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BAD KISSINGEN
Lange Geschichte, kurzer Prozess
Isolde Krapf
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:33 Uhr

 Drei Tage sollte der Prozess dauern. Dann war plötzlich am zweiten Verhandlungstag Schluss. Das Verfahren gegen den Leiter einer Wohngemeinschaft (WG) für Intensivpflege wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen wurde am Donnerstag vorläufig eingestellt. „Endgültig“ ist der Beschluss erst dann, wenn der Angeklagte die Geldauflage von 5000 Euro an die Lebenshilfe überwiesen hat.

Angehörige führten Beschwerde

  Die Vorgänge, die vor Gericht zitiert wurden, datieren aus 2015 .  Angehörige hatten öffentlich kundgetan, dass sich der Allgemeinzustand ihrer Verwandten bereits wenige Tage nach Verlegung in die WG verschlechterte. Unter anderem hieß es, Patienten seien mangelhaft versorgt worden, der Notarzt sei nicht sofort gerufen worden. Pflegekräfte hatten diese Beschwerden gestützt.

Erinnerung wird schwächer

Nachdem der für August 2017 erstmals terminierte Prozess aus formellen Gründen abgesagt wurde, mussten die 15 Zeugen jetzt erneut vorgeladen werden. Am ersten Verhandlungstag ließ der Beschuldigte durch seinen Anwalt erklären, dass er sich nie geweigert habe, im Akutfall den Notarzt zu rufen. Vielmehr habe er seinen Pflegekräften gesagt, dass er stets informiert werden wolle, wenn etwas vorfällt. Fünf Zeugen traten am 30. November in den Zeugenstand. Bereits zum Prozessauftakt wurde klar, dass es für etliche Beteiligte schwierig werden würde, sich an Details aus 2015 zu erinnern.

Notarzt gerufen

Auch am zweiten Verhandlungstag wurden bei den Befragten Erinnerungslücken deutlich. So hatte beispielsweise eine Pflegekraft der WG, wie sie vor Gericht aussagte, selbsttätig einen Notarzt herbeigerufen, als es ihrem Ermessen nach einem der beatmeten Patienten kreislaufmäßig sehr schlecht gegangen sei. Und das, obwohl ihr der Chef zuvor telefonisch verboten habe, einen Arzt hinzuzuziehen und ihr geraten habe, dem Patienten lieber Koffein einzugeben.

Diesen Sachverhalt konnte ein Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), der sich am selben Tag in der Einrichtung befand, zwar im Gerichtssaal bestätigen. Ob die Krankenschwester zuerst mit ihrem Chef telefoniert oder erst den Notarzt gerufen hatte, daran erinnerte sich der MDK-Mitarbeiter aber nicht.

Verteidiger vermutet "Stimmungsmache"

Die Schwester eines weiteren WG-Patienten schilderte vor Gericht Ähnliches: Ihrem Bruder sei es nach einem akuten Fieberschub plötzlich schlecht gegangen. Eine Pflegekraft habe beim WG-Leiter angefragt, ob der Notarzt kommen soll. Dieser habe geantwortet, dass man abwarten solle. Ihr Bruder sei dann doch in ein Krankenhaus gekommen und werde jetzt in einer anderen Intensivpflege-WG sehr gut versorgt.

Der Verteidiger nannte die Aussage der Frau „unergiebig“ und fand, dass „hier Stimmung gemacht“ werde.

Geladen war am Donnerstag auch ein Mediziner, der über den Gesundheitszustand eines akut aus der Intensivpflege-WG in ein Thoraxzentrum im Landkreis eingelieferten Patienten berichten sollte. Seinem Ermessen nach sei der Notfall gerechtfertigt gewesen, sagte er vor Gericht. Ansonsten hätte sich das Befinden des beatmeten Patienten aufgrund großer Schleimansammlung in den Atemwegen akut verschlimmern können, so der Oberarzt weiter.

Begehung der Heimaufsicht

Interessant war die klare Aussage des damaligen Mitarbeiters der Kreis-Heimaufsicht: Nachdem Angehörige von Patienten 2015 Beschwerde eingereicht hatten, habe man eine Heim-Begehung gemacht. „Mehreres missfiel uns damals“, sagte der einstige Mitarbeiter. Im Oktober 2015 habe die Heimaufsicht dem WG-Leiter nahegelegt, sich aus der Einrichtung zu verabschieden.

Dann trat die bereits erwähnte Pflegekraft in den Zeugenstand, die in einem akuten Notfall einmal den Notarzt in die WG gerufen hatte, und zwar, wie sie sagte, gegen den Willen ihres Chefs. Sie schilderte, dass sie bei der Pflegeleitung wegen ihrer kritischen Haltung nicht gut angesehen gewesen sei.

Wichtiges und Unwichtiges

Daraufhin brachten Richter und Verteidiger plötzlich ins Spiel, dass sie eine private Liebesbeziehung mit dem Angeklagten gehabt haben soll und prüften ihre Erinnerungsfähigkeit. Wann dieser „One-night-stand“ (Richter) stattfand, daran konnte sich die Zeugin aber nicht erinnern. Es wurden dann von Staatsanwalt, Richter und Verteidiger einige wichtige und zahlreiche unwichtige Fragen gestellt, durch die sich die Zeugin ganz offensichtlich immer mehr in die Enge getrieben fühlte. Ihre Erinnerung an einzelne Ereignisse wurde immer lückenhafter.

Verfahren eingestellt

Schließlich führte der Verteidiger ins Feld, dass sie Beruhigungsmittel nehme und diese wohl auch an jenem Tag genommen habe, als es besagtem WG-Patienten schlecht gegangen sei. Der Rechtsanwalt ging sogar soweit, der Zeugin zu unterstellen, sie habe dem Patienten unter Einfluss von Beruhigungsmitteln vielleicht eine Doppel-Medikation verabreicht, weshalb es dem Mann massiv schlechter gegangen sei.

Nach einer kurzen Beratung kamen Gericht und Verteidigung später überein, dass dem Angeklagten der zur Last gelegte Tatbestand nicht nachweisbar sei und das Verfahren eingestellt werden könne.

 
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