
Meine niederbayerische Mutter sagte immer im Advent: "Des hoast de stade Zeit, weil da alle unterwegs auf Weihnachtsfeiern, Christkindlmärkten etc. san und koaner dahoam is. Drum is dahoam de stade Zeit."
Der 24. selbst startete für mich traditionell mit dem Kochen von vier Kannen Kaffee und dem Durchspülen von 100 Tassen für den CSU-Glühweinstand am Marktplatz. Dort angekommen war für mich das Schönste, sämtliche Freunde zu treffen, die noch die letzten Erledigungen für das Fest machen. Es war auch nie ganz ausgeschlossen, meinen Ehemann Jürgen noch hektisch von Geschäft zu Geschäft eilen zu sehen, um noch eine Kleinigkeit für mich zu besorgen, weil er dem "Wir schenken uns dieses Jahr nichts" wie immer nicht traute.
Mittags daheim angekommen, diskutierten Ehemann, Töchter und Schwiegermutter über die Gestaltung des Christbaums. Rot? Silber? LED oder echte Kerzen? Die jeweilige Argumentation der verschiedenen Lager variierte wie gewohnt kaum zum Vorjahr. Krise abgewandt! Wegen durch Hund verursachten Schwunds bei der Ausstattung musste eh gemischt werden.
Während sich alle wieder friedlich vereint den gekauften Plätzchen hingaben – keiner meiner Backversuche ist je geglückt – widmete ich mich dem Abendessen. So uneinig sich alle beim Baumschmuck waren, so einig waren sie sich, dass nichts verändert wird. Also gab es wie jedes Jahr Sauerkraut, Bratwürste und Kartoffelbrei.
Das Essen war fertig, die Geschenke verpackt und die Schwiegermutter leicht beschwipst. Da konnte doch nichts schiefgehen. Der über die Jahre fast schon einstudierte Ablauf konnte starten. Erst wurde gegessen, so wollte es mein Mann. Dann wurden die Kinder nach oben geschickt, damit das "Christkind" die Geschenke unter dem Baum drapieren konnte. Die Schwiegermutter wurde mit Glühwein versorgt und platziert.
Kerzen an, Licht aus, Christkind alias mein Mann ließ Glöckchen klingeln, Kinder kamen, dem Christkind wurde am Balkon nachgewunken. Der musikalische Teil unserer Familie, bestehend aus meinem Mann, beharrte darauf, diesem Anblick aus wild geschmücktem Baum und den darunter liegenden Geschenken mit "Stille Nacht" den nötigen Respekt zu erweisen. Als wäre die Geduld der Kinder nicht schon genug auf die Folter gespannt worden. Ihm zuliebe wurde dennoch inbrünstig die erste Strophe geträllert. Das Auspacken begann, der Hund apportierte die erste Christbaumkugel und mein Mann und ich tauschten wie jedes Jahr unsere "Wir schenken uns Nichts" aus.
So viel zur "staden Zeit" daheim. Obwohl die Kinder inzwischen zwei erwachsene Frauen sind, wird vieles bis heute bei uns fortgeführt. Allerdings ohne Schwiegermutter und ohne Jürgen. Vielleicht aber gerade deswegen, zu ihrem Gedenken.
Text: Brigitte Meyerdierks
Foto: Steffen Standke / Montage: Marina Burger
Brigitte Meyerdierks (70) ist stellvertretende Landrätin und war von 2010 bis 2020 Bürgermeisterin in Bad Brückenau.
In der Kolumne "Kissinger Adventskalender" schreiben Menschen aus dem Landkreis Bad Kissingen Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.