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Bad Kissingen
Kann die Musik die Welt retten? Fesselndes Kissinger-Sommer-Konzert mit hochmotiviertem Stegreif-Orchester
Es geht auch ohne steife Klassik-Rituale: Das Ensemble "Stegreif – The Improvising Symphony Orchestra" mit einem Konzert ganz anderer Art im Max-Littmann-Saal.
Eher ungewöhnlich: 'Stegreif – The Improvising Symphony Orchestra' beim Kissinger Sommer.
Foto: Julia Milberger | Eher ungewöhnlich: "Stegreif – The Improvising Symphony Orchestra" beim Kissinger Sommer.
Angelika Silberbach
 |  aktualisiert: 14.07.2024 02:33 Uhr

Und wieder zieht es magisch das Publikum in Bann: "Stegreif – The Improvising Symphony Orchestra" ist nach zwei Jahren erneut beim Kissinger Sommer zu Gast mit "Symphony of Change – Klänge der Nachhaltigkeit". Bis auf wenige Sitzreihen ist der Max-Littmann-Saal leergeräumt. Eine feststehende und zwei variable mit Schlagwerk bestückte Tribünen verteilen sich im Zuschauerraum.

Ach, möge diese unkonventionelle Art des Musizierens doch nie enden, ist das Resümee nach den letzten lustvollen Zugabe-Klängen, als sich ein Happening-Gefühl ausbreitet.

Doch was für ein Beginn: Untermalt von düsteren Klangclustern zerstört die Cellistin ihr Instrument auf der Bühne. Entfernt die Saiten, dreht die Wirbel ab, zieht Saitenhalter und Stachel raus. Und alle schauen entgeistert zu. Wie bei der momentanen Zerstörung der Erde? Vom Balkon singen acht Sängerinnen einen wunderbaren, sakralen Choral und halten eine mickrige, müde gewordene Grünpflanze wie eine Monstranz empor. Als Sinnbild der darbenden Natur?

Ein mystisches Bühnenstück, das Hörgewohnheiten sprengt und fesselt

In "Symphony of Change" spannt das Stegreif-Orchester den musikalischen Bogen über vier Komponistinnen und Epochen: von Hildegard von Bingen (1098-1179) über Wilhelmine von Bayreuth (1709-1785) und Emilie Mayer (1812-1883) bis hin zu Clara Schumann (1819-1896). Fünf junge weibliche Ensemblemitglieder haben Bingens "Ordo Virtutum", Bayreuths Oper "Argenore", Schumanns Klavierromanze und Mayers 7. Sinfonie rekomponiert, also neu nachgeschaffen.

Wandelkonzert: Musiker und Musikerinnen sind ebenso in Bewegung wie das Publikum.
Foto: Julia Milberger | Wandelkonzert: Musiker und Musikerinnen sind ebenso in Bewegung wie das Publikum.

Herausgekommen ist: ein Klangrausch, eine Fantasie, ein mystisches Bühnenstück, das Hörgewohnheiten sprengt und fesselt. Spielerisch werden klassische Werke mit Improvisationen, Jazz, Rock, Balkanklängen, Geräuschen vermengt, vereinen sich Streicher mit elektrischer Gitarre, Kontrabass mit Kastagnetten, Holz- und Blechbläser – oder brillieren solistisch.

Barfuß sind die meisten Musikerinnen und Musiker unterwegs. Drei Bratschenspieler tragen Röcke. Egal – Kleidung, Ordnung, Hierarchien spielen keine Rolle. Einzig die Musik spielt die erste Geige. Alle spielen auswendig, alle reagieren aufeinander, alle spielen einander zugewandt. Man sieht in ihren Augen, dass sie für die Musik brennen.

Weichen wir den wichtigsten Fragen des Überlebens aus?

Faszinierend, wie unterschiedlich die Klangerlebnisse sind, bei diesem Wandelkonzert, wo weder Orchester noch Publikum einen festen Platz einnehmen. Gebannt lauscht man einem Quartett und bemerkt gar nicht, dass währenddessen alle anderen Akteure ein buntes Tuch über den Kopf geworfen haben.

Verschließen wir alle die Augen, lassen uns ablenken, um uns nicht den elementarsten Fragen des Überlebens für unsere Nachfahren zu stellen? "Mama, kann die Musik die Welt schützen?", fragt eine Kinderstimme. Die Frage bleibt unbeantwortet. Zum Schluss: jubelnder, nicht enden wollender Applaus.

 
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