Die einzige Ampel in der Hauptstadt wird aus Mangel an Strom nie angeschaltet, außerdem befinden sich neben Autos, kleinen und großen Bussen, quietschbunt bemalten Lastwagen und Fußgängern auch regelmäßig Kühe auf der Fahrbahn. Die Wege abseits der Hauptstraßen würden in Deutschland nicht einmal als Feldwege durchgehen, wegen des Staubs und des Smogs tragen viele Fußgänger einen Mundschutz.
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Ein Stück außerhalb von Kathmandu, auf einem Berg des Vorortes Boudha, kann man plötzlich wieder durchatmen: Ein freundlich lächelnder Nepalese öffnet das Tor zum buddhistischen Kopan-Kloster, Mönche in roten Roben gehen in den bunten Tempel zur Puja, vergleichbar mit der christlichen Andacht.
Der Blick reicht über grüne Hügel und Felder bis zur Stupa (Heiligtum) von Boudha, die eines der bekanntesten Ziele buddhistischer Pilger in Nepal ist. Die Nepalesen sind mehrheitlich Hindus, doch nahe der Grenze zu Tibet leben viele Buddhisten. Die Klöster im Kathmandu-Tal sind für Nonnen und Mönche eine Anlaufstelle.
Der Frieden ist das Ziel
Der Abt des Klosters Kopan ist der 70-jährige Lama Lhundrup. Er lebt wie alle 360 Mönche und auch die 370 Nonnen des Frauenklosters, das etwas unterhalb am Berg liegt, sehr einfach. "Europa oder die USA haben sich gut entwickelt, doch viele haben trotz Auto, Fernseher und viel Geld die Sehnsucht nach Frieden", weiß Lama Lhundrup.
Den inneren Frieden können die Gäste aus dem Westen im Kloster lernen. Für einen nach deutschen Maßstäben geringen Betrag werden sie beherbergt und verpflegt und erhalten eine Einführung in die Meditation. Wer die - am besten täglich - praktiziert, der wird ruhiger und erreicht leichter seine Ziele.
"Im Buddhismus ist es wichtig, Mitgefühl und ein gutes Herz zu entwickeln. Doch das geht nicht von selbst", erklärt der Abt. "Negative Gedanken und Handeln bringen negative Folgen. Wir sollten keine Zeit damit verschwenden, über Politiker und Bänker zu schimpfen, sondern die Zeit lieber nutzen, um selbst etwas Gutes zu entwickeln. In allen Religionen ist doch der Frieden das Ziel und der kommt nur durch Mitgefühl und Respekt anderen gegenüber zustande."
Die Lehrer des Dharma - der von Buddha verkündeten Daseinsgesetze - wird nicht nur den Touristen, sondern hauptsächlich den jungen Mönchen, die in Kopan leben, beigebracht. Viele stammen aus kleinen Bergdörfern. Dort sind die Leute arm, gute Bildungschancen sind kaum vorhanden. Für sie ist es Tradition, ein Kind aus der Familie ins Kloster zu schicken. Oft kommen sie mit etwa sechs bis sieben Jahren dorthin.
Spiritualität und Unterricht für das Leben
Tashi Dhondup ist seit drei Jahren der Leiter der klostereigenen Schule mit 300 Schülern. "Um 5.30 Uhr stehen sie auf, danach ist eine Stunde Puja. Dann lernen sie buddhistische Texte auf Tibetisch auswendig. Von 9.45 bis 15.45 Uhr ist Unterricht", erzählt der Schulleiter.
Sie lernen neben Dharma auch Lesen und Schreiben, Sprachen, Naturwissenschaften und den Umgang mit Computern. "Heutzutage ist es wichtig, dass unsere Mönche nicht völlig weltfremd sind, deshalb bekommen sie hier eine gute Allgemeinbildung", so Tashi Dhondup.
So können sich die Mönche später auch in einem Leben außerhalb des Klosters zurechtfinden. Wer als Erwachsener kein Mönch mehr sein oder gar heiraten möchte, der kann gehen und ein normales Leben führen. Einige entscheiden sich aber bewusst für das Kloster.
So wie der 32-jährige Nyima, der mit 15 Jahren Mönch wurde: "Ich war schon immer begeistert davon, wie die Mönche in Tibet allen geholfen haben." Nach seiner Flucht aus Tibet und einem Aufenthalt in Indien kam er nach Kopan. Hier ist er für den Tempel verantwortlich, er öffnet ihn früh morgens zur Puja, füllt die Opferschalen mit Wasser, zündet Räucherstäbchen an und säubert den Tempel nach dem Gebet. Außerdem meditiert er für das Wohl anderer Menschen und führt mit den Mönchen die Pujas durch.
