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Bad Kissingen
Warum Thomas Gottschalk Schiller lieber mag als Brecht
Er glaubt zwar, dass er nicht zum Literaturpapst geboren wurde. Trotzdem hat Thomas Gottschalk Spaß daran, in seiner eigenen Sendung Bücher und Autoren vorzustellen.
Warum Thomas Gottschalk Schiller lieber mag als Brecht       -  Literatur mit Leichtigkeit: Moderator Thomas Gottschalk hat die zweite Folge seiner Reihe 'Gottschalk liest' in Bad Kissingen aufgezeichnet.
Foto: Siegfried Farkas | Literatur mit Leichtigkeit: Moderator Thomas Gottschalk hat die zweite Folge seiner Reihe "Gottschalk liest" in Bad Kissingen aufgezeichnet.
Siegfried Farkas
Siegfried Farkas
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:02 Uhr

Gottschalk liest? Aber ja doch. Die zweite Folge seiner Reihe mit eben diesem Titel ist am Dienstag, 18. Juni, im Bayerischen Fernsehen zu sehen. Aufgezeichnet hat der Moderator die Sendung in Bad Kissingen. Und nahm sich vorab Zeit für ein Gespräch über Karl May, Axel Milberg, Marcel Reich-Ranicki und die Ähnlichkeit mit einem Klassiker.

Frage: Sie gehören zu einer Generation, die sich in ihrer Jugend durch Musikvorlieben selbst definiert und von anderen abgegrenzt hat. Die einen schworen auf die Beatles, die anderen auf die Stones. Galt dieses Einsortieren nach Vorlieben auch für Literatur?

Thomas Gottschalk: Ja, ich habe zweifelsohne das Leichte mehr geschätzt als das Schwere. Also ich habe die verbindliche Literatur aus der Pfarrbücherei mit nach Hause genommen. Ich hielt es auch immer für eine intellektuelle Anmaßung, 17-Jährige übers Kafkas Schloss nachdenken zu lassen. Trotzdem habe ich die typische Bildungsbürgerschulzeit durchgemacht, mich aber parallel dazu geistig nicht überfordert. Das habe ich bis heute durchgehalten.

Warum lesen Sie? Weil Sie gute Geschichten mögen? Weil Sie unterhalten werden wollen?

Gottschalk: Der Ansatz zum Lesen war für mich immer, macht es Spaß? Genauso wie bei der Musik. Ich habe als Radiomoderator nicht von der zweiten Seite der Amon Düül-Platte den dritten Titel gespielt, sondern ich habe gewusst, dass ich mehr Hörer erreiche, wenn ich dem Mainstream folge. Trotzdem habe ich mir Flexibilität bewahrt. Ich finde darin liegt mehr Wahrheit als in apodiktischem Beharren auf irgendeiner Intellektualität. Die Mischung macht's, meine ich. In der Literatur beschäftigte ich mich heute mit Dingen, wo ich mit 20 gesagt hätte, bleibt mir bloß vom Leibe damit.

Was waren in den Sechzigern die literarischen Favoriten des jungen Thomas Gottschalk?

Gottschalk: Na ja, ich bin so hin und her geeiert. Wir haben in der Schule Dinge lesen müssen, um die ich sonst einen Bogen gemacht hätte. Privat habe ich mir also zum Ausgleich das Leichte gelegt. Ich war nie ein literarisch interessierter Primaner, der sich heimlich mit Rilke beschäftigt hätte, wenn Zeitschriften rumlagen wie Pardon oder Twen.

Lassen Sie uns doch mal mit ein paar Autorengegensätzen Ihre literarische Sozialisation ergründen?

Gottschalk: Sie werden am Ende dieser Litanei enttäuscht feststellen, dass ich nicht zum Literaturpapst geboren wurde. Und es auch jetzt noch nicht sein will, sondern eben einfach sage, dass jemand, der mit Karl May angefangen hat, vielleicht auch irgendwann ankommen kann. Ich hab lange gebraucht dazu.

Karl May oder Enid Blyton?

Gottschalk: Karl May natürlich, da gab‘s auch 70 davon. 

Thomas Mann oder Heinrich Mann?

Gottschalk: Wenn, dann Thomas  Mann, in seiner bestechenden Sprache ist er natürlich ein Faszinosum an sich.

Heinrich Böll oder Günter Grass?

Gottschalk: Die Blechtrommel war Pflicht und da lag mir der Günter Grass in seiner Aufmüpfigkeit schon näher als der Böll in seiner katholischen Art.

