Angehörige verschiedener Patienten sowie Pflegekräfte einer Wohngemeinschaft (WG) für Intensivpflege im Landkreis Bad Kissingen haben jetzt bei der Polizei Anzeige erstattet. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen die Geschäftsführung der Pflegeeinrichtung. WG-Geschäftsführer Andreas F. (alle Namen von der Redaktion geändert) weist diese jedoch zurück. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt hat nun Ermittlungen wegen unterlassener Hilfeleistung und Misshandlung von Schutzbedürftigen eingeleitet.
Mit dem Satz „Wir sind eine große Familie, bei uns wird der Patient integriert“, habe der WG-Chef geworben, als die Kleins für ihr Familienmitglied seinerzeit einen Intensivpflegeplatz suchten, erzählt eine Angehörige. Innerhalb von zehn Tagen in der WG habe sich der Allgemeinzustand des 62-Jährigen zunehmend verschlechtert. Zum Beispiel sei die Mundhygiene mangelhaft gewesen, der Patient habe Druckgeschwüre an Ferse und Ohrmuscheln entwickelt, die Magensonde sei nicht steril abgeklebt worden, so die Angehörige.
Schließlich habe sich der 62-Jährige nach zehn Tagen an einem Wochenende in einem „desolaten Zustand“ befunden, so die Frau weiter. Die diensthabende Krankenschwester habe am Montagmorgen sofort die ihrer Ansicht nach schlechte Verfassung des Patienten erkannt und – gegen den Willen des Geschäftsführers – einen Notarzt gerufen. Der Patient „kam umgehend ins Krankenhaus“, sagt die Frau und ist sicher: „Beinahe wäre er gestorben.“
Krankenschwester Irene F. hatte sich nicht nur an jenem Montag über die Anweisung ihres Chefs hinweggesetzt, wie sie erzählt. Des Öfteren schon habe sie sich in der Vergangenheit mit dem WG-Leiter „angelegt“, weil er in Sachen Pflege andere Ansichten hatte. Nachdem der WG-Leiter ihr nach diesem Vorfall schwere Vorhaltungen gemacht und ihr gesagt habe, sie habe „rein gar nichts“ zu entscheiden, kündigte sie.
Ihre Kollegin Sabine R. (Name geändert) erzählt schließlich von dem knapp zweijährigen Mädchen, dessen Zustand sich innerhalb kurzer Zeit in der WG verschlechtert habe. Die Eltern hätten das Kind dann relativ akut aus der Einrichtung mitgenommen und in eine Kinderspezialklinik eingeliefert. Auch Sabine R. hat ihren Dienst in der WG quittiert. Zusammen mit den Angehörigen von drei Patienten und einer Kollegin machte sie bei der Polizei eine Aussage zu den Vorfällen.
Die Anzeige ging am 4. September ein, bestätigt das Polizeipräsidium Unterfranken in Würzburg. Die Ermittlungen werden von der Kriminalpolizei Schweinfurt geführt. Nun müssten Zeugen vernommen, Beschuldigte gehört werden, sagt Leitende Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein (Schweinfurt) auf Anfrage.
Nach Angaben der Heimaufsicht wurde die Wohngemeinschaft am 6. August 2015 im Landratsamt „angezeigt“. Genehmigt werden muss eine Einrichtung dieser Art nämlich nicht, heißt es weiter. Bei einer behördlichen Besichtigung am 17. August seien „verschiedene Feststellungen“ gemacht worden, die bis 18. Oktober behoben werden sollten, heißt es in einer Pressemitteilung. Als das Amt von „eventuellen Missständen“ erfuhr, sei eine „unangekündigte Begehung“ in der WG durchgeführt worden.
„Der Medizinische Dienst war da und ich habe die Kripo im Haus“, sagt WG-Geschäftsführer Andreas F. am Mittwoch auf Anfrage der Redaktion. Nun werde sich die Sache aufklären, sagt er. Die Vorwürfe der Familie Klein in Bezug auf Pflegemängel in seiner Einrichtung ließen sich seiner Ansicht nach „nicht halten“. Der Patient Klein sei bereits in einem „palliativen Zustand“ gewesen, als er in die WG kam. Es stimme nicht, dass der Mann zuletzt in Lebensgefahr gewesen sei. Im Übrigen habe er selbst veranlasst, dass der Notarzt kommt.