Es sind nur 200 Meter. Lächerliche 200 Meter. Unüberwindbare 200 Meter. Wäre der selbstgebaute Heißluftballon der Familien Strelzyk und Wetzel im Juni 1979 fünf Minuten länger geflogen; die Flucht aus der DDR wäre gelungen. Doch das Gefährt sackte 200 Meter vor der Grenze ab. Zurück ging es ohne Ballon. 15 Kilometer zu Fuß, immer in Angst, entdeckt zu werden. Für Frank Riedmann, damals 15-jähriger Strelzyk-Spross, einer der bewegendsten Momente seiner erst im zweiten Versuch geglückten Fluchtgeschichte. Und für den heute 54-jährigen und in Münnerstädter Stadtteil Burghausen (Lkr. Bad Kissingen) lebenden Riedmann ein Höhepunkt im „Ballon“-Film, den Michael „Bully“ Herbig an diesem Donnerstag in die Kinos bringt.
Die Flucht war ein Medienspektakel
Wenn man so will, ist Frank Riedmann seit seiner Kindheit ein Star. Denn gleich, nachdem die Flucht im zweiten Versuch mit einem neuen Ballon am 16. September 1979 gelingt, stürzen sich die westlichen Medien auf die DDR-Bürger. 28 Minuten brauchten die vier Erwachsenen und vier Kinder für ihre Flucht vom thüringischen Startplatz bei Pößneck bis nach Naila in Oberfranken; in den Tagen danach folgt eine Medienanfrage nach der anderen. Für den „Stern“ blasen sie den aus bunten Stoffbahnen genähten Ballon – immerhin 28 Meter hoch und 20 Meter breit – noch einmal auf. Wenig später, am 27. September 1979, ziert er den Titel des Nachrichtenmagazins – inklusive großer Geschichte im Innenteil.
1982 bringt der amerikanische Weltkonzern Disney die Flucht unter dem Titel „Mit dem Wind nach Westen“ in die Kinos. Nun hat Bully Herbig sie neu verfilmt – als Thriller und ersten ernsthaften Streifen seiner Karriere, wie es heißt.
Riedmann findet den Film super
Frank Riedmann hat den Film bereits zwei Mal gesehen: zuerst vor ein paar Wochen in einer fast fertigen Fassung – privat gemeinsam mit dem sehr kumpelhaften Herbig. Und zuletzt bei der offiziellen Premiere mit den Schauspielern in München. „Der Film ist echt super. Er ist komplett ein Thriller und sehr spannungsgeladen“, sagt der Mann, der im Münnerstadter Stadtteil Burghausen lebt. Und das vor allem deswegen, weil „Ballon“ auf Quellen zurückgreift, über die der Disney-Film von 1982 nicht verfügte: die Stasiakten der beiden Familien.
Denn, wie Riedmann auch bei Vorträgen oft erzählte, hat die Stasi einen ehemaligen Freund der Familie „umgedreht“ und auf sie angesetzt. Ahnungslos hat der Vater den vermeintlichen Freund in seinem kleinen inzwischen in Bad Kissingen eröffneten Elektrobetrieb beschäftigt. Doch der hat auf Geheiß des Geheimdienstes fast den Ruin herbeigeführt. Das allerdings hat er erst nach dem Mauerfall bei der Durchsicht der über sie angefertigten Akten erfahren. Frank Riedmann selbst heiratete 1985 und nahm den Nachnamen seiner Frau an – in der Hoffnung, das die Stasi ihn nicht findet. Ein Trugschluss – wie die Akten ebenfalls zeigten.
Die Stasi war der Familie auf der Spur
Sie belegen eindrucksvoll, wie dicht der Geheimdienst der DDR ihnen auf der Spur war – und wie sehr ihre Flucht am seidenen Faden hing. Denn nach dem ersten Versuch ließen sie nicht nur den Ballon zurück; Riedmanns Mutter Doris Strelzyk verlor ihre verschreibungspflichtigen Tabletten.
Die Staatssicherheit schaute nicht nur, wer in der Republik außergewöhnlich große Mengen Stoff und Propangasflaschen kaufte. Die Apotheker wurden angewiesen, sofort zu melden, wer sich dieses bestimmte Medikament beschaffte. „Über den Namen hätten sie uns über kurz oder lang erwischt“, ist Riedmann sich sicher.
Münnerstädter durchlebt „alles noch mal“
Dazu kam es nicht, wie die Geschichte zeigt. Doch der 54-Jährige hält eben diese Hatz zwischen Geheimdienst und Fluchtwilligen im Film für besonders eindrucksvoll. Genauso wie die Startsequenz. Die zeigt ihn wenige Wochen vor der Flucht bei seiner Jugendweihe – einer Art staatlich verordneter Aufnahme Jugendlicher in den Kreis der Erwachsenen. „Da wusste ich schon, dass wir vorhaben, die DDR zu verlassen“, erinnert er sich. Das bringe die Szene gut rüber. „Ich habe alles noch einmal durchlebt, wie es vor 40 Jahren war.“
Zufrieden ist Riedmann auch mit Jonas Holdenrieder – „seinem“ Schauspieler. „Er hat so gut gespielt; ich habe mich komplett selbst erkannt.“ Das gleiche gelte für die anderen Darsteller.
Vater Peter Strelzyk starb 2017
Dabei war Riedmann anfangs skeptisch, als er hörte, dass Herbig den Stoff neu verfilmen will. Er war auch zunächst nicht beratend tätig. Das übernahmen vor allem die Väter und Hauptorganisatoren Peter Strelzyk und Günter Wetzel. Doch der Dreh war nach Riedmanns Angaben noch nicht begonnen, da starb sein Vater am 11. März 2017. Also schlüpfte er in dessen Rolle als Berater für die Dreharbeiten, die im September vergangenen Jahres begannen. Meistens lief das zwischen ihm und dem Produktionsteam telefonisch ab. „Da ging es zum Beispiel darum, welches Auto in welcher Farbe wir gefahren haben.“ Nach Ansicht Riedmanns hat Regisseur Herbig sehr auf DDR-typische Details geachtet. Er ist sehr dankbar, einbezogen worden zu sein. „Theoretisch hätte Bully das auch ohne unser Einverständnis machen können.“
Würde er sich den „Ballon“-Film noch ein drittes Mal ansehen? Ein klares „Ja, warum nicht.“ Die nächste Gelegenheit bietet sich am 3. Oktober in Rheinland-Pfalz. Dort wird mit „Ballon“ ein Kino eröffnet. Riedmann und Frau Andrea sind zur Fragestunde über Flucht und Film eingeladen.
„Ballon“ läuft hier an: Filmwelt Schweinfurt, Cinemaxx Würzburg, Stadtsaal Lichtspiele Bad Königshofen, Movie Marktheidenfeld, Universum Bad Kissingen, Cineworld im Mainfrankenpark.