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WÜRZBURG
MySpace: Sagenhafter Aufstieg und bitterer Absturz
Ein Profil bei Facebook zu haben, gilt heute für viele als ebenso selbstverständlich wie eine E-Mail-Adresse oder Telefonnummer. Doch vor gerade einmal fünf Jahren dominierte ein anderes Unternehmen die Welt der sozialen Netzwerke: MySpace.
Von unserem Redaktionsmitglied Catharina Hettiger
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:39 Uhr

Ein Profil bei Facebook zu haben, gilt heute für viele als ebenso selbstverständlich wie eine E-Mail-Adresse oder Telefonnummer. Doch vor gerade einmal fünf Jahren dominierte ein anderes Unternehmen die Welt der sozialen Netzwerke: MySpace. „Es gibt Wettbewerber wie Facebook, die Netzwerke für Studenten organisieren. Aber das sind Nischen“, erklärte im Jahr 2007 Chris DeWolfe, einer der Gründer der Internetplattform im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ selbstbewusst. Nur ein Jahr später zählte das „Nischen“-Netzwerk Facebook bereits mehr Mitglieder als MySpace – obwohl Letzteres über Jahre die bedeutendste virtuelle Gemeinschaft im Internet war, mit zeitweise über 268 Millionen Nutzern (im Vergleich: Facebook hat über 955 Millionen Mitglieder, Stand: Juni 2012).

„Jetzt geht's erst richtig los“, so die Überschrift des damaligen Spiegel-Artikels. Doch diese Prophezeiung sollte sich nicht erfüllen, MySpace rutschte vom einst populärsten sozialen Netzwerk mehr oder weniger in die Bedeutungslosigkeit ab. Dabei bot es seinen Nutzern eine damals völlig neue Erfahrung: Erstmals konnte man sich mit einem Klick einen umfassenden Eindruck einer Person verschaffen – indem man ihr Profil und ihre Fotos anschaute, ihre Musik hörte und Blogeinträge las. MySpace als „Plattform, auf der jeder der ganzen Welt zeigen kann, wer er ist“, das war die Vision von Gründer DeWolfe.

Der Spiegel beschrieb das Netzwerk 2007 als eine Mischung aus „Kontaktbörse, Poesiealbum und Musikclub“ – vor allem Letzteres trieb den Erfolg von MySpace voran. Tom Anderson, zweiter Gründer neben DeWolfe, nutzte 2003 seine Kontakte zu Künstlern und Bands und überzeugte sie davon, sich auf seiner neu ins Leben gerufenen Plattform einen „eigenen Raum“ (im Englischen: „my space“) einzurichten. Über diese für alle zugänglichen Profile konnten Musiker und Fans plötzlich in direkten Kontakt treten – darin bestand zunächst das Erfolgsgeheimnis der Webseite.

Kreativität, Verrücktheit, Spaß: Für all das wollte MySpace stehen, wie der damalige Unternehmenschef Mike Jones 2010 gegenüber der Zeitung Frankfurter Allgemeine erklärte. „MySpace ist nicht der Ort, wo man Babyfotos mit seiner Mutter teilt“, grenzte er sein Netzwerk zu Facebook ab. Es sei da, um Entdeckungen zu machen und entdeckt zu werden.

Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist Lily Allen: Die Sängerin aus London stellte ihre Lieder auf ihre MySpace-Seite und hatte auf Anhieb Erfolg. 25 000 Nutzer trugen sich innerhalb der ersten Monate in ihre Mailingliste ein und hörten über eineinhalb Millionen mal ihre Songs. Allens erste Single „LDN“ war plötzlich heiß begehrt – Grund genug für das renommierte Plattenlabel EMI, Allen unter Vertrag zu nehmen.

Auch Sängerin Karoline Schaum aus Würzburg, bekannt als „Karo“, sieht MySpace als eine Art Initialzündung für ihre Musikkarriere. Über ihren Erfolg sagt sie: „Ohne Myspace wäre das alles nicht passiert. Nicht so schnell, vielleicht sogar nie.“ Karo, die, wie sie sagt, anfangs keinerlei Kontakte zur Musikszene hatte, legte sich Ende 2006 auf den Tipp eines Bekannten hin ein Profil auf MySpace an. Innerhalb weniger Monate hatten sich nicht nur viele Fans auf ihrer Seite angesammelt, auch Veranstalter von überall her wurden auf die gebürtige Schweinfurterin aufmerksam. Das dritte Konzert ihres Lebens spielte Karo in Frankreich. „Ich habe immer wieder auf Seiten anderer Musiker kommentiert“, erklärt sie sich den schnellen Zuwachs an Fans. „Das haben wohl andere Leute gelesen und sind dann auf meinem Profil gelandet – um zu schauen, wer da dieselbe Musik mag wie man selbst.“ Trotz dieser Erfolgsgeschichte: Der letzte Eintrag im MySpace-Profil von Karo stammt von Oktober 2010: „Diese Seite ist tot! Ihr findet mich auf Facebook und Soundcloud“, so ihre klare Nachricht an die Fans.

