Manuela Rottmann (46) hat etwas Zeit an diesem Morgen. Das Angebot, sich in der Redaktionskonferenz an der täglichen Inhaltekritik zu beteiligen, nimmt die Grünen-Bundestagsabgeordnete aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen) gerne an. Ein Frage-Antwort-Beitrag zum Tempolimit gefällt ihr, der Bericht über eine Pressekonferenz des Bauernverbands ist ihr zu unkritisch. Später, im Gespräch, will sie über politische Themen diskutieren, Fragen zu Personal- und Koalitions-Spekulationen sind der promovierten Juristin, die Obfrau ihrer Fraktion im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ist, eher lästig.
Frage: Frau Rottmann, hoffen Sie eigentlich täglich auf das Ende der Großen Koalition in Berlin?
Manuela Rottmann: Nein. Ich hoffe täglich drauf, dass die Große Koalition in Berlin anfängt, Politik zu machen.
Aber die Grünen standen noch nie so gut da, wie in den aktuellen Umfragen. Bei einer Neuwahl bestünde die Chance, Schwarz-Grün zu realisieren. Eine Koalition ohne die FDP, das ist doch verlockend, oder?
Rottmann: Wichtig ist mir, das Vertrauen in dieses System zu stabilisieren. Die Leute sollen sehen, die parlamentarische Demokratie funktioniert, sie löst Probleme, sie verbessert meinen Alltag. Das Gegenteil passiert, wenn wir ständig nur über Umfragen, Neuwahlen oder Personal reden. Mir ist es lieber, wir streiten über Themen, über den richtigen Weg. Der kurzfristige, vermeintliche Profit aus Umfragen, der interessiert mich nicht.
Sie haben selbst in der Exekutive als Umweltdezernentin in Frankfurt Erfahrungen mit Schwarz-Grün gemacht. Gute?
Rottmann: Schwarz-Grün in Frankfurt waren sechs gute Jahre für die Stadt. Beide Parteien haben sich ergänzt. Beim Thema Klimaschutz zum Beispiel hat es mir als Dezernentin geholfen, dass die CDU einen guten Draht ins Handwerk hatte. Da haben wir zusammen mehr erreicht als alleine. Und wir haben uns die Erfolge gegenseitig gegönnt. Dieses Nicht-Gönnen-Können, das ist, glaube ich, das Problem der Großen Koalition in Berlin. Schwarz-Grün als Gestaltungskoalition, das könnte schon interessant sein.
Grüne Politik mit einem CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer zu realisieren, stelle ich mir schwierig vor.
Rottmann: Schwarz-Grün geht nur mit einem grünen Verkehrsminister.
Trotz aller Umfrage-Hochs: Auf dem flachen Land ist der Grünen-Hype längst nicht so groß wie in der Stadt. Bei Ihnen daheim, im Stimmkreis Bad Kissingen, ist die Partei bei der Landtagswahl auf 11,4 Prozent gekommen, in Würzburg waren es über 30 Prozent. Was müssen die Grünen auf dem Land besser machen?
Rottmann: Wenn man sieht, wo wir bis vor kurzem standen - wir kennen die Fünf-Prozent-Hürde von unten -, dann sind elf Prozent sensationell. Viele, die uns unterstützen, sind keine rot-grünen Wechselwähler wie in der Stadt, sondern Menschen aus einem eher konservativen Milieu, die bislang CSU und Freie Wähler gewählt haben. Ein großer Vertrauensbeweis, den dürfen wir nicht enttäuschen. Wir sind gerade dabei, unsere Strukturen zu professionalisieren, die vielen Ehrenamtlichen auf Bezirksebene besser zu unterstützen. Und wir probieren neue Formate aus.
Zum Beispiel?
Rottmann: Die klassischen Veranstaltungen, wo ein Politiker die Leute vollschwätzt und das war es, das funktioniert nicht mehr. Die Bürger haben selbst etwas zu erzählen - über ihre Sorgen mit der Rente oder Probleme bei der Gesundheitsversorgung. So aktivieren wir auch Menschen, die sich schon von der Politik verabschiedet hatten. Wir sagen ihnen, ihr seid nicht alleine, zeigen Lösungsvorschläge, ohne falsche Versprechungen. Sie merken dann, sie sind Teil einer Debatte.
Nach Berlin. Im Rechtsausschuss haben Sie sich lange mit der Musterfeststellungsklage beschäftigt. Jetzt bekommen Bürger die Möglichkeit, gemeinsam ohne großen Aufwand Ansprüche durchzusetzen. Anlass, das Gesetz voranzutreiben, war der VW-Dieselskandal. Funktioniert es?
Rottmann: Das Gesetz ist erst seit November in Kraft. Immerhin haben sich jetzt schon knapp 400 000 der 2,5 Millionen Geschädigten einer Musterfeststellungsklage gegen VW angeschlossen. Ich bin sehr gespannt, wie das Verfahren ausgeht.
Ziel ist, dass die Diesel-Käufer Schadenersatz bekommen?
Rottmann: Das ist einer unserer Kritikpunkte an dem Gesetz. Wenn der Prozess für die Kläger gut läuft, bekommen sie am Ende die Feststellung, ja, VW hat eine Rechtspflicht verletzt. Aber dass sie Geld kriegen und vor allem auch wieviel, das müssen sie individuell in einem weiteren Verfahren einklagen. Das hatten wir Grüne uns einfacher vorgestellt.
Was hätten Sie anders gemacht?
Rottmann: Wir hätten uns gewünscht, dass sich betroffene Bürger einfach zusammenschließen und mit einem Anwalt so eine Klage einreichen können. Stattdessen müssen sie sich einen Verband suchen, der klageberechtigt ist, im Fall VW zum Beispiel der Verbraucherzentrale-Bundesverband. Das ist zu bürokratisch.
Zuletzt haben die Grünen Änderungen am Netzwerkdurchsetzungsgesetz gefordert. Es soll die großen Plattform-Betreiber zwingen, sich an deutsches Recht zu halten und Beleidigungen, Gewaltverherrlichung und Volksverhetzung zeitnah von ihren Seiten zu entfernen. Was passt Ihnen da nicht?
Rottmann: Das Gesetz war von Anfang an umstritten. Auch die Grünen waren kritisch. Ich persönlich finde, es ist richtig, eine Möglichkeit zu schaffen, die Verbreitung strafbarer Inhalte schnell zu stoppen. Aber es braucht auch eine Widerspruchsmöglichkeit, um sich gegen ein Overblocking durch die Netzwerke zu wehren, wenn zu viel gelöscht wird.
Mit den sozialen Netzwerken haben die Grünen so ihre Probleme: Robert Habeck hat sich nach heftiger Kritik an seinen Beiträgen von Twitter und Facebook verabschiedet. Katharina Schulze hat einfach die Kommentarfunktion abgeschaltet, als ihr der Shitstorm nach ihrem Instagram-Post aus Kalifornien zu heftig wurde. Sind Grüne zu dünnhäutig im Umgang mit Kritik?
Rottmann: Nein, das glaube ich nicht. Wir alle – auch ich – bekommen fast täglich Hassmails, Hassanrufe. Wir können da gut was ab. Ich finde es aber absolut legitim, zu sagen: Es gibt kein Recht darauf, dass ich mich auf meinem Profil beleidigen lassen oder Mordfantasien aushalten muss. Zu behaupten, jemand der Hasstrolle aussperrt, habe ein Problem mit der Meinungsfreiheit, ist gaga. Der direkte Dialog in den Netzwerken macht Spaß, aber Entgleisungen muss man Grenzen setzen.