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Bad Kissingen
„Opa, ich habe eine Frau totgefahren“: Rentner aus Garitz erzählt, wie er Opfer des Enkeltricks wurde
Am Mittwoch wurde ein 81-jähriger Mann aus dem Stadtteil Garitz Opfer des sogenannten Enkeltricks. Hier erzählt er die ganze Geschichte - ein Drama mit perfiden Methoden und irren Wendungen.
Enkeltrick       -  332 Fälle mit einem Gesamtschaden von 2,6 Millionen Euro gab es 2023 in Unterfranken.
Foto: Symbolbild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa | 332 Fälle mit einem Gesamtschaden von 2,6 Millionen Euro gab es 2023 in Unterfranken.
Rüdiger Schwenkert
 |  aktualisiert: 01.02.2025 02:34 Uhr

Das Mädchen am anderen Ende der Leitung weint herzzerreißend und schreit: „Opa, ich habe eine Frau totgefahren!“ Dem 81-Jährigen fährt der Schock durch Mark und Bein. Der Anruf hat ihn unsanft aus seinem Mittagsschlaf gerissen. Und die Jugendliche schluchzt immer wieder die schreckliche Nachricht ins Telefon: „Opa, ich habe eine Frau totgefahren.“

Der Rentner ist verzweifelt: Seine Enkelin soll für den Tod eines Menschen verantwortlich sein? Das kann nicht sein, das darf nicht sein!

40 Tage Untersuchungshaft drohen

„Um Gottes willen, was ist denn genau passiert?“, fragt er. Doch der Teenager antwortet nicht. Jetzt ist ein Mann am Telefon. Er stellt sich als „Oberkommissar Schröder“ vor und bestätigt den fürchterlichen Sachverhalt. Vor dem Amtsgericht in Bad Kissingen sei der Unfall mit Todesfolge passiert. „Aber sie ist doch erst 17, macht gerade den Führerschein“, antwortet der Senior. Vielleicht ist das einfach nur ein Missverständnis, hofft er. Sie habe während einer Fahrstunde ihr Handy benutzt, erwidert der „Oberkommissar“. Ein schweres Vergehen, das eine 40-tägige Untersuchungshaft erfordert.

Das Polizeipräsidium Unterfranken klärt im Internet und mit Plakaten auf.
Foto: Polizei Unterfranken | Das Polizeipräsidium Unterfranken klärt im Internet und mit Plakaten auf.

Bleiben Sie am Telefon!

Dann muss der angebliche Kripobeamte in eine Besprechung. Der Senior solle aber in der Zwischenzeit auf jeden Fall am Telefon bleiben und nicht auflegen. Über zwei Stunden halten die Trickbetrüger den Rentner am Telefon. Er muss immer wieder längere Zeit warten, darf aber laut ihren Anweisungen auf keinen Fall auflegen.

Es gibt nichts Schlimmeres, denkt der Rentner . Aber da täuscht er sich. Es wird noch viel schlimmer. „Die ärztliche Untersuchung hat ergeben, dass die Frau schwanger war. Es sind jetzt also zwei Tote“, sagt "Oberkommissar Schröder", der anschließend in eine weitere Besprechung muss.

Dann ist wieder die angebliche Enkelin am Telefon: „Opa, bitte hilf mir!“, weint sie. Ihre Eltern seien bei der Unfallaufnahme vor dem Amtsgericht. Deshalb rufe sie ihn an. Dann ist es wieder still.

"Notarzt wurde gerufen"

Nach 20 Minuten hört der fassungslose Rentner wieder die Männerstimme. Das Mädchen habe sich übergeben und sei zusammen gebrochen. Ein Notarzt sei gerade bei ihr. Bitte warten und auf keinen Fall auflegen!

Er habe inzwischen mit der Staatsanwaltschaft gesprochen, verkündet er 15 Minuten später. Die Zahlung einer Kaution könnte der Enkelin das Gefängnis ersparen.

Das Geld müsse aber unbedingt noch vor Feierabend um 16.30 Uhr im Amtsgericht Bad Kissingen bei „ Frau Grün“ eingezahlt werden, sonst sei die Haft unausweichlich.

Mit der Kampagne 'Chill mal, Oma!' setzt das Polizeipräsidium Unterfranken auf die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern.
Foto: Polizei Unterfranken | Mit der Kampagne "Chill mal, Oma!" setzt das Polizeipräsidium Unterfranken auf die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern.

Bank mittwochs geschlossen

Der „Oberkommissar“ ist gut informiert und weiß, dass die Filiale der Sparkasse in Garitz am Mittwochnachmittag geschlossen hat. Bargeld kann der Opa des Mädchens also nicht abheben. Ob er Wertsachen im Haus hat, wird der 81-Jährige gefragt.