Einheimische und westliche Mönche im Kloster
Sie rezitieren dabei tibetische Texte, nach einiger Zeit klingt das fast wie Gesang, dazwischen werden die Trommeln geschlagen und Blasinstrumente erklingen. Alle bekommen Milchtee und süßen Reis oder Brot.
Zwar versteht kaum ein westlicher Besucher, der im Schneidersitz auf den roten Polstern am Boden sitzt, die Texte, doch die Wirkung ist erstaunlich: Langsam und fast unmerklich entspannen sich zuerst die Muskeln, dann ziehen die Gedanken einfach vorbei. Der Geist leert sich. Wenn man wieder aus dem Tempel tritt hat man das Gefühl, dass die Mönche die Meditation für alle mit erledigt hätten.
In Kopan mischen sich unter die Tibeter und Nepalesen auch westliche Mönche. Thupten Tendhar kommt aus Spanien, seinen weltlichen Namen hat er abgelegt. Der 42-Jährige war ein gut bezahlter Filmproduzent. Trotz eines Lebens im Luxus fühlte er eine innere Leere, die er nicht füllen konnte. Er beschäftigte sich immer intensiver mit dem Buddhismus und fand in Lama Lhundrup seinen Lehrer.
"Viele wollen sich nicht mit dem Tod beschäftigen, doch im Buddhismus lernen wir, dass der Geist weiter existiert und sich weiterentwickeln kann. Ich habe mich immer gefragt, wo die Liebe bleibt, wenn ich nur an mich und mein Geld denke. Dann lernte ich, dass das Universum mir etwas zurückgibt, wenn ich mein Geld mit anderen teile. So werde ich irgendwann sogar in Frieden sterben können", beschreibt der Spanier seine Motivation. Nun ist er seit zwei Monaten Mönch, die anderen unterstützen ihn und er fühlt sich in Kopan aufgehoben und glücklich.
Vier Jahre in den Bergen Indiens
Den intensiven Buddhismus lebt auch Thomas aus Hamburg, allerdings als Laie. "Ich bin ziellos durchs Leben gegangen und war unzufrieden", erzählt der 47-Jährige. Als sich seine Frau von ihm trennte, wollte er sein Leben endlich in den Griff bekommen. Während einer Ausbildung zum Heilpraktiker erfuhr er zufällig einiges über den Buddhismus und reiste nach Indien, um mehr darüber zu lernen. Seitdem war er zwar immer wieder in Deutschland, die meiste Zeit verbrachte er aber in Indien und Nepal in Klöstern.
Sehr intensiv lernte er Dharma in einem einsamen Kloster in den Bergen Indiens: "Dazu sollst du an einen einsamen Ort gehen, um den Geist während des Praktizierens nicht abzulenken." Ein Schäfer brachte ihm Wasser, ein Mönch das Essen. Aus geplanten 16 Monaten wurden schließlich vier Jahre.
Er erkannte, dass er viele Dinge, die ihm in Deutschland wichtig waren, wie etwa eine teuere Musikanlage, einfach nicht mehr brauchte. "Im Buddhismus lernte ich, dass Glück nicht von äußeren Sachen wie einem Haus oder einem Auto kommt, du musst aus dir selbst heraus glücklich sein", so der erfahrene Laie.
Hilfe auch aus Würzburg
Dreimal pro Jahr besucht Dr. Eva Kuczewski-Anderson, ehemalige Sprecherin der Tibet-Initiative Würzburg, das Kloster. Die Buddhistin ist Vorsitzende des Dakini-Netzwerkes und sucht Paten und Spender für tibetische und nepalesische Nonnen, Mönche und Familien.
Die 21-jährige Tenzin Namdol, die seit zwei Jahren Tuberkulose hat, ist froh über diese finanzielle Unterstützung, die ihr ermöglicht, die teuren, überlebenswichtigen Medikamente kaufen - einer ihrer Brüder ist bereits an der Krankheit gestorben. "Wer jemandem so sehr hilft und damit die Welt ein bisschen besser macht, der praktiziert den Kern des Buddhismus", findet ihr Bruder Kelsang.
So geht jeder auf seine Art mit dieser Religion um, die ihnen dabei hilft, nicht an ihrem persönlichen Schicksal zu verzweifeln. Und sogar in der größten Hektik von Kathmandu entspannt lächelnd durch den wirren Straßenverkehr zu kommen.
Die Serie Lieblingsstücke
Der Originaltext „Der Weg zum inneren Frieden“ von Beate Spinrath ist im Juli 2010 erschienen.