"Die Sudetendeutschen", das war einmal ein Schimpfwort auf tschechischer Seite. Auf der anderen haben Eigentumsansprüche der Vertriebenen jahrzehntelang den Dialog erschwert. Das Verhältnis ist heute viel freundlicher geworden. Begegnungen und kultureller Austausch tragen Früchte. Ein Gespräch mit dem Landesobmann der Sudetendeutschen in Bayern, Steffen Hörtler:
Steffen Hörtler: Da fahren wir selbstverständlich ins Riesengebirge. Wir haben dort ein kleines Haus und somit zwei Lebensmittelpunkte.
Hörtler: Ich bin in der DDR in Thüringen aufgewachsen, als Kind heimatvertriebener Eltern. Aber in der DDR durften die Heimatvertriebenen sich nicht als solche bezeichnen, sondern wurden schönfärberisch als „Umsiedler“ bezeichnet. Mein Vater, Jahrgang 1937, hat mit unserer Familie zahlreiche Reisen in seine Heimat unternommen und uns sein Elternhaus und Heimatdorf gezeigt.
Hörtler: Ich bin geprägt von den Erzählungen über die Heimat und die Vertreibung der Familie im Elternhaus sowie über die Reisen und Erkundungen in Böhmen, Mähren und Schlesien. Bei den politischen Umbrüchen 1989 in der DDR stand ich kurz vor dem Abitur, welches ich aber aus politischen Gründen wohl dort nie hätte machen dürfen. Gott sei Dank kam die Wende. Ich habe immer angenommen, dass man in der alten Bundesrepublik – ganz im Gegensatz zur DDR – offen über Geschichte reden durfte. Ich stellte aber schnell fest, dass man auch hier, zumindest in meiner Altersklasse, kaum etwas über die Vertriebenen wusste. Hinzu kam eine Fülle von Vorurteilen.
Hörtler: In der Zeit der politischen Wende gelang es, in den neuen Bundesländern Landsmannschaften zu gründen. Mein Vater wurde Gründungsvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Thüringen. Im Anschluss an mein Studium fand ich eine Anstellung als Heimleiter an der Begegnungsstätte Burg Hohenberg, einen Steinwurf von der tschechischen Grenze entfernt. Hier konnten wir durch deutsch-tschechische Begegnungen, vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, neue Freundschaften schließen. Nicht zuletzt habe ich bei einer solchen Begegnung meine tschechische Frau Lucie kennengelernt. Wir sind seit 16 Jahren verheiratet und haben eine zwölfjährige Tochter.
Hörtler: Dem Unrecht, das das nationalsozialistische Deutsche Reich der Tschechoslowakei durch die Abtrennung der Sudetengebiete und der Errichtung des Protektorates Böhmen und Mähren angetan hatten, folgten unmittelbar nach Kriegsende Pogrome gegen die Sudetendeutschen, wilde und später „geordnete“ Vertreibungen. Rund drei Millionen Menschen wurden nahezu mittellos aus ihren Häusern und Höfen vertrieben, ihre Geschäfte, Handwerks- und Industriebetriebe enteignet. Ein Drittel der Sudetendeutschen strandete in Bayern, ein Drittel in den anderen westlichen Besatzungszonen, ein Drittel in der Sowjetisch Besetzten Zone.
Hörtler: Die deutschen Heimatvertrieben und Flüchtlinge sind nicht für kriegsbedingte Vermögensverluste entschädigt worden. Für den Kriegsausbruch und -verlauf tragen sie eher weniger Schuld als die Binnendeutschen. Wer kann es den Vertriebenen und Enteigneten verdenken, dass sie nicht auf ihren z.T. durch den Fleiß von Generationen erworbenen Besitz verzichten wollen? Eine kollektive Enteignung ohne individuelle Schuld ist und bleibt nicht rechtens. In den Beneš-Dekreten wird die kollektive Enteignung und Entrechtung der Deutschen gebilligt. Für Straftaten an Deutschen bis zum Mord wird Straffreiheit gewährt. Die Beneš-Dekrete haben Rechtsfolgen bis in die Gegenwart. Das tschechische Parlament hat vor einigen Jahren ein Gesetz verabschiedet mit dem einzigen Satz „Edvard Beneš hat sich um das Vaterland verdient gemacht.“ Das sehen wir Sudetendeutsche anders.
