
Wenn sich prominente Gäste bei einer Festivaleröffnung ungeniert mit einer Eiswaffel in der Hand ablichten lassen, hat dies wohl einen Grund. Im Fall des 37. Kissinger Sommers zeigt es, dass das Motto aufgegangen zu sein scheint: La Dolce Vita. Zugegeben, in Bad Kissingen fällt es leicht, eine gedankliche Verbindung zu einem italienischen Kurzurlaub zu schlagen. Während im Regentenbau die Prominenz neben Stammpublikum und Kurgästen zum Festival strömt, sorgt der Eisverkauf samt Straßenmusik nebenan ebenfalls für den passenden Rahmen an diesem Eröffnungsabend.
Ein cleverer musikalischer Schachzug von Intendant Alexander Steinbeis. So ist "La Dolce Vita" in vielen Köpfen verankert und wird ebenso individuell interpretiert. Wirft man einen Blick ins Programm, zeichnet dies ein ähnliches Bild. Von der bunten Antipastiplatte über die allseits beliebten italienischen Klassiker bis zum kostbaren Rotwein ist im übertragenen Sinn alles dabei. Der Eröffnungsabend mit einer italienischen Operngala am Freitag im Max-Littmann-Saal des Regentenbaus gab den festlichen Startschuss und zeigte die breite Vielfalt italienischer Opernkomposition.
Was Verdi, Puccini und Rossini eint? Nicht nur die italienische Herkunft, sondern auch die Vorliebe zum Kuraufenthalt. Zwar hat nur Rossini diesen 1856 in Bad Kissingen genossen, dennoch nimmt Intendant Alexander Steinbeis die Aufnahme Bad Kissingens als Unesco-Welterbe im Verbund der "Great Spa Towns of Europe" und die partnerstadtliche Verbindung ins toskanische Massa als Anlass, die große Brücke von Bad Kissingen in den Süden als Sehnsuchtsort der Deutschen zu schlagen.
Vincenzo Milletarì und das Orchestra Sinfonica di Milano schaffen authentisch italienische Feststimmung
Eifrig habe sie im Programmheft interessante Konzerte angekreuzt, so die Vorsitzende des Festival-Kuratoriums, Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär, in ihrer Eröffnungsrede in der, wie sie sagt, "nördlichsten Stadt Italiens". Dirigent Vincenzo Milletarì und das Orchestra Sinfonica di Milano schaffen dann authentisch-charmante italienische Feststimmung mit Ouvertüren, Arien und Duetten der Meister Rossini, Bellini, Puccini, Leoncavallo und Verdi sowie Tschaikowsky, der mit der Ouvertüre zu "Romeo und Julia" ebenfalls seinen Platz hat.

Tenor Freddie De Tommaso erweist sich als Publikumsliebling neben Sopranistin Carmela Remigio, die auf der Bühne den Eindruck einer in sich ruhenden Gesangskünstlerin macht und die so schnell nichts aus der italienischen Gelassenheit bringt. Angeschmiegt an die britisch-italienische Brust des Tenors erinnert sie in sommerlichem Blau an das Meer der Amalfiküste, während die beiden sich sehnsuchtsvoll in die Ferne blickend vom Publikum abwenden und dieses in die Pause und später auch den sommerlichen Nachhauseweg verabschieden.
De Tommaso glänzt auch in Bad Kissingen wie 2021 in London am Royal Opera House, wo er spontan einsprang
Doch zuvor lässt Remigio in schwarzer Spitze und mit dem "Ave Maria" aus Verdis "Otello" eine madonnenähnliche Figur entstehen, die zusammen mit der Harfe im sanften Pianissimo das Publikum dazu zwingt, die Luft anzuhalten. De Tommaso glänzt auch in Bad Kissingen wie 2021 in London am Royal Opera House, wo er spontan einsprang und über Nacht zum Start wurde, in der Rolle des Cavaradossi aus Puccinis "Tosca". Auch das Bad Kissinger Festivalpublikum lässt er die Leichtigkeit in weiten, großen musikalischen Bögen spüren und mit ihnen in "Tosca"-nische Wellen eintauchen.
Das Publikum, das die Zugaben voll auskostet, wird mit dem Eindruck einer sichtlich gelösten großen Bühnen-"Famiglia" belohnt und auf die kommenden Festivalwochen eingestimmt. Wer am italienischen Lebensgefühl teilhaben möchte, findet bis zum 16. Juli in verschiedensten Formaten dazu Gelegenheit.