Die hat er tatsächlich. Er bietet dem „Kriminaler“ Gold im Wert einer höheren fünfstelligen Summe an. Das sei eigentlich zu wenig, würde aber notfalls genügen, lautet die Antwort.

Der Garitzer ist mit den Nerven fix und fertig. Als er das Gold aus seinem Versteck holen will, fällt er von einem Stuhl. Warum das so lange gedauert habe, wird er gefragt. „Ich bin vom Stuhl gefallen“, antwortet er.

"Frau Grün" unterschreibt Beleg

„Dann holt Frau Grün das Gold eben um 16.30 Uhr bei ihnen ab“, sagt der Betrüger . Der Senior soll bis dahin einen Beleg ausstellen, den „ Frau Grün“ unterschreiben werde.

Damit könne das hinterlegte Gold nach vier Wochen beim Amtsgericht wieder abgeholt werden. Und mit einer unfassbaren Dreistigkeit fügt er hinzu: „Schließlich muss ja alles seine Ordnung haben.“

„ Frau Grün“ unterschreibt die Quittung tatsächlich, als der Garitzer ihr das Gold gegen 16.30 Uhr vor seiner Haustür übergibt. Die angebliche Mitarbeiterin des Amtsgerichts geht mit ihrer Beute zu Fuß davon. Sie hat mir der linken Hand unterschrieben, fällt dem Rentner auf.

Polizei schnell vor Ort

Das ist eine wichtige Information. Denn nachdem er seinem Sohn am Telefon von dem Vorfall berichtet hat, rufen sie die Polizei an. Innerhalb kurzer Zeit sind zwei Streifenwagen und die Kriminalpolizei Schweinfurt vor Ort. Sie nehmen die Aussage auf und suchen Hinweise. Hat vielleicht eine Überwachungskamera aus der Nachbarschaft die Übergabe gefilmt?

Vater und Sohn loben die professionelle Arbeit der Polizei . „Sie waren sehr einfühlsam und menschlich“, sagt der Betrogene zwei Tage später. Die Kripo hat sich für den Nachmittag angekündigt, um ihm Fotos von Verdächtigen zu zeigen.

"Ich bin gut informiert"

Große Hoffnung, sein Gold jemals wieder zu sehen, hat der 81-Jährige nicht: „Das ist längst eingeschmolzen.“ Fast noch schlimmer als der finanzielle Verlust ist für den Rentner , dass gerade er Opfer des Enkeltricks wurde. „Ich bin sehr gut informiert und habe mich immer wieder gefragt, wie Menschen darauf reinfallen können“, meint er.

Aber es ist ihm doch passiert. Die Statistik des Polizeipräsidiums Unterfranken weist für das vergangene Jahr 332 vollendete Fälle sogenannten Callcenter-Betrugs aus. Darunter werden unter anderem der Enkeltrick und falsche Polizeianrufe gezählt. Der Gesamtschaden der 332 Fälle in Unterfranken lag bei 2,6 Millionen Euro.

Drahtzieher im Ausland

Die Verfolgung dieser Straftaten ist schwierig. Die Verbrecher sind bestens organisiert und rufen von Callcentern aus der ganzen Welt an, vorrangig aus osteuropäischen Ländern und der Türkei. Wenn es doch einmal Festnahmen gibt, dann erwischt die Kripo meist nur die Abholer, also die kleinen Fische, berichtet Florian Leimbach, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken. Die Drahtzieher im Ausland kommen fast immer ungeschoren davon.

Deshalb sei es wichtig, ältere Menschen aufzuklären, meint der Polizeihauptmeister. Und weiter: „Einfach auflegen und den Notruf 110 oder die örtliche Polizei anrufen.“ Ob wirklich etwas passiert ist, weiß man dort aus erster Hand.

Aufklärung im Internet

Mit zahlreichen Aktionen versucht die Polizei , die Altersgruppe über 65 Jahren aufzuklären und setzt dabei auch auf die Mithilfe von Kindern und Enkeln.

So gibt die Präventionskampagne „Leg auf“  viele Tipps, wie sich ältere Leute vor den fiesen Tricks der Betrüger schützen können. An junge Menschen wendet sich die Aktionen „ Ich schütze Oma & Opa“ und „Chill mal, Oma!“ .

Quittung mit Aktenzeichen

Dem betrogenen Rentner aus Garitz hilft das nicht mehr. Sein Gold ist vermutlich für immer weg. Auf seinem Beleg, den „ Frau Grün“ unterschrieben hat, musste er auf Anweisung des „Oberkommissars“ auch ein Aktenzeichen eintragen, damit er sein Gold nach vier Wochen beim Amtsgericht Bad Kissingen abholen kann. Sie lautet: IDG / 1997 5597 2332 0000 17955.

 
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