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München
Halbjährliche Spritze verhindert HIV-Infektion - Trendwende?
Eine HIV-Infektion muss heute nicht mehr tödlich enden, Therapien ermöglichen ein weitgehend normales Leben. Doch Ziel bleibt, Infektionen zu vermeiden - hier scheint es einen Meilenstein zu geben.
Protest gegen Pharmaunternehmen Gilead       -  Aktivisten protestieren für kostengünstige Mittel.
Foto: Michael Kessler/Intoon-Media/dpa | Aktivisten protestieren für kostengünstige Mittel.
Sabine Dobel
 |  aktualisiert: 30.07.2024 02:52 Uhr

Ein halbjährlich gespritztes Medikament soll nach Forscherangaben eine HIV-Infektion zuverlässig verhindern. Die Studie, die im „New England Journal of Medicine” (NEJM) veröffentlicht und auf der Welt-Aids-Konferenz in München vorgestellt wurde, weckt damit große Hoffnungen im Kampf gegen Aids. 

Zugleich wird die Forderung an das Pharmaunternehmen Gilead laut, die Herstellung preisgünstiger Generika zuzulassen, um das Mittel vor allem in den stark von HIV betroffenen Gegenden des Globalen Südens kostengünstig zugänglich zu machen. Das Mittel Lenacapavir ist in mehreren Ländern - auch in Europa - bisher nur zur HIV-Therapie für bestimmte Patienten zugelassen.

Keine einzige Infektion

An der Studie waren rund 5338 Mädchen und junge Frauen in Südafrika und Uganda beteiligt, die ursprünglich HIV-negativ waren. Unter den gut 2134 Teilnehmerinnen, die zwei Mal im Jahr Lenacapavir unter die Haut gespritzt bekamen, gab es keine einzige Infektion. In den beiden anderen Gruppen mit rund 3200 Teilnehmerinnen, die zwei unterschiedliche Medikamente zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) eingenommen haben, gab es hingegen insgesamt 55 HIV-Infektionen. 

Lenacapavir sei zu 100 Prozent effektiv gewesen, sagte die Studienhauptautorin und Direktorin des Desmond Tutu HIV-Zentrums an der Universität von Kapstadt Linda-Gail Bekker begleitet vom Applaus der Zuhörer bei der Aids-Konferenz, dem weltgrößten wissenschaftlichen Treffen zum Thema HIV.

Sharon Lewin, Präsidentin der Internationalen Aids-Society (IAS), sprach von einem bahnbrechenden Fortschritt.

Das weitere Medikament Cabotegravir, das zur Behandlung mit HIV lebender Menschen sowie zudem zur PrEP in Europa zugelassen ist, schützt für etwa acht Wochen vor einer Ansteckung. Hierzu gab es eine Studie im ländlichen Uganda und Kenia zur Umsetzbarkeit bei Männern und Frauen in Afrika, die zeigte, dass viele die Injektion bevorzugten, allein schon, weil sie Sorge hatten, die Tabletten zu vergessen. 

Druck auf Hersteller 

Die UNAIDS-Exekutivdirektorin Winnie Byanyima sprach von Wundermitteln. Sie rief speziell Gilead auf, alles zu tun, dass Lenacapavir schnell und kostengünstig für Menschen vor allem in Asien, Lateinamerika und Afrika zur Verfügung gestellt werden könne. Es gebe keine Zeit zu verlieren. Byanyima verwies auf das UN-Ziel, bis 2030 HIV nicht mehr als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit zu werten. Das seien noch sechs Jahre - doch nach wie vor infizierten sich jährlich weltweit 1,3 Millionen Menschen neu mit dem Virus, jede Minute stirbt ein Mensch an den Folgen von Aids.

Jared Baeten, Senior-Vizepräsident für Klinische Entwicklung von Gilead Science, berichtete, eine zweite Studie mit Männern, unter anderem auch mit Transgender-Personen als besonders von HIV betroffene Gruppe laufe bereits. Die Ergebnisse würden Ende dieses Jahres erwartet. Eine Zulassung von Lenacapavir als Präexpositionsprophylaxe in vielen Ländern könne bis Ende 2025 möglich sein. Gilead sei schon jetzt mit Generika-Herstellern im Gespräch. Es müsse aber sichergestellt sein, dass das Medikament in hoher Qualität produziert werde. 

Einen Preis könne er derzeit nicht nennen, sagte Baeten. Jedoch sei Gilead bemüht, Lenacapavir so schnell wie möglich zu einem günstigen Preis gerade auch in Ländern mit hoher HIV-Inzidenz und geringen Ressourcen verfügbar zu machen. Der von Aktivisten genannte Preis für Lencapavir in den USA von 40.000 Dollar für eine Jahresbehandlung betreffe nur bestimmte Patienten und werde nicht für die künftige Prophylaxe gelten. 