Mit ihrer Entscheidung, MySpace den Rücken zu kehren, steht die Musikerin nicht allein da: Anfang 2011 schrumpfte MySpace monatlich um zehn Millionen Nutzer, dem Niedergang des Netzwerks vorangegangen waren zahlreiche Negativschlagzeilen. Sicherheitslücken, die massenhaft Spam-Mails nach sich zogen, gefälschte Profilseiten von Prominenten, Probleme mit der Barrierefreiheit sowie die Verbreitung von Drohungen und rassistischem Gedankengut sorgten für Verunsicherung und Verärgerung bei den Nutzern.

Sängerin Karo störte vor allem die Flut an Spam-Mails, mit der sie zu kämpfen hatte: „Ich hatte keinerlei Überblick mehr über meine Nachrichten.“ Hatte man eine gewisse Anzahl von Fans erreicht, schaltete MySpace das Profil um, sodass von da an automatisch jede Freundschaftsanfrage angenommen wurde. Der Relaunch der Webseite im Herbst 2010 schien die Probleme noch zu verschlimmern: „Während der Umbauphase hat auf der Seite einiges nicht funktioniert, viele Funktionen waren nicht mehr zu finden“, erinnert sich Gitarrist Simon Metzger, der seit April 2007 mit seiner Würzburger Band Sasquatch auf MySpace vertreten ist. Die Folge: Viele Nutzer verließen die Plattform und zogen immer mehr Freunde aus ihrem Umfeld mit sich.

Medienmogul Rupert Murdoch, der das Unternehmen 2005 für 580 Millionen US-Dollar gekauft hatte, zog die Notbremse und übergab im Juni 2011 sein einstiges Vorzeigeprojekt für nur 35 Millionen Dollar in die Hände der kalifornischen Online-Werbefirma Specific Media. Diese will sich auf den ursprünglichen Kern des Netzwerks zurückbesinnen: MySpace soll wieder zur Anlaufstelle für junge Leute auf der Suche nach neuer Musik werden. Damit reagierte man auch auf die bereits 2010 von Ex-MySpace-Chef Jones geäußerte Kritik: „Irgendwann haben wir versucht, die Eigenschaften der Konkurrenz zu kopieren und ein Portal für alle zu werden.“

Die neuen Investoren holten außerdem Popstar Justin Timberlake mit ins Boot, dessen Bekenntnis zu MySpace sich medienwirksam vermarkten ließ: „Wir brauchen einen Platz, an dem Fans mit ihren Stars in Kontakt treten können, an dem sie Musik hören, Videos schauen und teilen, an dem man coole Sachen entdeckt und sich mit anderen verbindet.“ MySpace habe das Potenzial, all diese Voraussetzungen zu erfüllen.

Dass sich seit Dezember 2011 tatsächlich weit über eine Million neuer Mitglieder bei MySpace angemeldet haben, könnte laut Online-Nachrichtenportal „Stern“ mit am neuen Musikplayer liegen, der zeitgleich startete. Damit bewege sich das Portal auf Augenhöhe mit Streaming-Angeboten wie Last.fm und Spotify. Das vermehrte Einbinden von Facebook und Twitter habe überdies zum Erfolg beigetragen, so einer der Investoren, der MySpace nicht als direkte Facebook-Konkurrenz sieht – eher als „Kanal für Musik und weitere Entertainment-Formate, die mit und durch andere Netzwerke geteilt werden können.

MySpace

Ein Anbieter für kostenlose Datenspeicherung im Internet – das verbarg sich ursprünglich hinter MySpace.com. 2003 gründeten Tom Anderson und Chris DeWolfe im kalifornischen Santa Monica das soziale Netzwerk unter der gleichen Internetadresse. Auf der mehrsprachigen, werbefinanzierten Webseite können Nutzer kostenlos ein Profil mit Fotos, Videos, Blogs und Gruppen erstellen. Bekannt wurde MySpace durch die Möglichkeit, Musik einzubinden; Künstler und Bands nutzen es als Marketingplattform. 2005 wurde die Firma für 580 Millionen US-Dollar an Rupert Murdochs Medienkonzern News Corporation verkauft. MySpace wuchs anfangs rasant, mit bis zu 230 000 neuen Mitgliedern pro Tag. 2006 wurde die 100-Millionen-Marke durchbrochen, MySpace galt als populärstes soziales Netzwerk in den USA. Seit 2007 ist auch eine deutsche MySpace-Version verfügbar. Seit 2008 zählt Facebook mehr Mitglieder als MySpace, dessen deutsche Niederlassung im Januar 2011 geschlossen wurde. Im Juni 2011 wechselte die Firma für 35 Millionen Dollar in den Besitz der kalifornischen Online-Werbefirma Specific Media.

 
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