Suchscheinwerfer am Himmel, Fliegeralarm mit schrillem Sirenenton, im Luftschutzkeller ausharren, bis Entwarnung kam, all das waren wir sechsjährigen Kinder gewöhnt. Abends wachte der Luftschutzwart darüber, dass kein Lichtschimmer aus den Häusern drang, die Städte waren in Düsternis gehüllt. Weihnachten 1944 stand vor der Tür. Unser Vater war in Russland vermisst, unsere Mutter verstorben. Die Last der Verantwortung für mich und meinen Bruder trug unsere Großmutter.
Ein unbeschwertes Weihnachten für die Kinder, ein trostloses für die Großmutter
Wir Kinder sollten ein unbeschwertes, fröhliches Weihnachtsfest feiern können, wie zu Friedenszeiten. Unsere Großmutter holte die alte Puppenküche, das von unseren Eltern gebastelte Puppenhaus und Pferd und Wagen aus der Kindheit unseres Vaters (heute im Museum Obere Saline ausgestellt) vom Dachboden und gestaltete liebevoll das Weihnachtszimmer für uns.
Für unsere Großmutter selbst war es ein trauriges, trostloses Weihnachtsfest. Doch dann gab es auch für sie eine freudige Weihnachtsüberraschung. Am Morgen des 1. Feiertages klingelte es an der Haustür. Ein Schulfreund unseres Vaters machte einen Besuch, um sich zu erkundigen, ob sie eine Nachricht aus Russland von unserem Vater erhalten hätte. Nein, ein Lebenszeichen von unserem Vater gab es nicht.
Wir Kinder spielten im Nebenzimmer. Als sich der Besucher verabschiedet hatte, zeigten wir unserer Großmutter stolz mehrere Geldscheine, die wir in den Händen hielten. Oma erschrak, sie glaubte, wir hätten diese aus der Tasche des an der Garderobe hängenden Mantels des Besuchers stibitzt.
Voller Sorge rief sie ihn an und erhielt die Auskunft, er hätte nichts zum Mitbringen für die "armen Würmle" gehabt und sie solle das Geld, das er uns in die Händchen gegeben hatte, für uns verwenden. In den Aufzeichnungen meiner Großmutter für ihren Sohn schreibt sie: "Ist das nicht rührend gut gemeint? Solche Freunde hast du. Es tut wirklich wohl, so etwas zu erleben."
Wir haben von unserem Vater niemals mehr ein Lebenszeichen erhalten.
Text: Hilla Schütze
Foto: Isolde Krapf / Montage: Anne Schmidhuber
Hilla Schütze (85) ist Sammlungsstifterin Museum Spielzeugwelt Obere Saline Bad Kissingen.
In der Kolumne "Kissinger Adventskalender" schreiben Menschen aus dem Landkreis Bad Kissingen Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.