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FRANKEN
Im Land der roten Krawatten
Ude in Unterfranken Bad Kissingen, Würzburg, Karlstadt: Ein Tag, drei Reden. Mit dem SPD-Wahlkämpfer Christian Ude unterwegs in Unterfranken.
„Das Leben ist erstaunlich erfreulich“: Der bayerische SPD-Spitzenkandidat hatte in Unterfranken (hier in Bad Kissingen) viel Grund zur Freude.
Foto: Anand Anders (2), Günther Roth | „Das Leben ist erstaunlich erfreulich“: Der bayerische SPD-Spitzenkandidat hatte in Unterfranken (hier in Bad Kissingen) viel Grund zur Freude.
Von unserem Redaktionsmitglied Achim Muth
 |  aktualisiert: 11.11.2021 15:47 Uhr

Es war wieder einmal eine Woche gewesen, die für die Genossen so angenehm war wie Mumps: Wowereits Flughafendesaster, Steinbrücks Fettnäpfchen, dazu Umfragewerte nahe dem Gefrierpunkt, die SPD hat beileibe schon besser aus der Wäsche geschaut in ihrer 150-jährigen Geschichte. Aber nun, an diesem klirrend kalten Sonntagmorgen, sitzt Christian Ude im Frühstücksraum des Hotel Precise Bristol in Bad Kissingen und schaut so gar nicht geknechtet drein: er lächelt. Es wird ein langer Tag werden, und er wird ihn fast 100 Kilometer durch Unterfranken führen zu vielen roten Blusen und sehr vielen roten Krawatten, zu Präsentkörben und Blasmusik, zu einer DVD von Urban Priol und Bocksbeuteln, zu Grußworten und Glückwünschen, zu Schornsteinfegern und Lehrern, zur Zuckerfee und zu Professoren, vor allem aber zu sehr vielen älteren Menschen, aber das weiß Christian Ude an diesem Morgen noch nicht, vielleicht ahnt er es. Am Vorabend kam er ja aus Bad Steben.

Draußen gurgelt die Saale, drinnen genießt der Spitzenkandidat der bayerischen SPD frischen Kaffee, Brötchen und Wurst. Christian Ude spricht von einer Welle der Unterstützung, ja von „begeisternden Veranstaltungen“ in Franken, „wo mich“, wie er als Oberbayer fast verwundert feststellt, „SPD-Bürgermeister und SPD-Landräte begrüßen“. Dabei ist der 65-Jährige selbst einer dieser bajuwarischen Exoten, seit nahezu 20 Jahren ist er Oberbürgermeister der Stadt München. Doch nun, da er sich im Spätsommer 2011 mit einer Art Selbstkrönung zum Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt gekürt hat, führt ihn der Weg in die Fremde, raus aufs Land. Eine „faszinierende Horizonterweiterung“ nennt er die Reise, es ist aber auch eine Roadshow mit dem Titel: „Wie ich den Genossen Optimismus beibringe!“

Doch: Ist der Effekt seiner Nominierung nicht längst verpufft? Ein paar Monate lang galt Christian Ude als der Messias, der die CSU vom Regierungssockel stoßen kann. Die Dynamik scheint über ein Jahr später abgelöst von der Ernüchterung. Hat er sich also zu früh aus dem Hut gezaubert? Ude sagt: „Nein.“ Dass nach einem schwungvollen Start die „Mühen der Ebene kommen, war klar“. Es galt zunächst, sagt er, Strukturen aufzubauen: Mitstreiter finden, ein Beraterteam aufstellen, Programme diskutieren und alle Landesteile in die Debatte einbeziehen. „Für all diese Aufgaben brauchte ich die Plattform des Spitzenkandidaten. Dieses Jahr war ein Jahr unerlässlicher Vorarbeiten.“

Nach den jüngsten Umfragen und dem Absturz des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück in den Beliebtheitsrankings sieht Ude indes eine „unterschiedliche Wahrnehmung zwischen Realität und Medienwelt“. „Die Erregungsthemen der Medien sind nicht erfreulich“, so der Politiker und frühere Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, „aber die Stimmung, die ich im Lande erlebe, ist ganz anders, ja sogar aufbauend“. Steinbrück, so sagt er noch, habe ihm das Leben als Spitzenkandidat nicht schwerer gemacht. „Das Leben ist erstaunlich erfreulich“, sagt er. Das mit Steinbrück, das wird die Basis später auch anders sehen.

