verwirklicht er dieses Ziel und vertieft sein Fachwissen im Bachelor-Studiengang „Verkehrsbetriebswirtschaft und Personenverkehr“ an der Hochschule Heilbronn. „Schweren Herzens musste ich mich deshalb von den Stadtwerken Schweinfurt trennen und hatte auf meiner letzten Fahrt um 8:41 Uhr auf der Linie 11 Richtung Hauptbahnhof-Bergl sogar Tränen in den Augen“, erzählt Gidengil, der sich noch an jedes Detail dieser Fahrt erinnern kann.

„Nach meinem Studium würde mich eine Tätigkeit sehr reizen, in der ich mich entweder planerisch austoben kann oder eine gewisse Personalverantwortung habe.“ Trotzdem will Gidengil das Busfahren keinesfalls aufgeben und würde „alles dafür tun“, bei Personalnotstand oder Betriebsstörungen wieder „den Kindheitstraum leben zu dürfen“.

So überrascht es auch nicht, dass der 23-Jährige aktuell als Aushilfsfahrer für das private Busunternehmen Leinach-Tours im Landkreis Würzburg seine Haltestellen anfährt – „auf den Linien meiner Kindheit 11, 14 und 19“. Und wenn ihm dann ein Fahrgast ein Lächeln zuwirft, oder draußen ein Unwetter tobt, doch der Kaffee in der Thermoskanne heiß bleibt, dann ist Atilla Gidengil der wohl glücklichste Busfahrer der Welt.

 
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