
Die Bad Kissinger Kunstszene macht wieder von sich reden – und zwar genau jetzt, wo die Kunst weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist. In ihrem frisch aufgelegten Katalog zeigen neun Mitglieder der Gruppe ART97688, dass Kunst niemals stillsteht, auch nicht während der Corona-Pandemie. "Diese Zeiten" heißt deshalb auch die kleine Sammlung subtiler bildhafter Botschaften, anhand derer der aktuelle Weltzustand nicht nur künstlerisch dargestellt, sondern kritisch hinterfragt werden soll.
Die Bilder legen den Fokus teilweise bewusst aufs schöne Alltägliche, das vielleicht erst jetzt, wo die Menschen wider Willen auf sich zurückgeworfen werden, neu wahrgenommen wird. Aber sie drücken auch aus, wie schmerzlich solch eine Epoche wirken kann, wie Menschen gerade innerlich zerrissen werden und wie leer manch einer während der Corona-Krise zurückbleibt.
Werke in Print zeigen oder online ausstellen?
Entstanden ist der Katalog von ART97688 in Zusammenarbeit mit dem städtischen Kulturreferenten Peter Weidisch. "Wir haben überlegt, ob wir unsere Kunst drucken lassen oder online ausstellen", sagt der Sprecher der Künstlergruppe Alexander Ruppert im Gespräch mit dieser Redaktion. Die Wahl fiel auf das gedruckte Werk. Er und seine Kolleginnen und Kollegen, das sind Carlo Catoni, Eva Feichtinger, René Greiner, Ulrike Heim, Romana Kochanowski, Heidi Lauter, Malte Meinck und Silvia Pfister-Stanjek, sollten sich für den Katalog passende Statements überlegen, sagt Ruppert. Einzig der Titel "Diese Zeiten" war bindend. Den Künstlern stand es frei, die Pandemie in ihre Darstellungen zu integrieren – oder eben nicht.
Für die optische Gestaltung des Katalogs wählte Ruppert, der selbst Design und Layout übernahm, die Farbe Grau, weil sie, wie er sagt, neutral ist und vielleicht auch die "gedrückte Stimmung" der Gegenwart widerspiegelt. Die hellen Schriftzüge auf grauem Grund muten wie durchbrochene Buchstaben an, sollen "wie zerkratzt" wirken. Laut Ruppert symbolisieren sie die Pandemie-Zeit, die unterschiedliche "Schattierungen" hat und eine "verletzte Gesellschaft" zurücklässt.
Katalog als Zeitdokument
Alle Neun formulieren ihre Statements zunächst in Buchstaben, beziehungsweise Worten. Dann folgen Bilder von Gemälden, Collagen, Skulpturen, Installationen – alles Darstellungen, welche das jeweils eigene "Er-Leben" dieser Pandemie hervorbrachte. Die Kommentare der Künstlerinnen und Künstler sind von den Bildern getrennt dargestellt – absichtlich, sagt Ruppert. "Damit jedes Bild für sich steht und für sich wirkt. Nur so kann der Betrachter unvoreingenommen interpretieren."

Der Katalog wird seine Gültigkeit nie verlieren, ist sich Ruppert sicher. "Denn es ist ein Zeitdokument." In seinen Augen eignet sich der Band deshalb auch sehr gut als zeitloses Geschenk für jeden. Die Einführung gibt‘s zusätzlich in Englisch, so dass der Katalog zum Beispiel auch in allen Partnerstädten Bad Kissingens problemlos verstanden wird. Übrigens finden Passanten jetzt auch auf drei Litfaßsäulen in der Innenstadt schon Hinweise auf die Initiative der Künstlergruppe.
Nicht nur materielle Dinge sind wichtig
Die Themen Menschlichkeit, Sehnsucht, Angst, Unsicherheit und fehlende Nähe sind nicht neu, werden aber in den Bildern der Künstlergruppe neu thematisiert und hinterfragt, sagt Ruppert. Gezeigt werde auch, was uns als Gesellschaft zur Zeit verloren geht. "Und das bringt manchmal auch etwas Gutes hervor."
Denn nach Rupperts Ansicht wird den Menschen derzeit auch schmerzlich bewusst, was sie an alltäglichen kleinen Dingen vermissen. "Zum Beispiel kann man aktuell nicht mal mit jemandem irgendwo einen Kaffee trinken oder eine Pizza essen gehen." Das sei in der Vergangenheit für viele "ganz normal" gewesen. "Aber jetzt, wo man es nicht machen kann, wird es als das kleine Glück im Alltag wahrgenommen." Rupperts Schlussfolgerung: "Das Virus hat die Menschen gelehrt, dass nicht nur die materiellen Dinge im Leben wichtig sind."
Kritische Themen ästhetisch darstellen
Ist es also wichtig, dass die "schönen Künste" das Auge des Betrachters auch mal auf unschöne Themen richten? Ja, sagt Ruppert. Kritik in der Kunst ist seiner Ansicht nach wichtig und wegweisend. "Man kann kritische Themen ja ästhetisch darstellen, um sie für den Betrachter erträglich zu machen." Das sei vielleicht eine der wichtigsten Aufgaben des Künstlers.
Dass in den Bildern der neun Künstler dennoch keine Kritik an der Politik und den von oben verordneten Corona-Beschränkungen geübt wird, ist wohltuend. Es öffnet den freien unvoreingenommenen Blick auf das, was die Künstler zeigen. Verordnet worden sei das jedoch vorher nicht, sagt Ruppert. Es seien im Kollegenkreis keine Vorwürfe zu hören gewesen. "Freilich kann man herum interpretieren, ob und wem nun irgendwo ein Grundrecht genommen wird", sagt der ART97688-Sprecher. "Aber das ist Jammern auf höchstem Niveau, denn es geht uns doch vergleichsweise gut."
Info: Bestellen kann man den Katalog unter alex@atelier-ruppert.de