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KÖLN/WÜRZBURG
Würzburger Fanexperte besorgt über Kölner Krawalle
Gefährliche Fankultur: Ein Teilnehmer der Kölner Krawalle trägt ein T-Shirt, auf dem seine rechte Gesinnung und zugleich ein Bezug zum Fußballsport hergestellt werden: „HoGeSa“ steht für Hooligans gegen Salafisten. Dass sich die Aktivisten Hooligans nennen, ein Begriff aus den 1980er und 1990er Jahren, ist laut dem Würzburger Fanforscher Professor Harald Lange eine bewusste Entscheidung: „Das ist Programm“.
Foto: Caroline Seidel, dpa | Gefährliche Fankultur: Ein Teilnehmer der Kölner Krawalle trägt ein T-Shirt, auf dem seine rechte Gesinnung und zugleich ein Bezug zum Fußballsport hergestellt werden: „HoGeSa“ steht für Hooligans gegen ...
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 16.12.2020 09:48 Uhr

Der Würzburger Sportwissenschaftler Professor Harald Lange hält die Dimension der Gewalt in Köln für extrem gefährlich. Tausende Hooligans und Rechtsextremisten lieferten sich dort am Sonntag Straßenschlachten, bei denen nach Polizeiangaben 44 Beamte verletzt und mehrere Polizeiautos demoliert wurden. 17 Verdächtige kamen in Gewahrsam.

Lange, Direktor des Instituts für Fankultur, sorgt sich über den großen Zulauf zur gewaltbereiten Szene. „Vor wenigen Wochen war sie noch überschaubar, in Dortmund haben sich gerade mal 300 bis 350 Demonstranten zusammengefunden, jetzt zwischen 4000 und 5000.“ Diese Entwicklung sei besorgniserregend und sehr ernst zu nehmen.

Der Würzburger Experte vermutet dahinter eine gezielte Strategie, die in Köln erstmals aufgegangen sei: Zum einen habe die Anti-Islam-Partei Pro NRW, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und die Kundgebung in Köln angemeldet hat, mit ihrer Aktion eine große Aufmerksamkeit erlangt. „Jeder spricht heute darüber.“ Zum anderen habe die Gruppe, die sich „Hooligans gegen Salafisten“ nennt, erreicht, dass Tausende orientierungslose Randalierer und gewaltbereite Fußballfans dem Aufruf gefolgt und nach Köln gekommen sind. Denn das sei genau die Zielgruppe, auf die es laut Professor Lange die Aktivisten abgesehen haben. „Die Schnittmenge zwischen Hooligans und Fußballfans, die auch rechtspolitisch unterwegs sind, ist größer geworden.“

Man könne aber die Teilnehmer der Kölner Demonstration nicht in einem Atemzug mit der Gesamtheit der Fußballfans nennen. „In Köln waren nicht primär Fußballfans dabei. Ich habe keine Fahnen und Banner von Fußballvereinen gesehen.“ Aber die Radikalen haben bewusst die Beliebtheit des Fußballsports genutzt. „Wenn es den Rechten nun immer mehr gelingt, aus dem Kreis der Fußballfans Leute für ihre Zwecke zu rekrutieren, dann ergibt das eine gefährliche Gemengelage.“ Zumal die Aktivisten sehr geschickt vorgegangen seien, weil sie das Thema „Salafisten“ gewählt hätten. „Sich gegen etwas auszusprechen, was ohnehin sehr populär ist, hat viele dazu verleiten lassen, bei der Demonstration in Köln mitzumachen – auch mit Gewalt.“

Die Reaktionen aus der Politik auf die Ausschreitungen in Köln sind derweil unterschiedlich. Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach zum Beispiel bezweifelt, dass politische Motive überhaupt wichtig waren. Den Teilnehmern sei es darum gegangen, „eine wüste Schlägerei“ anzuzetteln. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) spricht von gezielter Gewalt einer neuen Formation von Hooligans, die sich in Köln erstmals bundesweit mobilisiert und die Versammlungsfreiheit als Plattform für Übergriffe missbraucht hätten. „Wir werden diese Erkenntnisse dazu nutzen, solche Demonstrationen von gewaltbereiten Hooligans künftig zu verbieten.“

Diese Forderung zeigt laut Harald Lange die Hilflosigkeit der Politik auf diese neue Szene. „Ein verändertes Demonstrationsrecht ist nicht die Lösung. Vielmehr muss man jetzt analysieren, einordnen und schauen: Wer war überhaupt in Köln dabei?“

Bernd Wagner, der für das Berliner Exit-Programm für Aussteiger aus der rechtsextremen Szene arbeitet, nennt konkret Gruppen: Neben Hooligans mischten Neonazis, Autonome Nationalisten oder auch die extremistische Gruppierung Die Rechte mit. Da laut Wagner der Szene klar geworden sei, dass sie in Deutschland mit Ausländerfeindlichkeit nicht punkten könne, habe sie sich auf die Salafisten verlegt, von denen die Sicherheitsbehörden zu Recht aus terrorgefährlich warnten. Es sei zu kurz gedacht, wenn man bloß von Krawallmachern spreche, betont Wagner.
 

Gewaltbereite und andere Fußballfans
Hooligans waren nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung „ausnahmslos fanatische Anhänger ihrer Vereine“, bis sich Anfang der 1980er Jahre die Fangemeinde spaltete. Die dann Hooligans Genannten fielen mit Gewalt und Sachbeschädigungen auf und traten in den 1980er und 90er Jahren in Erscheinung.

Laut Verfassungsschutzbericht 2013 gibt es „einzelfallbezogene Überschneidungen“ zwischen Rechtsextremisten und der Szene der Hooligans und Ultras sowie zwischen Rechtsextremisten und Rockergruppen. „Mitunter sind Rechtsextremisten in diesen Szenen aktiv und beteiligen sich an den von diesen ausgehenden Randalen.“

Im Jahresbericht Fußball 2013/2014 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) schätzt die Polizei 10 542 gewaltbereite Anhänger in der ersten und zweiten Bundesliga (plus 1,2 Prozent im Vergleich zur Vorsaison). Das seien Hooligans und andere Gruppen. Die Koordinationsstelle Fanprojekte erläutert, dass heute die Ultras die Hooligans als zentrale Gruppe in den Stadien abgelöst hätten. Sie seien viel liberaler“ und laut einem ZIS-Sprecher „vor allem friedlich“. (Text: dpa)

 
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