Robert Musil oder Rainer Maria Rilke?

Gottschalk: Rilke, da wiederum ist es diese romantische, diese etwas depressive Art, die mir eigentlich als Person überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Rilke, ich würde sogar noch eher sagen Schnitzler, das sind so schwermütige Menschen. In diesem Wiener Schmäh und in dieser Larmoyanz habe ich mich wiedergefunden.

Bert Brecht oder Friedrich Schiller?

Gottschalk: Dann wieder Schiller, ich bin allen aus dem Wege gegangen, die nur im Elend gerührt haben.  Schiller dagegen, die Glocke und so weiter, der Ring des Polykrates, der Sieg des Großen, des Wahren, also da bin ich Romantiker. Der Schiller sah mir übrigens sehr viel ähnlicher als der Brecht.

Woran entscheidet sich heute, ob Sie ein Buch gut finden oder nicht?

Gottschalk: Da klammere ich mich einfach an die simpelste Aussage, die Reich-Ranicki mir gegenüber mal gemacht hat: Ein Buch ist dann gut, wenn es mich nicht langweilt. Es ist für mich ein gewisses Alibi, zu sagen, das mag keine hohe Literatur sein, das mag den Ansprüchen eines Literaturkritikers nicht genügen, aber es hat mich unterhalten. Als man mich für das literarische Quartett gezwungen hat, einen Peter Handke zu lesen, habe ich zuerst gedacht, um Gotteswillen, was ist denn das? Aber letzten Endes hat es mich dann in irgendeiner Form doch fasziniert. Und ich muss sagen, jetzt verlange ich geradezu, dass man mir einen Kanon an die Hand gibt, was ich lesen soll. Das tut mir gut, das diszipliniert mich. Dass ich das jetzt sogar noch als Fernsehsendung machen darf, dass ich da dilettieren darf, dafür bin ich dem Bayerischen Rundfunk echt dankbar. Zum ersten Mal in meinem Leben.

Das Fragezeichen im Titel Ihrer Sendung ist ja ziemlich kokett! Gottschalk liest? Glauben Sie, dass man Ihnen das vorher nicht zugetraut hätte?

Gottschalk: Das Fragezeichen habe ich mitgebracht. Ich wollte mir damit einen gewissen Freiraum verschaffen. Ich halte mich mit der Nummer eigentlich für überfordert und finde, das Unterhaltende dieser Veranstaltung ist, wie jemand wie ich mit dieser Überforderung umgeht. Ich bin da ein bisschen auch auf dem Weg der Selbstfindung.

Sie haben mehrfach deutlich gemacht, dass Sie Marcel Reich-Ranicki sehr beeindruckt hat.

Gottschalk: Weil er mir das Gefühl einer Augenhöhe gegeben hat. Und weil wir uns auf dem Unterhaltungslevel begegnet sind. Der fand mich unterhaltsam und hat immer gesagt, ich soll nach Höherem streben. Ich werde nie vergessen, wie die Anfrage kam, ob ich zu einem seiner Geburtstage in der Frankfurter Paulskirche was sagen würde. Ich habe ja gesagt. Mein Vorredner war Richard von Weizsäcker und nach mir kam der früh verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Also ich als Package zwischen Weizsäcker und Schirrmacher, ich dachte, da kann ich nur eingehen. Erst war ich versucht, mir einen Universitätsprofessor als Coach zu engagieren. Dann habe ich das aber doch ganz gut hingekriegt, weil ich gemerkt habe, dass die Leichtigkeit, die Heiterkeit, auch bei so einem Publikum Punkte macht.

Mit der Aufzeichnung der Sendung an wechselnden Orten wie jetzt in Bad Kissingen verzichten der BR und Sie auf die komfortable Situation eines Studios. Was gewinnen Sie dadurch?

Gottschalk: Ich kann mir dadurch eine gewisse Livesituation einreden. Ich bin da immer etwas in der Not, unterhaltsam sein zu wollen. Es ist ja nichts anderes da als drei Autoren und wir reden über drei Bücher und das muss 600 Leute unterhalten. Das ist für mich die Herausforderung. Die brauche ich.

Warum ist es Kissingen geworden und nicht Kulmbach?

Gottschalk: Kein Ahnung. Offensichtlich war der schöne Hof in der Plassenburg besetzt. Von Bad Kissingen habe ich mir gedacht, eine Kur tut mir gut.

Worum geht es Ihnen mit der Sendung?