Christian Ude köpft das Ei, mit dem er sein Frühstück beschließt, dann wartet der erste Auftritt im Tattersall von Bad Kissingen. SPD-Neujahrsempfang, knapp 400 Gäste, Rotkreuz-Orchester. Die regionalen SPD-Größen sind da, und die Kreisvorsitzende Sabine Dittmar aus Maßbach ist wohl eine derjenigen, die Ude vorhin gemeint hat, als er von Begeisterung im Land sprach. Wer sie sieht, wer sie hört, der weiß: In Optimismus hat sie keine Nachhilfe nötig. „Packen wir's an“, ruft sie ins Mikrofon, und Susanne Kastner, Bundestagsabgeordnete aus Maroldsweisach, nimmt das wörtlich: Sie hebt ein Zierbäumchen von der Bühne, das die Sicht aufs Rednerpult versperrt. Vor dem Stargast kommt noch der Hausherr. Kissingens Bürgermeister Kay Blankenburg gelingt ein humorvoller Einstieg, er spricht über die Schönheit der Kurstadt und das ungerechte Nord-Süd-Gefälle im Freistaat, geht ein auf Abspaltungstendenzen der Franken. Aber, ruft er Ude zu, „weil wir nicht wissen, ob Altbayern ohne uns überleben würde, bleiben wir bei Euch.“ So herzlich werden die Genossen Christian Ude nicht mehr lachen sehen an diesem Tag.

Dann tritt er auf die Bühne, er nennt sein Programm „sozialdemokratisches Projekt“. Punkten möchte er vor allem mit zwei Themen: der Finanzkrise und ihren Folgen sowie der Bildungspolitik. Das sind die Pfeiler, auf denen er seine Rede errichtet. Ude spricht frei, vor ihm auf dem Pult liegt nur ein kleiner Zettel mit Stichpunkten. Er geißelt die Bankenwelt. „Staaten dürfen nicht zum Spielball der Finanzjongleure werden“, sagt er und fordert eine Transaktionssteuer, eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken. Die Finanzwelt solle über Fonds selbst für einen Rettungsschirm sorgen. Im Übrigen, gibt er nach dem Applaus zu, seien diese Forderungen aus einem Thesenpapier von Peer Steinbrück entliehen. „Ich empfehle ihm“, sagt Christian Ude, „sich auf diese Kernkompetenz zu konzentrieren und Gehaltsforderungen wieder den Gewerkschaften zu überlassen.“ Die Spitze gegen den Kanzlerkandidaten kommt an. Ausführlich begründet der Münchner hernach, weshalb die Studiengebühren fallen müssten („Kostenfreiheit der Bildung“), fordert auf, das Volksbegehren zu unterstützen und verspricht, dass nach einer Machtübernahme durch die SPD auch die Kosten für eine Meisterausbildung im Handwerk gestrichen würden. Wo das Geld für die Universitäten herkommen soll, verrät Ude nicht. Er spricht etwas diffus von einem Ausgleich aus dem „Hoheitshaushalt“. Der Beifall ist ihm dennoch gewiss.

Weil er in einem Kurort ist, schiebt der Kandidat einen Block über die Bäderlandschaft ein, fordert bessere Rehas und ein Präventionsgesetz in der Gesundheitspolitik und, auffallend oft, bemüht er den Begriff vom Gleichgewicht, in das er Bayern wieder bringen wolle. Dann bekommt noch die CSU in typischer Ude-Manier ihr Fett weg. Er ist kein Haudrauf, kein Polterer, auch später in Würzburg und in Karlstadt nicht, bei ihm sind selbst Wahlkampfauftritte meist so akkurat wie sein Schnurrbart gestutzt. Der einstige Granitfels CSU, sagt Ude in Anspielung auf die Studiengebühren und das Kuschen von Horst Seehofer vor der FDP, „ist jetzt wie Wachs in unseren Händen“. Nach einer guten Stunde ist er fertig, und draußen, im Foyer, macht sich Doris Aschenbrenner auf den Weg. Die Würzburgerin gehört als netzpolitische Sprecherin zu Udes Kompetenzteam. Die junge Diplom-Informatikerin baut am Zentrum für Telematik Roboter. Und wenn sie Ude programmieren könnte, wie würde sie es tun? „Gar nicht, das hat er schon selbst gemacht. Er hat eine sehr gute Grundkonfiguration“, sagt sie, „wir programmieren lieber Bayern neu“. Als der Spitzenkandidat den Tattersall verlässt, ruft ihm Ingmar Kiesel aus Burkardroth zu: „Viel Glück.“ Das wird er brauchen, glaubt der SPD-Sympathisant, „und wenn ihm der aus dem Bund nicht in die Quere kommt, kann's was werden“. Der ist Peer.