„Das ist Musik in meinen Ohren”, kommentierte Byanyima die Aussagen. Sie erinnerte daran, wie schnell die Covid-19-Impfung zur Verfügung gestellt werden konnte und verlangte: „Bewegt Euch schnell.” Shareholder Value dürfe nicht im Vordergrund stehen. 

Am Rande der Welt-Aids-Konferenz hatten Aktivisten für die Bereitstellung von Generika demonstriert. Sie könnten bei Massenproduktion 100 US-Dollar pro Jahr kosten, womöglich auch nur 40 US-Dollar, argumentieren Aktivisten und zudem Forscher der Universität Liverpool. Die Debatte um hohe Entwicklungskosten der Pharmafirmen für Medikamente und die Debatte, ob diese Firmen dennoch ihre Entwicklung für günstige Generika bereitstellen, ist immer wieder Thema. 

Alternative zu Impfung? 

Weltweit wird weiter an einer Impfung geforscht. Die Prophylaxe mit Lenacapavir sei aber - sofern sich die 100-prozentige Wirksamkeit auf Dauer bestätige - effektiver als man von Impfungen hätte erwarten können, sagte der örtliche Kongresspräsident Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.

Hoffnung für junge Frauen im südlichen Afrika 

Vor allem junge Frauen in Afrika als besonders von HIV betroffene Gruppe könnten von der lang wirksamen Prävention per Spritze profitieren, unterstrich die Forscherin Bekker. Laut UNAIDS infizieren sich wöchentlich weltweit 4000 junge Frauen, mehr als 3000 davon im Subsahara-Afrika. Teils werden Frauen wegen der Einnahme der bisher gebräuchlichen täglichen oralen Präexpositionsprophylaxe mit Pillen diskriminiert, etwa weil angenommen wird, sie seien bereits infiziert. 

 

 

Welt-Aids-Konferenz 2024 München       -  Linda-Gail Bekker, Direktorin des Desmond Tutu HIV-Zentrums an der Universität Kapstadt.
Foto: Sabine Dobel/dpa | Linda-Gail Bekker, Direktorin des Desmond Tutu HIV-Zentrums an der Universität Kapstadt.
Welt-Aids-Konferenz 2024 München       -  Jared Baeten Senior-Vizepräsident Für klinische Entwicklung von Gilead Science
Foto: Sabine Dobel/dpa | Jared Baeten Senior-Vizepräsident Für klinische Entwicklung von Gilead Science
Welt-Aids-Konferenz 2024 München       -  Linda-Gail Bekker, Direktorin des Desmond Tutu HIV-Zentrums an der Universität Kapstadt.
Foto: Sabine Dobel/dpa | Linda-Gail Bekker, Direktorin des Desmond Tutu HIV-Zentrums an der Universität Kapstadt.
Medikament zur Vorbeugung von HIV       -  PrEP zur Vorbeugung einer HIV-Infektion wird vor allem in reichen Ländern genutzt. (Archivbild)
Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | PrEP zur Vorbeugung einer HIV-Infektion wird vor allem in reichen Ländern genutzt. (Archivbild)
25. Welt-Aids-Konferenz       -  Die UNAIDS-Exekutivdirektorin Winnie Byanyima aus Uganda setzt große Hoffnungen in die neuen Mittel.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa | Die UNAIDS-Exekutivdirektorin Winnie Byanyima aus Uganda setzt große Hoffnungen in die neuen Mittel.
25. Welt-Aids-Konferenz       -  Sharon Lewin, Präsidentin der International AIDS Society (IAS).
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa | Sharon Lewin, Präsidentin der International AIDS Society (IAS).
Die Schleife zeigt Solidarität mit HIV-Positiven und Aids-Kranken       -  Dir rote Schleife ist ein Symbol der Solidarität mit HIV-Positiven und Aids-Kranken.(Archivbild)
Foto: Arne Dedert/dpa | Dir rote Schleife ist ein Symbol der Solidarität mit HIV-Positiven und Aids-Kranken.(Archivbild)
25. Welt-Aids-Konferenz       -  Auf der Welt-Aids-Konferenz beraten sich Mediziner, Experten und Aktivisten, wie HIV und Aids weiter eingedämmt werden können.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa | Auf der Welt-Aids-Konferenz beraten sich Mediziner, Experten und Aktivisten, wie HIV und Aids weiter eingedämmt werden können.
Vor der Welt-Aids-Konferenz 2024       -  Bei der Welt-Aids-Konferenz in München werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorgestellt
Foto: Sabine Dobel/dpa | Bei der Welt-Aids-Konferenz in München werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorgestellt
HIV in Kenia       -  Viele Kinder, die sich etwa bei ihrer Geburt oder beim Stillen infiziert haben, erhalten keine Medikamente. (Archivbild)
Foto: Cara Anna/AP | Viele Kinder, die sich etwa bei ihrer Geburt oder beim Stillen infiziert haben, erhalten keine Medikamente. (Archivbild)
 
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