Hörtler: Noch vor wenigen Jahren war der Begriff „Sudety“ ein Schimpfwort. Das hat sich grundlegend geändert. Es gibt Initiativen wie Antikomplex, die sich der Geschichte sudetendeutscher Ortschaften gewidmet haben und in Vorher-Nachher-Fotodokumentationen den kulturellen Verlust durch die Vertreibung beklagen. Tschechische Ethnologen widmen sich der Erforschung von Trachten und Mundarten. In Aussig an der Elbe/Usti nad Labem entsteht ein "Museum Unserer Deutschen“, auf den Sudetendeutschen Tagen sind viele, insbesondere junge Tschechen vertreten. Ebenso beim jährlichen „Marsch des Lebens“ in Südmähren. Es gibt so gut wie keine gegenseitigen Provokationen mehr. Der Umgangston ist heute freundlich.
Hörtler: Die Flüchtlinge und Vertriebenen sind hauptsächlich in ländlichen Regionen untergebracht worden. Bayern hatte seinerzeit etwa acht Millionen Einwohner, davon je eine Million sudetendeutsche und schlesische Vertriebene. In Hammelburg war ein Ankunfts- und Verteilungslager für die Region. Vielfach erlebten die Vertriebenen keine freundliche Aufnahme. Ehen zwischen Einheimischen und Vertriebenen waren aufgrund des sozialen Unterschiedes noch rund zwei Jahrzehnte später kaum anzutreffen. Die Assimilation ist mittlerweile vollständig gelungen. Jeder Vierte in Bayern dürfte aus einer Vertriebenenfamilie stammen.
Hörtler: Die Landsmannschaften und die Heimatortsvereinigungen haben sich als sehr langlebig erwiesen. Aus Patenschaften bestimmter Ankunftsortschaften für die Sudetendeutschen sind Städtepartnerschaften geworden. Initiatoren und Motoren dieser Partnerschaften waren die Sudetendeutschen. Es sind Gruppierungen, die an unseren östlichen Nachbarländern besonderes Interesse haben, sich zivilgesellschaftlich, kulturell und sozial in Tschechien engagieren, etwa bei einzelnen Kirchen- oder Denkmalrenovierungen, beim Schüleraustausch, bei der Kooperation kirchlicher Gruppen, Feuerwehren etc. Die Sudetendeutsche Zeitung hat einen politischen Korrespondenten und mehrere Mitarbeiter in Tschechien. Wir haben einen schärferen Blick auf die Vorgänge und Entwicklungen in Tschechien als andere. Und wir sind heute die Fachorganisation bei allen Fragen rund um das Thema Tschechien.
Hörtler: Es ist das letzte große Museum einer Vertriebenengruppe - einer Gruppe, die Bayern wirtschaftlich und gesellschaftlich mit modernisiert und zu einem Musterland gemacht hat. Es ist ein modernes Museum mit einer avantgardistischen Architektur und zeitgemäßen Präsentation. Es wird das jahrhundertelange gute Zusammenleben zweier Sprachgruppen innerhalb des Böhmischen Königreiches dokumentiert, aber auch die Gründe für das Ende und Zerwürfnis. Es soll Wunden heilen, aber auch von einer mit Deutschland eng verbundenen Geschichte und gemeinsamen Kulturleistungen zeugen.
Hörtler: Die Eliten bedauern das Ende eines „Vielvölkerstaates“, in dem es gegenseitigen Handel und Wandel, Mehrsprachigkeit, kulturelle Konkurrenz und Befruchtung gab. In der Zwischenkriegszeit war die Tschechoslowakei eines der reichsten und am besten aufgestellten Länder Europas. Die Deutschen, die überwiegend in den Randgebieten siedelten, waren Pioniere der Industrialisierung und des Fortschritts. Heute ist Tschechien wirtschaftlich so verzahnt mit Deutschland, dass es fast als Bundesland gesehen werden kann. Der Handel mit Tschechien ist größer als der mit Russland.
Hörtler: Versöhnung ist ein individuelles Handeln, das individuelle Schuld voraussetzt. Individuelle Schuld hat die heutige Generation nicht auf sich geladen. Aber Verständigung, Begegnung, Kennenlernen, Verstehen usw. ist uns in unserer täglichen Arbeit unser genuines und sicher nie abgeschlossenes Anliegen.
Steffen Hörtler
www.heiligenhof.de
www.sudetendeutsches-museum.de
Ist das so?
Diese "individuelle Schuld" haben wohl nur wir Deutschen auf uns geladen. Darum wirft man stets mit der Nazikeule nach uns und erinnert an die Schuld für die wir, die Generationen lange nach dem Krieg, nichts können.