Während des Ersten Weltkriegs kam sie in Neustadt bei Coburg zur Welt, während des Zweiten Weltkriegs wurde sie in Sennfeld erwachsen. Rosa Stühler führte kein leichtes Leben. Die Leute hatten kaum ein Auskommen und selbst die Kinder mussten daheim mitarbeiten. Nach dem Krieg ging es ihr besser, als sie sich mit ihrem Mann Kurt in Schweinfurt eine neue Existenz aufbaute. Leider starb er bereits 1964. Da hatten beide jedoch schon das Wochenendhaus am Schalksberg in Maßbach gekauft. Dort lebte Rosa Stühler lange alleine, bis die Familie Alberth sie vor acht Jahren zu sich nahm.
Frage: Wie geht es Ihnen denn gerade?
ROSA STÜHLER: Danke, wie immer. Neulich war ich mal krank, hatte Bauchschmerzen. Aber es war zum Glück nichts Ernstes.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
STÜHLER: O je, das weiß ich nicht. Ich hab kein Ziel. Aber ich möchte schon noch ein paar Jahre anhängen, wenn's geht (schaut fragend zu ihrer Betreuerin Christine Alberth hinüber).
Hier bei Familie Alberth kann man sehr gut alt werden, glaube ich. Oder ist die Maßbacher Luft so gut?
STÜHLER: Ja, wahrscheinlich (lacht). Aber es hängt auch mit Christine zusammen. Wenn die nicht wäre, würde es mir nicht so gut gehen. Aber dass ich so alt geworden bin, liegt auch in den Genen, denn meine Großmutter wurde 99 und meine Mutter war 98, als sie starb.
Vergeht die Zeit denn heute noch genauso schnell wie damals, als Sie jung waren?
STÜHLER: Eigentlich schon, denn ich lebe ja mitten in einer Familie. Da ist immer was los. (lacht wieder). Ich hab's gern, wenn was los ist. Wenn Christine einkauft, fahr ich manchmal mit, setz mich im Einkaufsmarkt ins Bistro, trinke einen Kaffee und beobachte die Leute beim Einkaufen.
Spielt der Sinn des Lebens für Sie noch eine Rolle?
STÜHLER: Manchmal denkt man schon, es wäre besser, wenn man weg wäre. Man macht den Leuten ja nur Arbeit. Aber die meiste Zeit hat das Leben für mich schon Sinn. Man lernt auch immer mal was Neues kennen. Seit einiger Zeit gehe ich samstags in die Tagespflege. Da kommt man mit anderen Leuten zusammen. Das ist schön. Aber ich hab dort auch begriffen, wie gut's mir zu Hause bei den Alberths geht.
Erinnern Sie sich noch, wie Sie damals Ihre große Liebe erlebt haben?
STÜHLER: Meine große Liebe war mein Mann, der leider mit 61 Jahren schon gestorben ist. Ich war damals bei einer Familie in Sennfeld als Kindermädchen in Stellung. Am Samstag trafen sich die jungen Leute immer zum Tanzen. Jeden Samstag hab ich dort getanzt, Foxtrott, Walzer. Besonders der Tango war meine Leidenschaft.
Wenn Sie vom Tanzen reden, blühen Sie ja richtig auf. Als junges Mädchen haben Sie da sicher auch ein bisschen geflirtet, oder?
STÜHLER: (lacht verschmitzt) Ich hatte ein paar Verehrer, aber ich bin, wenn alles fertig war, immer heimlich ausgerissen. Mein Chef wollte nicht, dass ich mich schon mit Männern treffe.
Und dann haben Sie Ihren Mann kennengelernt?
STÜHLER: Ja, Kurt hat mich samstags auch immer mal aufgefordert. Und irgendwann haben wir uns halt verliebt. (Sie taut plötzlich auf) Zuerst haben wir uns nur heimlich getroffen. Dann war klar, dass wir zusammen bleiben. Als ich mit 26 Jahren zum Traualtar ging, hab ich einen anderen jungen Mann, glaube ich, sehr enttäuscht. Der hatte sich Hoffnungen gemacht, hatte mir immer geraten, dass ich mich keinem Mann so schnell hingeben soll. Er selbst war mir gegenüber immer sehr anständig gewesen. Und dann hab ich geheiratet ... das war für ihn ein Schock.
Würden Sie denn heute etwas anders machen als früher? Haben Sie mal was bereut in Ihrem Leben?
STÜHLER: Nein. Es ist alles gut so gewesen, wie es war – auch damals, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, als mein Vater in russischer Gefangenschaft war und sich meine Mutter mit uns Kindern zu Hause alleine durchschlagen musste. Wir haben immer gearbeitet. Meine Mutter war schwer lungenkrank und kleidete in Heimarbeit für die Spielzeugfabrik bei Sonneberg Puppen ein und polsterte Plüschbären.
Haben Sie eigentlich fürs Leben ausgelernt oder lernen Sie immer noch dazu?
STÜHLER: Von den jungen Leuten kann ich immer noch lernen, denn sie nehmen alles leichter als wir früher. Aber da war auch eine andere Zeit. Und staunen tue ich oft über die Technik, das interessiert mich alles noch sehr. Was so ein Smartphone alles kann, ist ja unglaublich.
Jetzt hab ich noch die Standardfrage für Sie, die Ihnen wahrscheinlich viele Leute stellen: Wie wird man denn 102 Jahre alt? Gibt es ein Geheimrezept?
Zufrieden sein muss man. Ein normales Leben führen, nichts übertreiben – und vor allem muss man viel lachen!