Ein TV-Interview noch, dann geht die Fahrt nach Würzburg. Im Mainkai 7 isst Ude eine Kleinigkeit, während am Eingang zur Aula der Franz-Oberthür-Schule schon das Defilee vorbei an den SPD-Granden aus Stadt und Landkreis Würzburg beginnt. Rund 900 Gäste sind da, viele Menschen des öffentlichen Lebens, aus der Stadtverwaltung, aus der Wirtschaft, aus Verbänden, aus der Kirche, und ja, als Oberbürgermeister Georg Rosenthal (SPD) auf der großen Bühne mit den violettfarbenen Samtvorhängen spricht, hat es tatsächlich etwas von einer Predigt. Später wird Protestant Christian Ude augenzwinkernd von seinem Projekt als zweite „Christianisierung des Frankenlandes“ sprechen. „Das war schon eine Bewerbungsrede für den Landtag“, sagt einer über Rosenthals Ausführungen. Am Morgen, beim Frühstück, hatte Ude die Frage nach Rosenthals Rolle im Schattenkabinett so beantwortet: „Es gibt kein Schattenkabinett, ich habe nur Arbeit zu vergeben, keine Posten. Dass ich ihn für ein politisches Talent halte, weiß er.“ Nach 47 Minuten und drei Vorreden steigt Ude auf die Bühne. Er spricht wieder frei, wiederholt seine Rede in anderen Worten, lässt den Bäderkomplex weg und erweitert in der Universitätsstadt seinen Bildungsblock. Wieder spricht er gut eine Stunde und bekommt dann in das Gemurmel der sich auflösenden Gesellschaft zwei Kabarett-DVDs geschenkt. In der ersten Reihe hatte die Ochsenfurter Zuckerfee Sophia Holtze den Auftritt verfolgt. „Gut“, sagt die 19-Jährige auf die Frage, wie ihr die Rede gefallen habe. Besonders der Teil zur Bildungspolitik habe ihr als Lehramtsstudentin aus dem Herzen gesprochen. Ob sie ihn wählen wird im Herbst? „Ich weiß es noch nicht.“

Die Mitarbeiter drängen. Weiter geht es nach Karlstadt. Dunkel ist es geworden, über der Stadt steht die dünne Sichel des Mondes. Ude müsste müde sein, aber er trägt sich ein ins Goldene Buch der Stadt, lässt sich ein Lebkuchenherz schenken und kostet vom Udewein, einer Rotwein-Cuvée, die der Retzstadter Winzer Rudolf May komponiert hat. Der Bürgersaal im Rathaus ist mit Faschingsglitzer geschmückt, hier finden auch die Prunksitzungen statt. 350 Besucher sind gekommen, eineinviertel Stunden dauert Christian Udes dritte Rede an diesem Tag. Um kurz nach 21 Uhr steht er unten im Foyer. Wie er sich fühlt? „Erleichtert“, sagt er, „weil ich weiß, dass ich mich jetzt ins Auto fallen lassen kann.“ Er sei überwältigt von der Stimmung, wie „Vollbäder“ seien diese Termine in Franken gewesen. Dann steigt er in den Fond des Dienstwagens.

An den Tischen im Bürgersaal wird noch diskutiert. Paul Kruck, Karlstadts Bürgermeister von den Freien Wählern ist noch da, Bernd Rützel, der SPD-Bundestagkandidat aus Gemünden, auch. Seine Frau räumt hinterm Tresen Gläser zusammen. „Wir hatten viele Helfer aus vielen Ortsverbänden“, sagt der Landtagsabgeordnete Harald Schneider, „seit Ude gibt es einen neuen Gemeinschaftssinn bei den Genossen.“ Dann sagt er einen Satz über den Spitzenkandidaten, der den derzeitigen Zustand der SPD vielleicht ganz gut trifft: „Er hilft uns im Moment mehr, als wir ihm.“

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Foto: – | sdgsdfg sdg sdg sdfg sdgsdfg sdg
Gute Laune: Ude beim Frühstücksgespräch mit Redakteur Achim Muth.
| Gute Laune: Ude beim Frühstücksgespräch mit Redakteur Achim Muth.
Double: Vom Miltenberger Thomas Gareus (Zweiter von links) bekam Ude in Karlstadt eine lebensgroße Einladung zur Michelsmess'. Hinten: Harald Schneider.
| Double: Vom Miltenberger Thomas Gareus (Zweiter von links) bekam Ude in Karlstadt eine lebensgroße Einladung zur Michelsmess'. Hinten: Harald Schneider.
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