Gottschalk: Ich hab daran Spaß und erbitte mir die Nachsicht, hier tastet sich einer an Literatur heran. Es geht nicht darum, dass einer erklärt, was der Autor gesagt haben soll oder, noch schlimmer, was er eigentlich hätte sagen sollen, aber nicht getan hat.

Warum Thomas Gottschalk Schiller lieber mag als Brecht       -  Auf der Couch: Friedemann Karig, Johanna Adorján und Marlene Streeruwitz mit Thomas Gottschalk bei der Aufzeichnung im Regentenbau in Bad Kissingen.
Foto: Siegfried Farkas | Auf der Couch: Friedemann Karig, Johanna Adorján und Marlene Streeruwitz mit Thomas Gottschalk bei der Aufzeichnung im Regentenbau in Bad Kissingen.

Kurz noch etwas zu den Büchern und Autoren, die Sie in der Sendung aus Bad Kissingen vorstellen. Warum sollte man Marlene Streeruwitz‘ Flammenwand lesen?

Gottschalk: Na ja, ich musste sie lesen und bin im Nachhinein froh, dass ich sie gelesen habe. Weil das eine Frauenfigur ist in dem Buch, die mir mein Leben lang Gottseidank erspart geblieben ist. Und wenn ich sie schon im Leben nicht getroffen hab‘, dann wenigstens in der Literatur.

Und Friedemann Karig?

Gottschalk: Der war nach dieser schweren Frauenfigur geradezu eine Erlösung. Der hat seinen verschwundenen Freund im Dschungel gesucht. Ich konnte ihm dort auf jedem Meter folgen. Das ist ein fröhlicher Geselle, der aber auch für sein Alter schon sehr weit ist. Ich war in dem Alter noch nicht so weit. Ich wäre gerne von den Müttern meiner Freunde verführt worden. Dem ist das passiert und die handelnde Romanfigur hat ein Trauma davongetragen. Das wird mit ihm zu besprechen sein.

Johanna Adorján?

Gottschalk: Na ja, mit der werde ich ein Hühnchen rupfen. Die hat 'ne Kolumne geschrieben, wo sie sich mit Männern auseinandergesetzt hat, einer Gruppe von Männern, der ich Gottseidank nicht angehöre. Du liest aber trotzdem in der Panik, hat der ‘ne Macke, die ich auch habe? Ich habe zum Beispiel mit Entsetzen festgestellt, dass ich auch sage, ich sitze im Flieger, was offensichtlich in ihren Augen eine gewisse Großkotzigkeit ist, weil, man muss Flugzeug sagen.

Und warum kam Axel Milberg nicht selber?

Gottschalk: Der dreht natürlich wieder. Bei Kommissaren ist das so, da ist eben gestern eine Leiche aufgetaucht, die muss er heute verarzten. Ich mag den Axel Milberg und bin jetzt zum ersten Mal in einer Situation, wo ich ein Buch vor mir habe, dessen Autor nicht da ist. Wo ich dann ungeschützt meine Meinung zu dem Buch sagen kann.

Warum Thomas Gottschalk Schiller lieber mag als Brecht       -  Gottschalk liest? Aber mit Vergnügen! Der Moderator beim Dreh in Bad Kissingen.
Foto: Siegfried Farkas | Gottschalk liest? Aber mit Vergnügen! Der Moderator beim Dreh in Bad Kissingen.

Klingt verführerisch.

Gottschalk: Na ja, du hast ja immer noch die Panik, wenn du da sitzt, von allen gemocht werden zu wollen. Das ist Unterhaltern wie mir eigen. Ich bin nie jemand, der seinen Gästen irgendwo etwas Unangenehmes nachsagen wollte. Jetzt werde ich dazu gezwungen, nicht alles, was ich gelesen habe, gut zu finden und mit den Menschen, die es geschrieben haben, darüber zu reden. Aber der Mut, den Leuten ihre Bücher um die Ohren zu hauen, fehlt mir doch.

Gottschalk liest?
Ausgestrahlt wird Gottschalk liest? aus Bad Kissingen am Dienstag, 18. Juni, ab 22 Uhr im Bayerischen Fernsehen. Die Sendung ist die zweite Ausgabe der Reihe. Gäste sind die Autorinnen Johanna Adorján und Marlene Streeruwitz sowie Friedemann Karig. Bei Adorján geht es um eine Sammlung von Texten über Männer, bei Streeruwitz um ihren neuen Roman Flammenwand und bei Karig um sein Romandebüt Dschungel. Über Düsternbrook, den ersten Roman des Schauspielers Axel Milberg wird ebenfalls gesprochen.
 
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